Müllmuseum im badischen Wallbach

Kitsch, Kunst, Kuriositäten auf fünf Etagen

10:30 Minuten
Die Puppen des Müllmuseum Wallbach sitzen nebeneinander.
Die Puppensammlung des Müllmuseums in Wallbach: Familie Thomann profitiert davon, auf der Deponie zu arbeiten. © Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 16.09.2019
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Seit 27 Jahren pflegt Familie Thomann ein ungewöhnliches Hobby: Sie sammelt, was andere wegwerfen. Die Thomanns arbeiten ihre Fundstücke auf und stellen sie aus – in Deutschlands erstem Müllmuseum. Dabei gilt eine eiserne Regel: "Wir verkaufe nix!"
"Wir können auch mal dess da...das is... 'nen Harmonium. Das funktioniert auch noch."
Es funktioniert so einiges. Einwandfrei. In Deutschlands erstem Müllmuseum im Badischen Wallbach. Betreiber Karl Thomann strahlt. Es soll nicht die einzige Überraschung bleiben.
"Das ist der Ur-Bär."
Die Müllsaga: Mit dem "Ur-Bären" in der grün-gehäkelten Latzhose am Eingang nahm sie ihren Lauf – vor 27 Jahren. Der Mittfünfziger schließt in der umgebauten Scheune ein paar Schritte vom Rhein entfernt kurz die Augen. Er kann sich noch genau erinnern, wie sein Vater eines Tages mit dem Teddy von der Arbeit kam – und ihn zwei Knopfaugen anstarrten.

Am Anfang stand Zivilisationsschrott

Irgendwann in den späten 70ern muss das gewesen sein, Thomann war damals elf, zwölf Jahre alt. Eigentlich hätte der Senior den Bären mit seiner Planierraupe in der Mülldeponie plattwalzen sollen – wie den ganzen anderen Zivilisationsschrott.
"Viel Werkzeug, Schrauben, Nägel. Alles Mögliche, was in den 80ern wirklich schachtelweise weggeschmissen worden is. Wenn so Inventur war. Dann erst nach und nach is da 'ne Sammelleidenschaft draus geworden. Und da haben sich so Themen gebildet. Dass ich einfach gesagt hab: 'Oh! Radios gefalle mir. Bring alles mit, was mit Radio zu tun hat.' Und der Bruder hat gesagt: 'Fotoapparate! Bring alles mit'."
"Für die war es jeden Tag Weihnachte", tönt es aus dem Sessel im Eingangsbereich. Jenseits der 80 ist Erich Thomann, die Beine wollen manchmal nicht mehr so richtig. Die Arbeit damals war ein Knochenjob. Seine Sammelleidenschaft – ein guter Ausgleich. Sein Sohn hält es ähnlich. Auch er arbeitet auf der Deponie.

Diskutieren über die Wegwerfgesellschaft

"Recycling is mein Beruf. Und von daher diskutiert man da immer drüber."
Mit den Besuchern des Müllmuseums. Vorzugsweise über die Wegwerfgesellschaft. Heute aber ist Ruhetag. Der Familienclan war seiner Zeit voraus. Als andere das Wort "Recycling" noch nicht buchstabieren konnten, machten sie sich schon Gedanken über den Müll.
"Aber in erster Linie is schon nidd die Recyling oder die Nachhaltigkeitsgedanke, sondern in erster Linie is der Gedanke: Wie kann man so was wegschmeiße?! Wir recyclen ja nidd, wir stellen ja nur aus. Anregen tut’s auf jede Fälle. Dass man sagt: Des bewahren wir doch noch uff und schmeißen’s nidd weg."
Karl Thomann, der Leiter des Müllmuseums, steht neben seiner Sammlung alter Fernsehgeräte.
Karl Thomann, Leiter des Müllmuseums Wallbach.© Michael Frantzen
"Hier kommen wir ins Handwerk rein. Vom Schreiner über Sattler bis hin zum Schlosser. Isch hier alles vertreten."
Inklusive der "Sack-Ausstäube-Maschine."
"Genau. Dess gibt’s heute sicher nimma. Da hat man einfach den Sack reingespannt. Dann hier zugemacht. Und wenn man jetzt hier dreht, klopft man das Mehl raus."
"Putzen und Abstauben – das machen Männer nidd so gern", konstatiert Karl Thomanns Mutter. Agnes Thomann putzt nicht nur wie wild: Sie backt auch. Kuchen und Torten. Für das hauseigene Café.
"Nur kein Schwarzwälder. Schwarzwälder backe wir nidd."
"Weil man immer mit irgendwelchen anderen verglichen wird. Des is der Hauptgrund der Frauen."
"Ja."
"Dass sie sagt: Macht se nidd."

Anfangs haben die Nachbarn die Nase gerümpft

Alltagsgegenstände: Aus dem Müll gefischt. Ausgestellt im alten Schweinestall. Einige Nachbarn rümpften da anfangs die Nase.
"Damals war’s nidd so standesgemäß, dass man Müll sammelt. Belächelt. Auch. Was mache die mit den alte Sache?!"
Irgendwann hatte sich das erledigt – mit den dummen Sprüchen. "Sind jetzt immerhin 27 Jahre, dass wir das Museum hän."
"Was halt besonders is bei uns: Dass wir eben nach wie vor alle so zusammen halte. Es ist ja auch damit gefalle und gestande, was ich – jetzt mal salopp gesagt – für 'ne Frau finde. Ja. Es is so … Wenn du jemand find’s, wo’s zwar menschlich passt, aber die mit dem überhaupt nix anfangen kann, dann wird’s schwierig. Also musste ich lang suche, bis ich jemande gefunde hab, der … der mich akzeptiert und mein Umfeld auch."
"Irgendwann hat er mich gefunden."
Der Gatte. Seine …
"… bessere Hälfte. Oder schlechtere."

Erst der Mann, dann das Museum

Elke Thomann lässt wie die Schwiegermutter die Finger weg von Schwarzwälder Kirsch. Auch sie ist Feuer und Flamme für das Kuriosenkabinett ihres Mannes. Wobei, so ganz stimmt das nicht.
"Feuer und Flamme für ihn. Das andere kam dann."
"Jetzt sind wir eben: Sonderausstellung Kaffee. Was einfach alt is, sind zum Beispiel diese Röstgeräte. Wo man den Kaffee selber rösten kann. Dieses müsste 20er-Jahre sein. Vom letzten Jahrhundert. Das war 'ne Kombimaschine. Das is wahrscheinlich noch aus 'nem Kolonialwarenlade. Einmal die Kaffee … zum Mahle. Und dann konnt man gleichzeitig noch Käse mahle. Und Nüsse. Mit der gleichen Maschine."
Auf fünf Stockwerken erstreckt sich die Lehrstube der Alltagskultur. Die Dielen: Sie knarzen. Die Regale: Biegen sich unter der Last von Kunst, Kitsch, Kuriositäten.
Die Modelleisenbahn samt Spielzeug-Streifen-Wagen ist aus den 60ern, der Frisörsalon nebenan noch älter.

Lockenwickler von anno dazumal

"Da gibt’s dann: Lockenwickler, wo jeder Lockenwickler an Plus und Minus angeschlossen worden is. Auch zum Heizen."
"Auch dess."
"Autsch!"
"Ja. Und dann sind sie noch weiter gegangen und haben dieses Teil entwickelt. Und da wurde … einfach diese Aufsätze aufgeheizt … auf dem Teil. Und dann die beheizten Aufsätze … auf die Lockenwickler aufgestülpt."
Letztens erst haben sie ein paar Lockenwickler in den Schwarzwald verliehen, nach Todtnau, für eine Ausstellung im "Dauerwellenmuseum". "Ausleihen" – meint Karl Thomann, während er einen Fusel vom Wickler schnippt, "ausleihen ist O.K." Verkaufen aber geht gar nicht.

Verkauft wird nix

"Wir kaufen nix und wir verkaufe auch nix. Von Anfang an war das oberste Regel. Weil: Sie müssen sich auch vorstelle: Rein theoretisch is das Zeug von der Deponie. Und gehört eigentlich dem Landratsamt. Aber dadurch, dass der Vater nie Kommerz draus gemacht hat, nie verkauft hat, sondern immer nur gesammelt hat und jetzt ausstellt, wurde das toleriert."
Thomann stapft weiter, noch ein Stockwerk, noch mehr Relikte vergangener Zeiten. Alles hat seinen Platz: Der drehbare 70er-Jahre-Silbermetallic-Fernseher genau wie die Schreibmaschine, die sich bei näherem Hinsehen als Noten-Schreibmaschine für Musiker entpuppt. Der "Museumsautodidakt" bleibt in der Ecke mit den Puppen und Stofftieren stehen. Einige der Steiff-Tiere sind alt und dementsprechend wertvoll.
"Das is so 'ne Sache, wissen Sie?! Solange ich nich weiß, was es wert is, biste vielleicht a bissl beruhigter. Weil: Versichere könne se’s nidd. Das Gebäude is zwar versichert, aber wir haben mal angefragt: Sie müssen wirklich jedes Teil schätze lassen und dann versichern. Und das kannst nich mache."
Kaufangebote gibt es immer mal wieder. Doch Thomann stellt da auf Durchzug. Normalerweise.

"Heilige Ecke" mit Bibel, Engeln und Kessel

"Wenn jetzt natürlich jemand sagt: 50.000 Euro für so'n Teil: Dann musst vielleicht auch noch mal überlegen. Die Schmerzgrenze is sehr hoch."
"Ach ja. De heilige Ecke haben wir noch. Auch das darf nidd fehle. Also, das, was hier drin is, is wirklich alles vom Müll. Sie sehen ja: Wir könnte fast die Kirche ausstatte. Wir hän vom Priestergewand bis zum Weihwasserkessel, is also alles vorhande. Nur als Beispiel: Die Putten da – der Engel, der is nur zugedeckt, weil er sieht sehr wüscht aus unten. Die haben den wirklich mit der Motorsäge aufgeschnitten, wo sie die Kapelle umgebaut hän."
Thomann dreht sich zur Seite – drüben in der Vitrine, das will er noch zeigen. Die Bibel. Sie stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert.
250 Quadratmeter groß ist sein Museum – und das ist nur der Ausstellungsbereich. Im Hinterhof geht es weiter.
"Da sieht man mal 'nen Teil. Das is jeweils alles voll. Bissl nach Themen. Man sieht’s ja zum Beispiel hier: Das ist alles Photographie und Film."

Giftschrank mit Nazi-Devotionalien

Weiter hinten ist der "Giftschrank". Mit den Nazi-Devotionalien.
"Wir hänn 'ne ganze Wand mit Anstecker, in allen Variationen, vom "Bund Deutscher Mädels" bis was weiß ich was. Wir hänn’s noch, aber rausgenomme. Weil die Zeit einfach nidd dafür is – momentan."
Thomann schaut auf seine Uhr. Es wird Zeit. Gleich kommen seine zwei Töchter. Plus eine seiner Schwestern samt Anhang, vielleicht auch noch der Bruder. Mit dem Museum, nein, meint er, damit habe das nichts zu tun. Eher mit einer kleinen Feier: Der Museumsmann hat heute Geburtstag. Unten im Café wollen sie feiern. Kuchen essen. Musik hören.
"Bei die Radios gibt's Einzelteile, die doch so interessant sind, dass man guckt, dass es läuft. Das, was man da jetzt hört, das is 'nen Band. Ich mach es mal wieder auf Anfang. Ganz kurz erklärt: Das is 'nen sogenanntes Schallband. Des is in de 50er-Jahre produziert worde. Und da is 'ne ganze Stunde Musik drauf – auf so 'nem Band. Hat sich aber nie durchgesetzt, weil die Schallplatten-Lobby so stark war."
Thomann selbst spielt Klarinette und Saxophon, im nahegelegenen Musicaltheater in Bad Säckingen macht er das Bühnenbild. Wird manchmal ein bisschen viel auf einmal: Sein Job auf der Deponie, die Musicals, das Museum. Doch Kürzertreten: Das kommt nicht in Frage.
"Es war immer mal wieder im Gespräch: Mach doch 'nen Förderverein! Und, und, und. Aber da waren wir a bissl eigen. Wir wollten eigentlich unserer eigener Herr sein. Wir könne sage: Hören wa auf, hören wa nidd auf."
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