Musealisierter Fortschrittsglaube

Symbole einer vergangenen Zukunft

Das "Futuro-Haus" von Matti Suuronen konnte 2016 für die Neue Sammlung der Pinakothek der Moderne erworben werden und wird nun nach einer umfassenden Restaurierung zum ersten Mal gezeigt.
Das „Futuro-Haus“ von Matti Suuronen konnte 2016 für die Neue Sammlung der Pinakothek der Moderne erworben werden und wird nun nach einer umfassenden Restaurierung zum ersten Mal gezeigt. © Jörg Koopmann
Von Sascha Mamczak |
Das „Futuro-Haus“ des finnischen Architekten Matti Suuronen aus den 1960er-Jahren spiegelt den Fortschrittsglauben jener Zeit. Jetzt steht es vor einem Museum. Doch damit sind solche Zukunftsträume vergangener Zeiten nicht beerdigt, findet Sascha Mamczak.
Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass man ein Kunstwerk mindestens eine Stunde lang betrachten muss, um es zu erfassen. Und so stand ich vor kurzem eine Stunde lang vor der Münchner Pinakothek der Moderne und blickte auf das sogenannte „Futuro-Haus“, das dort derzeit, gleich neben dem Museumseingang, zu besichtigen ist.
Wobei sich mir die Frage stellte, ob das „Futuro“ wirklich ein Kunstwerk ist. Der finnische Architekt Matti Suuronen hat dieses silberne Ellipsoid, das acht Meter Durchmesser hat und auf schmalen Stelzen steht, Mitte der 1960er-Jahre ja nicht etwa entworfen, um damaligen Wohnfantasien künstlerischen Ausdruck zu verleihen. Sondern es sollte tatsächlich einmal als Wohnung dienen.
Nun, daraus wurde nichts; das Material, das Suuronen verwendete, erwies sich als zu teuer, und offenbar gab es auch sonst kein großes gesellschaftliches Bedürfnis, in einem UFO-förmigen Haus zu wohnen. Und so gelten jene Exemplare des „Futuros“, die damals gebaut wurden, heute als Symbole einer von technischem Utopismus durchtränkten Epoche, als Artefakte einer vergangenen Zukunft, die zurecht ins Museum gehören.

Die Zukunft zeigt sich an der „tatsächlichen Wirklichkeit“

Aber ist das eigentlich ein angemessener Umgang mit unserem Zukunftsdenken? Wenn wir vergangene Zukünfte musealisieren, dann wollen wir darauf hinweisen, dass der Fortschritt fähig ist, sich selbst in Frage zu stellen. Meistens geht das mit einem gewissen "amusement“ über diese Zukunftsträume von gestern einher, über die skurrilen Vorstellungen früherer Generationen, wie unser Leben – also das Leben der aus ihrer Sicht künftigen Generationen – aussehen würde.
Und ja, man kann sich auch durchaus darüber amüsieren: In einem UFO wohnen – haha! Aber gleichzeitig geben wir uns dabei einer problematischen Illusion hin. Denn die Zukunft ist kein spezifisches Objekt, ja, sie ist auch keine spezifische Rhetorik. Die Zukunft ist eine Gegenwart, die bisher noch nicht als Gegenwart in Erscheinung getreten ist, und wie viel von dieser zukünftigen Gegenwart bereits im Hier und Jetzt enthalten ist, zeigt sich nicht an der Bandbreite unserer Prognosen, sondern, um es in den Worten von Hannah Arendt zu sagen, an der „tatsächlichen Wirklichkeit“.

Die Zukunft von gestern: vom Heute noch übertroffen

So gehörte etwa der Begriff „Designer-Baby“ fest zum alarmistischen Inventar der gentechnischen Pionierzeit und ist in diesem Sinne längst museumsreif. Aber worum geht es bei der gegenwärtigen Reproduktionsmedizin, wenn nicht um genau das: einen noch nicht geborenen Menschen nach bestimmten Maßgaben zu formen?
Auch vom „Waldsterben“ kann man nicht mehr sprechen, ohne sich den Vorwurf einzuhandeln, hoffnungslos in der ökologischen Katastrophenparanoia der 1980er-Jahre steckengeblieben zu sein. Dass sich die ökologische Katastrophe aber inzwischen mehrfach potenziert hat und der Wald dabei durchaus eine Rolle spielt, kann damit nicht einfach so in Abrede gestellt werden.

Wir leben im „Futuro-Haus“

Dasselbe gilt für Matti Suuronens „Futuro-Haus“. Natürlich ist es eine schöne Idee, das „Futuro“ ins Museum zu stellen, aber das heißt nicht, dass die technikberauschten Heilsversprechen, die damals am Werke waren, nicht immer noch wirksam sind. Ganz im Gegenteil: Wenn in den Medien von „Zukunft“ die Rede ist, dann ist in der Regel das gemeint, was gerade im Silicon Valley ausgekocht und in Form technischer Gadgets bald den Weg in unsere Wohnungen finden wird.
Das „Futuro-Haus“ steht zwar inzwischen im Museum, aber trotzdem leben wir einem solchen Haus. Denn die Zukunft ist nichts, mit dem man abschließen kann. Die Zukunft ist eine Methode, mit der Gegenwart zurecht zu kommen. Und in dieser Hinsicht ist sie tatsächlich ein Kunstwerk.

Sascha Mamczak, Jahrgang 1970, arbeitet als Autor, Lektor und Herausgeber in München. Er hat das Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ geschrieben und hält regelmäßig Vorträge zu Zukunftsthemen.

Der Autor, Lektor, Herausgeber und Zukunftsdenker Sascha Mamczak
© Bild: privat
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