Multikulturelles Experiment in Tansania

Die Retortenstadt Fumba auf Sansibar

24:31 Minuten
Die Stadt vom Reißbrett: Fumba Town von oben.
Die Stadt vom Reißbrett: Fumba Town von oben. © CPS
Von Eberhard Schade · 15.04.2020
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Der Tourismus auf der Insel boomt, gleichzeitig fehlt es an Wohnraum. Deutsche Ingenieure bauen deshalb Häuser und Wohnungen für 20.000 Menschen. Sie träumen von einer ökologisch nachhaltigen und multikulturellen Retortenstadt.
"Hier, das ist der Ukraine-Georgier, mein Nachbar. Hier daneben, sie ist Nigerianerin, er ist aus Kenia. Hier meine direkten Nachbarn sind aus London, die sind aber nur monateweise immer hier, vermieten auch nicht, es ist ihr eigenes."
"Dr. Jenny" führt durch ihre neue Nachbarschaft. Vorbei an kleinen, wie geklont wirkenden weißen Familienbungalows aus Holz. Aufgereiht wie in einer deutschen Kleinstadtsiedlung, mit sauber asphaltierter Zufahrt und akkuratem Vorgarten. Einige sind bewohnt, viele noch leerstehend, noch gar nicht fertig. Jenny Bouraima ist eine junge Ärztin aus Deutschland, die sich in Fumba Town niedergelassen hat. Eine Retortenstadt, die perspektivisch allen offen stehen soll.
Porträt Jenny Bouraima
Jenny Bouraima ist Ärztin und hofft, dass bald mehr Kinder in Fumba Town leben.© Eberhard Schade
Ihre kleine Praxis liegt gleich um die Ecke, dort behandelt sie Fischer aus dem Nachbardorf genauso wie ihre neue Multi-Kulti-Nachbarschaft. Und findet allein deshalb schon, dass die Idee von Fumba Town im Kleinen schon ganz gut funktioniert.
"Das ist kein Entwicklungshilfeprogramm, das ist ein kommerzielles Programm. Aber trotzdem ist es kommerziell nicht nur für eine bestimmte kleine Gruppe, sondern versucht, die Dörfer rundherum mitzunehmen. Das finde ich gut vom Ansatz her."

Eine Stadt vom Reißbrett für 20.000 Menschen

Die Halbinsel Fumba auf Sansibar liegt vor der Küste Tansanias in Ostafrika. Nur etwa 20 Minuten vom Flughafen entfernt entsteht eine Stadt vom Reißbrett für etwa 20.000 Menschen.
Viel Grün und Meerblick: Abendstimmung über Fumba Town.
Abendstimmung über Fumba Town.© CPS
"Wir sind praktisch das erste Projekt, was hier angefangen hat, und haben Land zur Verfügung gestellt bekommen. Von der Regierung, 600.000 Quadratmeter, 1,5 Kilometer Küstenlinie und planen hier circa 3000 Wohneinheiten."

Noch sind die meisten Kunden Ausländer

Die ersten 500 davon sind laut Tobias Dietzold verkauft und gebaut, rund 100 Bewohner darin eingezogen. Die meisten davon sind Ausländer. Aus Oman, Dubai und Europa. Doch der gelernte Elektroingenieur aus Leipzig, der das Projekt zusammen mit seinem älteren Bruder und dessen Frau leitet, will eigentlich mehr.
"Das eigentliche Hauptziel ist, Wohnraum zu schaffen für die lokale Mittelklasse."
Also jenen Teil der Bevölkerung, der in Tansania laut Weltbank in 20 Jahren fast ein Drittel der Bevölkerung ausmachen soll. Den man hier in der mehrmals umzäunten Musterstadt aber noch vergeblich sucht.
Porträt von Tobias Dietzold
Der Geschäftsführer Tobias Dietzold ist in Tansania aufgewachsen. © Eberhard Schade
"Die Mittelklasse kann sich im Moment noch nicht wirklich leisten, selber hier zu kaufen, einfach dadurch, dass es keine Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Das heißt, zum Kundenprofil zählen momentan Leute, Kleininvestoren, die sich ein Haus oder eine Wohnung oder zwei kaufen und die dann weitervermieten."

Reihenhäuser im Ikea-Look

Ein Haus, eine Wohnung oder ein Appartement in Fumba Town ist im Vergleich zu afrikanischen Nachbarländern relativ günstig. Ein Appartement gibt es schon ab 18.000 Euro, das 65-Quadratmeter-Reihenhaus im Ikea-Look, in dem zum Beispiel die Ärztin Jenny Bouraima wohnt, für 50.000 Euro. Je näher dran am Wasser, desto teurer wird es. Die Häuser im Hochpreissegment haben bis zu fünf Schlafzimmer. Knapp 200 Quadratmeter über drei Geschosse. Für 290.000 Dollar.
"Hier im Erdgeschoss ein großer Wohn-Essbereich mit Küche. Dann hat man hinten das, das kann der Gästetrakt sein. Dort kann aber auch die Housekeeperin wohnen."
Oder sie wohnt in einem der günstigen Studios in Fumba Town zusammen mit ihrer Familie. Dann müsste die Housekeeperin aber auch deutlich mehr verdienen als zurzeit. Verschiedene Gesellschaftsschichten mischen - auch das will Dietzold. Dass sich diejenigen, die ihren Besitzstand wahren wollen rundum einzäunen, ist auf Sansibar normal.
Zwei Reihenhäuser in Fumba-Town.
Reihenhäuser im Ikea-Look: Appartements in Fumba-Town.© CPS
"Es ist sehr sicher hier, der sicherste Platz auf ganz Sansibar", sagt George aus Georgien.
"Ich habe vorher in Kampala, in Nairobi, in Nigeria für lange Zeit gelebt. Ostafrika war also kein Neuland für mich, ich habe eigentlich in allen Ländern außer Somalia gewohnt, Sansibar ist ganz einfach ein zauberhafter Ort."

"Ein großes soziales Experiment"

George hat in Fumba Town ein kleines Appartement gekauft und braucht nicht viel an Infrastruktur, sagt er. Ein Computer, stabiles Internet. George ist ein sogenannter "digital nomad". Der Georgier handelt mit Tropenhölzern aus West- und Ostafrika, will bald in den Handel mit Algen einsteigen. Er sitzt am späten Vormittag etwas verschlafen im "Kweku Kwenu", einem Kiosk-Café an einem noch sehr spärlich befahrenen Kreisverkehr - dem einzigen sozialen Treffpunkt in Fumba Town.
"Manchmal fühlt sich Fumba wie ein großes soziales Experiment an. Leute von überall her, die zusammen hier leben sollen, fast wie ein Psycho-Test oder so was. Auf jeden Fall aber ein spannendes Experiment."
Dass er nun schon über ein Jahr auf einer riesigen Baustelle lebt, es nicht so richtig voran geht mit dem Einkaufszentrum, in dem dann ein Supermarkt, Restaurants, ein Fitnessstudio einziehen sollen, stört ihn dabei weniger. Tobias Dietzold dagegen macht das Warten auf Bausand oder Fenster manchmal schier wahnsinnig.
"Zum Beispiel die restlichen Fenster für die Mehrfamilienhäuser, die hier hinter uns liegen. Die liegen seit Januar im Mombasa, und ich hoffe, dass sie nächste Woche, dass sie jetzt endlich mal ankommen. Ohne Fenster kann man nicht viel machen, weil man mit dem Innenausbau nicht wirklich starten kann, bevor das Haus nicht zu ist."

Hausbau innerhalb von acht Wochen - theoretisch

"Eigentlich müssen wir dahin kommen, alles irgendwann hier auf der Insel zu produzieren", sagt Dietzold. Und deshalb haben auch seine Geschäftspartner, Thomas und Saskia Just von der Firma Volks.House, als Erstes eine Produktionshalle für die Fertigteile errichtet. Die Halle des Haupt-Bauunternehmens für Fumba Town liegt hinter dem ersten Sicherheitszaun und grenzt unmittelbar an das kleine Nachbardorf Nyamanzi.
Eine Produktionshalle
In der Produktionshalle der Schreinerei werden die Fertigteile für die Appartements zugesägt.© Eberhard Schade
"Ein komplettes Haus können wir theoretisch innerhalb von zwei Monaten aufstellen", erklärt Saskia Just. Theoretisch. Denn momentan stehen auch hier alle Maschinen still. Wieder einmal heißt es warten: Diesmal nicht auf Holz aus Rumänien, diesmal auf ein Teil für die Wandelemente. In der Zwischenzeit schickt Saskia Just ihre Angestellten in den Innenausbau der Häuser. 80 Sansibaris arbeiten mittlerweile für sie.
"Es gibt hier halt noch kein Ausbildungsprogramm in dem Sinne, wie wir es in Deutschland kennen. Aber natürlich: unsere Leute sind immer mehr ausgebildet, gerade im Innenausbau. Und die Nachfrage nach Hotels, Ressorts, Bungalows ist wirklich groß. Also ich glaube, die werden immer einen Job haben."
Denn der Tourismus auf Sansibar boomt. Mehrere hunderttausende Besucher kommen jedes Jahr auf die Insel und es werden immer mehr. Müll ist dabei wie fast überall in Afrika ein Riesenproblem. Am Strand sammeln schon jetzt Touristen freiwillig Flaschen und anderen Plastikmüll ein. Die Macher von Fumba wollen auch deswegen nachhaltig wachsen. Mit einem ausgeklügelten System, bei dem ein tropischer Baum in jedem Vorgarten das Wasser speichert und somit den Grundwasserspiegel konstant hält. Mit Biotonnen und einer Kompostierungsanlage.

Die Deutschen wollen die Bevölkerung einbinden

"Und das ist am Ende, was wir den Leuten auch beibringen, auch gerade den Jugendlichen, die hier ausgebildet werden. Dieser Kompost ist extrem wertvoll. Sie sollen lernen aus Müll praktisch einen Wert zu schaffen – was hier total ungewohnt ist – und den Kompost dann weiterverkaufen und in Gartenanlagen und in die Landwirtschaft zurückbringen."
Vor allem aber will Tobias Dietzold, der als Missionarskind in Tansania groß geworden ist und perfekt Suaheli spricht, die lokale Bevölkerung einbinden. Denn nur so glaubt er, verdient das Projekt wirklich den Stempel "nachhaltig".
Porträt eines der Dorfältesten
Einer der Dorfältesten hat eine Stelle als Sicherheitsmann.© Eberhard Schade
"Sämtliche Stellen, die wir ausschreiben, gehen immer zuerst durch ein Dorfkomitee, was wir zusammen mit denen gegründet haben. Da sind Fischer drin, da sind Frauengruppen drin, da sind Jugendgruppen drin, die politischen Parteien sind mit drin. Und alles, was wir hier tun und wie wir auch das Dorf mit integrieren, geht immer durch dieses Komitee. Und das ist extrem wichtig, weil sonst schafft man hier so einen Fremdkörper innerhalb eines bestehenden Systems."
"Natürlich waren wir erstmal skeptisch", sagt einer der Dorfältesten, der jetzt einen Job im Sicherheitsdienst hat.
"So wie man Großprojkte immer erst mal skeptisch sieht. Aber nachdem das weiter erklärt wurde, wurde es eigentlich recht positiv aufgenommen, weil relativ schnell klar wurde, dass auch die Dörfer davon profitieren können. Vor allem war da natürlich die Frage der Beschäftigung. Die Arbeitslosigkeit ist ja nicht nur hier, sondern im ganzen Land ein großes Problem. Und im Sicherheitsbereich kommen hier mittlerweile 75 Prozent der Angestellten aus dem Dorf."

Einige Dorfbewohner bleiben skeptisch

Das sagt der Mann aus dem Nachbardorf Nyamanzi, als Tobias Dietzold, sein Chef neben ihm sitzt und übersetzt. Andere sind skeptischer, auch wegen des Zauns. Eine Gruppe junger Männer hängt am nächsten Tag vor einem kleinen Gemüseladen rum, sie warten auf die Fischer aus ihrem Dorf und deren Fang. Unter ihnen: Ramadan. Er arbeitet für die staatlichen Elektrizitätswerke Sansibars.
"Der Zaun ist für die Sicherheit der Bewohner da. Hier im Dorf gibt es aber viele Fischer und die müssen jetzt wegen des Zaunes einen Umweg zum Meer machen, können nicht mehr die Abkürzung nehmen."
Ramadan verdient als Angestellter umgerechnet 700 US-Dollar im Monat, zahlt 50 Dollar davon für eine kleine Mietwohnung in Sansibars Hauptstadt Stonetown, wo er zusammen mit seiner Frau und seinem Kind lebt. Und selbst wenn er damit zu den Besserverdienenden in seinem Heimatdorf gehört – ist für ihn ein Appartement in Fumba Town unerschwinglich.
Porträt Ramadan
Ramadan ist im Nachbardorf der Retortenstadt aufgewachsen. © Eberhard Schade
Klar, sagt er, das mit den Jobs sei gut. Aber auf der anderen Seite gebe es auch viele im Dorf, die mit den neuen Nachbarn fremdeln.
"Ich nenne es mal kulturelle Einmischung, die so ein großes Projekt automatisch mit sich bringt. Viele Leute aus sehr unterschiedlichen Kulturen kommen hierher, haben Kontakt mit Leuten aus dem Dorf und das könnte die Kultur innerhalb des Dorfes nachhaltig verändern."
Ramadan ist hin und hergerissen, ob Fumba Town nun eher Fluch oder Segen für seine Leute ist.
"Ich glaube eines Tages wird das eine große Stadt sein und es könnte sein, dass die Leute sie mögen, weil es auch das Dorf verändert – auch wenn sich im Dorf natürlich keiner ein Haus in Fumba Town leisten kann. Die Leute, die hier kaufen kommen aus Oman, aus Katar, aus London. Sie kommen im Juni und Juli für ihre Ferien. Dann schließen sie ihr Haus hier wieder ab und fliegen zurück."
Etwas aber, das steht für ihn fest, wird wohl noch lange so bleiben: "Reiche Leute dort, Fumba Town. Normale Leute hier, in unserem Dorf."

Hören Sie hier die gesamte "Weltzeit"-Sendung:
Die einen prognostizieren gerade eine humanitäre Krise riesigen Ausmaßes, sollte sich das Coronavirus auf dem afrikanischen Kontinent ausbreiten. Die anderen glauben, dass Afrika wegen seiner Erfahrung mit der Ebola-Bekämpfung den westlichen Ländern voraus ist. Philipp Lemmerich hat sich von afrikanischen Freunden die Lage in Tansania und Südafrika schildern lassen.
In Tansania gibt es bisher erst 50 Infizierte, aber der Tourismus bleibt aus. Der Nationalpark Serengeti gibt vielen Arbeit, die jetzt Hunger leiden. Die Wilderei könnte bald zunehmen – aus der Not heraus, meint Afrika-Korrespondentin Bettina Rühl. Wer in besseren Zeiten als Tourist nach Tansania reist, besucht meist auch die Insel Sansibar mit ihren Traumstränden. Dort entsteht gerade eine Multikulti-Retortenstadt mit ambitionierten Zukunftsplänen. Eberhard Schade hat sie sich angesehen.
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