Mühsame Energiewende

Der Bürger und das Windrad

Eine alte Windmühle steht zwischen Wohnhäusern in Kiel, im Hintergrund ein modernes Windrad.
Damals und heute: der Wind als Energielieferant © picture alliance / Hinrich Bäsemann
Von Uschi Götz · 19.08.2018
Damit die Energiewende gelingt, braucht Deutschland rund 40.000 Windräder. Um jedes einzelne wird gestritten – so wie in Eberstadt in Baden-Württemberg. Im Bürgerdialog soll ein Kompromiss gefunden werden. Doch das kann dauern.
Nur wenige Kilometer sind es vom Eberstädter Rathaus aufs Bergfeld. Matthias Kümmerle steht an einem Samstagmittag oben auf der Höhe.
"Hier sollen die Windräder hinkommen", sagt er und zeigt auf eine große, freie Feldfläche. "Wo genau weiß ich selber gar nicht, wahrscheinlich eins hier ziemlich westlich und eins dann ziemlich im Osten. Es sei denn es werden drei, dann weiß ich nicht, ob da noch einiges abgeholzt werden soll, das weiß ich jetzt nicht genau."
Es ist windig hier oben. Vom Rande des Bergfeldes hat man einen Panoramablick auf weite Teile der Region Heilbronn-Franken. Wiesen und Felder erstrecken sich weithin eingebettet von Weinbergen bis zum Horizont. Dichte Wälder säumen die andere Seite des Tales.

"Wenn die Windräder kommen, dann verkaufen wir das Haus"

Eine Idylle, aber eine, die einen Haken hat: denn mitten durch die schöne Landschaft zieht sich eine Autobahnbrücke, das Autobahnkreuz liegt gleich dahinter. Kümmerle, um die 50 Jahre alt, ein ruhiger, freundlicher Mensch, ist als einer der Bewohner des Ortsteils Hölzern besonders vom Verkehrslärm betroffen. Jetzt sollen auch noch Windräder dazu kommen. Da sagt er nein.
"Wir haben den Lärm von der Autobahn, wir haben den Lärm von der Landstraße, und dann zusätzlich wäre dann noch der Lärm vom Windrad. Das heißt, wir hätten eigentlich immer Lärm, weil das Windrad wird sich immer bewegen."
Das Bergfeld bei Eberstadt von oben - hier sollen bald Windräder stehen.
Das Bergfeld bei Eberstadt von oben - hier sollen bald Windräder stehen.© Energiedialog
Er zeigt auf ein Haus am Ortsrand, das frühere Forsthaus. Grüne Holzläden, eine große Bank im Garten. Kümmerle ist mit der Tochter des früheren Försters von Hölzern verheiratet. Jahrelang hat das Ehepaar das alte Forsthaus liebevoll restauriert. Es ist eine Perle im Dorf.
Anders als im Ortsteil Eberstadt hinter der Brücke ist der Straßenlärm in Hölzern gut zu hören. Seit Jahren kämpft das Dorf beim Land für einen Lärmschutz.
"Die Optik der Windräder, das ist das eine Thema, aber das würde mich persönlich gar nicht so arg stören, da kann man sich daran gewöhnen. Der Lärm und der Infraschall sind das Problem," stöhnt er und schaut noch eine Weile nach unten auf sein schönes Haus:
Kümmerle arbeitet bei Audi im rund zehn Kilometer entfernten Neckarsulm. "Wenn die Windräder kommen, verkaufen wir das Haus." Sagt er und geht den Berg hinunter.

Thema Windkraft soll die Gemeinde nicht spalten

Jakob Lenz kennt die Belastung der Menschen in Hölzern, er hat sich die Gegend längst angeschaut. Zu Fuß geht der Mann Mitte dreißig an diesem Herbsttag die Hauptstraße hinunter Richtung Stadtmitte zum alten Schulhaus. Dort findet heute die Gemeinderatssitzung statt.
"Wir bereiten die erste öffentliche Veranstaltung im Dialogprozess vor. Die haben wir in den Grundzügen schon vorbesprochen bei anderen Sitzungen. Und jetzt geht es um die Rolle der Gemeinderäte auf der Veranstaltung."
Diverse Bürger sitzen in einem Raum und diskutieren miteinander.
Bürger im Dialog: Noch ist alles offen.© Uschi Götz
Lenz ist Teamkoordinator beim Forum Energiedialog Baden-Württemberg. Das Team soll verhindern, dass sich die rund 3.200 Einwohner zählende Gemeinde nahe Heilbronn beim Thema Windkraft spaltet. Mit den Bürgern reden, lautet deshalb der Auftrag. Und zwar bevor die Eberstädter Gemeinderäte über die Verpachtung des Bergfelds im Ortsteil Hölzern abstimmen.
Kurz bleibt Lenz vor der Tür des alten Schulhauses stehen.
"Eine Fraktion ist dafür, die wollen unbedingt ihren Beitrag leisten zur Energiewende. Es gibt welche, die sehen das eher kritisch, und es gibt welche, die sind hin- und her gerissen."
Das Forum Energiedialog ist ein Angebot des Landes Baden-Württemberg. Kommunen können sich bei strittigen Energiethemen, wie dem Bau von Windkraftanlagen, eine kostenlose Begleitung von Fachleuten holen.
Lenz ist Kommunikationsexperte, geschult in Konfliktlösungen. Er managt den Dialog und holt, wenn gewünscht, entsprechende Experten dazu. Beschwingt nimmt er die Treppen im alten Schulhaus nach oben. 14 Gemeinderäte aus vier Fraktionen sitzen in der Runde. Bürgermeister Stephan Franczak, ein Sozialdemokrat, nickt Lenz kurz zu.
Lenz setzt sich auf einen der Zuhörerplätze. Er wird den Gemeinderäten gleich den Bürgerdialog vorstellen und um Zustimmung werben. Die Sitzung ist nicht öffentlich. Auch Journalisten müssen draußen bleiben.

Bürgertreffen mit professioneller Begleitung

14 Tage später, es ist November. Das erste Bürgertreffen findet statt. 50 überwiegend ältere Leute sitzen in vier kreisförmigen Stuhlreihen um Bürgermeister Stephan Franczak herum. Es ist das erste von Lenz und seinem Team vorbereitete Treffen, es findet im besonders betroffenen Ortsteil Hölzern statt. Das Ehepaar Kümmerle ist schon da.
Neben dem Bürgermeister sitzt Kristina Sinemus, Professorin für Public Affairs, und Teamleitern des Dialogprozesses. Die humorvolle Fachfrau hat heute ihren ersten Auftritt in der Gemeinde. Teamkoordinator Jakob Lenz steht am Rande des Raums und macht sich Notizen. Seit über einer Stunde moderiert Kristina Sinemus schon, die Wortmeldungen nehmen kein Ende:
"Windräder sind eine begrenzte Stromversorgung, die werden irgendwann einmal wieder verschwinden. Also frage ich mich, müssen wir sie überhaupt bauen? Windräder sind ganz unzuverlässige Lieferanten, wurde heute Abend auch schon angesprochen. Weht der Wind, gibt es Strom, weht er nicht, gibt es keinen Strom. Das heißt, wenn die Dinger Strom liefern, sollten wir die Möglichkeit haben, den irgendwo zu speichern."
Wie alle anderen, lässt die Moderatorin den Mann lange ausreden. Fast alle im Raum kommen aus Hölzern, es eint sie die Sorge vor noch mehr Lärm in ihrem Dorf.
"Sind Sonnenkollektoren nicht besser?" fragt ein älterer Herr. "Reicht denn das Windaufkommen auf dem Bergfeld überhaupt?" will eine junge Frau wissen.

Zwei Stunden lang konnten sich die Bürger äußern

Jakob Lenz steht auf und geht zu einer Moderationswand. Fast zwei Stunden lang konnten die Besucher sich in Gegenwart des Bürgermeisters und den Gemeinderäten äußern. Auch Befürworter der Windkraft auf dem Bergfeld waren darunter, doch geschickt hat Moderatorin Sinemus vor allem den Zweiflern und entschiedenen Gegnern die meiste Redezeit gelassen.
Stuhlkreis, Pinnwand, viele Karten sind darauf.
Jakob Lenz sortiert die Anliegen der Bürger.© Uschi Götz
"Ich habe die Diskussion ein bisschen sortiert", sagt Lenz jetzt und hält eine beschriebene Karte in die Höhe. "Und habe das unterteilt, was sind die Bedenken und Sorgen, und was sind darüber hinaus Themen, die man hier im Dialog gerne angehen würde, bevor man zu einer Entscheidung kommt."
"Natur und Wald" steht auf einer Karte. Lenz hält einen ganzen Stapel in den Händen.
"Wir haben einen ganzen Block zum Thema 'gesundheitliche Belastung', also können davon gesundheitliche Risiken ausgehen? Wie ist es mit dem Lärm und wie ist es mit dem Infraschall?"
Eine Karte mit der Aufschrift "Wertverlust" pinnt er nun an die Wand.
"Wer baut hier noch, war so hier die Frage, wenn die Windräder stehen. Gibt es einen Wertverlust auf die Immobilien in Hölzern?"
Teamleiterin Sinemus hat auf kleinen Schildern einige Punkte in Themenfelder zusammengefasst. Die Schilder sind an längeren Stangen angebracht. In den kommenden Minuten geht es darum, herauszufinden, für welche Themen im Zusammenhang mit der Windkraft sich die Leute im Saal vor allem interessieren.

Gesundheitliche Sorgen überwiegen

"Wer würde sich gerne als nächstes Thema, als wichtigstes Thema mit dem Landschaftsbild "Visualisierung" näher auseinandersetzen? Für wen wäre das die Nummer eins? Stehen sie bitte alle auf, und stellen sich zu dem Schild mit ihrer Nummer eins!" fordert sie auf. Und gleich darauf beginnt ein buntes Treiben im Gemeindesaal.
"Wer wäre dafür, dass wir uns als nächstes mit dem Thema 'Infraschall/Gesundheit' befassen?
Etwa 15 Leute stellen sich zu diesem Schild, darunter auch Matthias Kümmerle mit seiner Frau.
"Und das Thema Schallmessung?" Auch bei diesem Schild versammelt sich eine größere Gruppe.
Fünf Minuten später zeigt sich: Die meisten Leute aus dem Saal stehen bei dem Schild "Infraschall- Gesundheit".
"Schallmessung war die Nummer zwei. Die Nummer drei ist das Thema Visualisierung. Prima, dann haben wir jetzt zumindest drei Themen, mit denen wir uns, in Abstimmung mit dem Gemeinderat, auseinandersetzen werden."
Es ist schon spät am Abend, die Besucher setzen sich nochmal auf ihre Plätze. "Was nehmen Sie von heute mit?" fragt Moderatorin Sinemus den Bürgermeister. "Vieles beim Thema Windkraft spielt sich auf der emotionalen Ebene ab", sagt er und schaut dabei in die Runde.
"Aber ich glaube fest daran, auch bei der Windkraft, dass es Gift ist, wenn man mit Emotionen da dran geht."
Windkraftanlage in Vorpommern-Greifswald - im Norden geht es um Windparks, im Süden um einzelne Windräder.
Windkraftanlage in Vorpommern-Greifswald - im Norden geht es um Windparks, im Süden um einzelne Windräder.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Im Saal ist es unruhig. Der Bürgermeister redet sich hörbar in Fahrt. Eine Verpachtung brächte der Gemeinde rund 50.000 Euro im Jahr, erklärt er. Nach einer Weile sagt er energisch: "Ich bin der Letzte, der an den Windrädern in Hölzern klebt."
Eine ältere Dame schaut auf die Uhr, der Bürgermeister will noch nicht gehen.
"Ich will, und da spreche ich ganz für mich persönlich, auch meinen Kindern sagen, du hast alles dafür getan, dass wir wegkommen von Kohle und Atom. Und deswegen ist es mir auch ein entsprechendes Anliegen. Aber es hängt nicht mein Herz daran, zwei Windräder aufs Bergfeld zu bauen."
Die ersten haben schon den Saal verlassen, die Auftaktveranstaltung des Bürgerdialogs ist geschafft.
Anna-Lisa Englisch betont beim Hinausgehen, dass sie grundsätzlich für erneuerbare Energien ist. Ihre Nachbarn, das Ehepaar Kümmerle aus dem Forsthaus, wirkt etwas bedrückt.

Auge in Auge mit dem Windrad

Im März findet eine Exkursion statt. Die Bürger haben das so beschlossen, sie wollen eine Windkraftanlage in der Nähe besuchen, um sich selbst ein Bild zu machen. Acht, vor allem ältere Leute, steigen nacheinander in einen Bus der Eberstädter Feuerwehr ein. Der Rollator eines älteren Herrn findet im Heck Platz. Ein eisiger Wind bläst, alle sind dick eingepackt.
"Wir hatten gehofft, es wird eine Frühjahrsexkursion, es ist eher eine Winterexkursion."
Teamleiterin Kristina Sinemus streckt lachend den Kopf in den Bus: "Das hier wird keine Werbeveranstaltung für Windräder", sagt sie, "sondern es geht darum, ihre Wünsche von der Infoveranstaltung im November aufzunehmen. Und ihre Wünsche waren: Wie so ein Windrad in der Landschaft aussieht, das werden wir uns heute in Löwenstein anschauen. Sie haben gesagt, das Thema Infraschall oder Schall ist für uns wichtig, deswegen haben wir heute einen Schallexperten dabei."
Exkursion zu einem Windrad in einer Nachbargemeinde.
Exkursion zu einem Windrad in einer Nachbargemeinde.© Uschi Götz
Die Stimmung im Bus ist gelassen, die Fahrt geht los. Knapp 20 Kilometer sind es bis auf den Horkenberg nahe Löwenstein. Werner Pfeifer, Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister, steuert das Bussle. Der Mann mittleren Alters ist Elektriker - und Windrad-Befürworter. "Irgendwoher muss der Strom ja herkommen", sagt er lakonisch.
Hinten im Bus sitzt das Ehepaar Anette und Matthias Kümmerle aus dem Forsthaus in Hölzern. "Wir haben natürlich Fragen", sagt Herr Kümmerle.
"Die Windgeräusche, die Lautstärke und vor allem der Infraschall interessiert mich. Das weiß man doch noch überhaupt nicht richtig, was dabei rauskommt, ob das gesundheitsschädlich ist, ob es überhaupt schon Untersuchungen gibt, weiß ich nicht. Da würde ich mich gerne informieren "
Der Bus hält auf dem Parkplatz vor einer der beiden Windkraftanlagen. Auf dem Horkenberg weht ein eisiger Ostwind. Die Rotorblätter am Windrad sind in voller Fahrt. Ein Mann in dicker Winterjacke kommt auf die Gruppe zu. Er stellt sich als Klaus Schifferer, Bürgermeister von Löwenstein, vor.
"Willkommen hier am Horkenberg, am Standort von zwei Windenergieanlagen. Der Horkenberg ist ein sehr großes Waldstück, ich glaube es sind 23 Hektar, im Eigentum der Stadt Löwenstein."
Wie ist es zu dem Standort gekommen, welche Gutachten waren notwendig, wie sind die Bürger an dem Projekt beteiligt? Schifferer schlottert vor Kälte, aber er erklärt alles sehr genau.

Was hat eine Gemeinde finanziell von einem Windrad?

Betreiber des Windparks ist die Deutsche Solargesellschaft. Der technische Leiter des Unternehmens, Matthias Haag, steht neben dem Bürgermeister. Jetzt ist er an der Reihe und muss gegen den immer stärker werdenden Wind ankämpfen. Er bittet die Interessierten zum Windrad. Unten im Sockel der Anlage ist eine Tür, alle gehen dankbar ins Innere. Der Blick geht nach oben in eine dunkle fast 200 Meter lange Röhre. Laut ist es, aber windstill. Im Halbkreis scharen sich alle um den technischen Leiter.
"Für uns in Löwenstein war eigentlich am wichtigsten: Schall, Schatten und Fledermaus. Die drei Punkte, die uns bis zum Schluss… na ja, belastet möchte ich nicht sagen, beschäftigt haben."
"Das Thema Infraschall ist da mitbetrachtet worden?" fragt Matthias Kümmerle und stellt sich näher zu dem Experten.
Hörbar ist Infraschall für den Menschen nicht, aber es ist strittig, ob dieser Schall möglicherweise nicht doch Auswirkungen auf Mensch und Tier haben könnte. "Wir haben das mit gemessen", sagt der Experte Haag vom Betreiberunternehmen
"Wo sind die Schwachstellen nach zwanzig Jahren?" will ein älterer Herr wissen. "Das wird sich nach zwanzig Jahren zeigen." "Was wird dann auf die Leute zukommen?" "Das wissen wir nicht, aber das Modell ist auf zwanzig Jahre ausgelegt, das heißt, theoretisch kann man die Dinger nach zwanzig Jahren abbauen."
Beide Windräder decken etwa den Strombedarf von 3.000 Menschen im Jahr. Neun Millionen Euro hat der Investor in beide Anlagen investiert.
"Was hat der Bürger finanziell von so einem Windrad? " fragt Moderatorin Sinemus und geht hinaus aus dem Sockel der Anlage.
Bürgermeister Klaus Schifferer bleibt stehen und erklärt, wie sich das Modell einer genossenschaftlich organisierten Betriebsgesellschaft für die Menschen hier rechnet. "Das heißt, wenn Sie einhundert Euro im Jahr investieren, kriegen Sie fünf oben drauf, als Rendite am Jahresende."
Diskussion im Bauch eines Windrades. Rechts und links außen das Ehepaar Kümmerle.
Diskussion im Bauch eines Windrades. Rechts und links außen das Ehepaar Kümmerle.© Uschi Götz
Aber das interessiert nicht alle. "Wir sind nicht hier wegen der Rendite. Wir sind da wegen des Abstands und wegen des Lärms. Das ist unser Anliegen!" kontert einer der Besucher.
Auf dem Weg aus dem Bauch der Windkraftanlage sagt Matthias Kümmerle diplomatisch: "War alles interessant, aber grundsätzlich neu war es nicht."

Manche Windräder sind viel zu laut

Draußen auf dem Platz vor dem Windrad scharen sich jetzt alle um Christian Eulitz, Ingenieur für Schallschutz und Bauphysik. Er hat einen kleinen Computer, ein Schallpegelmessgerät, um den Hals hängen, neben ihm geht Annette Kümmerle aus Hölzern her. Sie äußert die Sorge, dass in ihrem Forsthaus jetzt neben dem Autobahnlärm auch noch die Windräder zu hören sein werden.
"Der Unterschied zu einer Autobahn und einer Windkraftanlage ist der: Die Autos sind praktisch von der Windrichtung unabhängig laut, eine Windkraftanlage ist unterschiedlich laut, je nachdem, je nach Windanströmrichtung."
Etwa 150 Meter vom Windrad entfernt, bleibt Christian Eulitz erneut stehen und sagt: "Wenn wir mal kurz ruhig sind, dann schauen wir, wie laut sie hier ist." Der Schallexperte hält ein Mikrophon an einem Stativ in Richtung Windkraftanlage. Alle schauen im Wechsel auf den Mann in seiner signalgelben, dicken Funktionsjacke und auf das Gerät um seinen Hals. Etwa eine halbe Minute dauert die Messung.
"Das sind jetzt 55 dB ungefähr, das ist genau der Immissionsrichtwert, der TA Lärm für allgemeine Wohngebiete, tagsüber. Ein Windlagenhersteller wird aber nie auf den Tagwert gehen, weil er ja immer nachts, zwischen 22 und 6 Uhr, immer absenken müsste, kann er nicht. Sondern Bemessungsgrundlage ist immer der Nachtzeitraum. Und im Nachtzeitraum sind wir eher bei 35 dB im reinen Wohngebiet, 40 DB im Allgemeinen und 45 dB im Dorfgebiet."
Anette Kümmerle schüttelt angesichts der Zahlen den Kopf. 45 dBA im Dorfgebiet, das wäre der Wert für Hölzern. Viel zu laut! Ein Kühlschrank etwa liegt bei 30 dBA, ein Rasenmäher in zehn Meter Entfernung etwa bereits bei ungefähr 60 dBA. 45 dBA sind also gut hörbar.
"Im Endeffekt wird sein, wenn ich im Garten nicht mehr sitzen kann, um mich zu erholen, und nur noch bei geschlossenem Fenster mich im Haus aufhalten kann, weil es mich nervt, dann bleibt mir nichts anderes als wegzuziehen."

Lärm, Landschaft, Infraschall

Drei Monate später: ein Infoabend im Rahmen des Bürgerdialogs, im alten Schulhaus in Eberstadt.
"Das ist meine Person, Kristina Sinemus und – Jakob vielleicht stehst Du nochmal kurz auf?" "Schönen guten Abend!" "Und Jakob Lenz"
Etwa 100 Interessierte sind an diesem Montagabend gekommen. Die Eiseskälte bei der Exkursion auf den Horkenberg ist vergessen, heute steht die Hitze regelrecht unter dem Dach. Teamleiterin und Moderatorin Sinemus führt im ärmellosen Kleid durch die Veranstaltung.
"Heute der Infomarkt, bei dem wir unten verschiedene Aussteller, die ich ihnen nachher noch vorstelle, zu verschiedenen Themen, Ihnen Informationen weitergeben möchten. Und vorgeschaltet ist jetzt eine kleine Expertenrunde hier oben."
Eine der Expertinnen ist Caroline Herr, Professorin an der Universität München, Spezialistin im Bereich umweltbezogener Gesundheitsschutz. "Wie wirkt sich denn Schall oder Infraschall auf die Gesundheit aus?" fragt Moderatorin Sinemus die Fachfrau zu Beginn und diese holt zunächst weit aus, bis sie auf den Punkt kommt.
"Alle Studien, die es gibt in dem Bereich, sagen, Schall wird dann gesundheitsrelevant erst, wenn er zumindest mal hörbar ist. Es gibt also keine Untersuchungen, die hätten zeigen können, dass Infraschall oder auch anderer Schall unterhalb dieser Hörgrenze gesundheitsrelevant wird."

"Wer garantiert, dass keiner kank wird?"

Im Saal schütteln einige den Kopf, längst gibt es viele Wortmeldungen. Als erste ist Annette Kümmerle aus dem Forsthaus an der Reihe:
"Können Sie uns garantieren in Hölzern, dass keiner krank wird und gesundheitliche Beeinträchtigungen hat?" "Das wird kein Arzt Ihnen bestätigen. Es ist auch in der Wissenschaft so, dass jeder nächste Versuch, den ich zu einem Thema machen kann, wieder dazu führen kann, dass meine Hypothese widerlegt wird."
Einige Zuhörer schauen sich ratlos an. Ein Mann berichtet von seiner eigenen Recherchen: "Infraschall ist sehr wohl schädlich", sagt er und die Fachfrau fordert ihn auf: "Schicken Sie mir die Studien dazu." Die Fragen werden schärfer, Professorin Herr langsam ungeduldig.
Die Autobahn 2 abends, dahinter ein Windrad
Was schadet der Gesundheit mehr - das Auto oder das Windrad?© picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte
"Wir diskutieren hier stundenlang über Windenergie, aber keiner hat mich bisher darauf angesprochen, ob es besser wäre, wenn er morgen mal sein Auto zuhause lässt, auch das würde die Gesundheit sehr positiv beeinflussen."
Mit Blick auf den jahrzehntelangen Kohleabbau im Ruhrgebiet stellt sie fest: "Das war ein ganz anderer Eingriff in die Natur."
Eine Weile wird hitzig diskutiert, dann verlässt Caroline Herr die Veranstaltung, bereits zu Beginn hatte sie angekündigt, nicht bis zum Ende bleiben zu können. Weitere Experten stellen sich den Fragen der Eberstädter und Hölzerner, dann geht es zwei Etagen tiefer weiter.

Was wird mit dem Milan?

In früheren Klassenzimmern stehen marktähnliche Stände. Das Landratsamt Heilbronn etwa hat eine Expertin geschickt, die alles um Genehmigungsverfahren von Windkraftanlagen erklärt. BUND und NABU sind mit einem großen Stand vertreten und viele zieht es dorthin. Ein Mann um die 80 Jahre alt steht bei einer Naturschutzexpertin.
"Und was machen wir mit dem Milan? Der Milan ist der einzige Vogel, der beim Fliegen nach unten guckt."
Die Naturschutzexpertin will gerade antworten, da schaltet sich eine Gemeinderätin ein. "Und was haben Sie für eine Alternative? Wie können wir es schaffen, die Umwelt zu erhalten? Energiesparen wollen die Leute ja nicht!" "Sparen Sie?" kontert der Senior verblüffend schnell.
Die Naturschutzexpertin geht dazwischen und lenkt das Gespräch wieder auf den Milan. "Beim Jagdflug, bei der Balz, konzentriert er sich eben nicht darauf, was passiert vor ihm, da haben Sie vollkommen recht, und dadurch kann es passieren, dass er eben mit den Anlagen kollidiert und auch zu Tode kommt."
Die Expertin verweist auf entsprechende Gutachten, die auch mit Blick auf die Vögel gemacht werden, bevor Windkraftanlagen an einem Ort aufgebaut werden. Der ältere Mann schaut fast zufrieden aus, als er den Stand verlässt. Zwei Etagen höher werden gleich darauf die Ergebnisse des Infomarktes von allen Experten zusammengefasst. Die Kirchenglocke schlägt neun Uhr, draußen wird es dunkel, ein letztes Mal greift Moderatorin Sinemus zum Mikrofon.
"Dann bedanke ich mich insbesondere bei Ihnen ganz herzlich, die bei gefühlten 40 Grad hier mit diskutiert und engagiert waren."
Ein Mann mittleren Alters, er ist während der Diskussion vor allem durch hitzige Redebeiträge aufgefallen, steht plötzlich auf und ruft mit Blick auf die Teamleiterin: "Und Ihnen vielen Dank für Ihr wunderbares Engagement."
Es war die letzte Veranstaltung im Bürgerdialog vor der Abstimmung im Gemeinderat. Monika Bunse von der grünen Bürgerliste sagt beim Gehen: "Ich will nicht auf Teufel komm raus etwas durchsetzen. Aber ich glaube, die paar, die da jetzt vehement dagegen sind, die halt sehr laut sind, das ist nicht die Mehrheit. Die, die dafür sind, die kommen halt nicht, und sagen nichts."
Gemeinderätin Monika Trunk von der Fraktion CDU und Freie kommt die Treppe herunter. Sie sieht das anders.
"Also heute jetzt, von denen, die gesprochen haben, ist die Mehrheit ja wohl eher negativ eingestellt." Die Gemeinderätin aus Hölzern will, anders als ihr Parteifreund Pfeifer aus Hölzern, gegen den Bau von Windkraftanlagen stimmen. "Ich sehe noch nicht genau, dass das bei uns wirtschaftlich ist. Als Hölzerner, wir haben die Straße, die Autobahn, auf der anderen Seite jetzt noch Windräder. Man hat so das Gefühl, man kriegt alles nach Hölzern geschoben."

Am Ende entscheidet der Gemeinderat

Rund sieben Wochen später sitzen 14 Gemeinderäte im Sitzungssaal des Rathauses in Eberstadt. Sie wollen heute zu einer Entscheidung kommen. Etwa 20 Zuhörer sind gekommen, darunter auch Anna-Lisa Englisch aus Hölzern und das Ehepaar Kümmerle aus dem Forsthaus. Bürgermeister Franczak trägt den Grundsatzbeschluss vor, über den die Gemeinderäte gleich abstimmen werden. Das Papier sieht einen Kompromiss vor, den das Team vom Forum Energiedialog maßgeblich mit auf den Weg gebracht hat: Die nächtliche Lärmbelastung darf bei künftigen Windrädern auf dem Bergfeld 42 dB(A) nicht überschreiten, üblich sind in diesem Bereich sonst sind 45 dB(A). Außerdem darf der Abstand zur nächsten Wohnbebauung in Hölzern nicht unter 700 Meter sinken. Reihum begründen die Gemeinderäte ihr ja oder nein zum Thema Windkraftanlagen auf dem Bergfeld.
Am Ende wird abgestimmt. Zehn Gemeinderäte halten die Hand nach oben, darunter auch der Bürgermeister.
"Gegenprobe: Wer ist dagegen? Bei 5 Gegenstimmen so beschlossen."
In den Zuhörerreihen bleibt es ruhig. Unter den ersten verlässt das Ehepaar Kümmerle den Sitzungssaal und bleibt draußen auf der Rathaustreppe stehen. Matthias Kümmerle lächelt ein wenig.
"Ein bisschen beruhigt mich, dass der Abstand entsprechend festgesetzt worden ist, die 700 Meter von der ersten Bebauung, sonst wäre mein Haus die 700 Meter gewesen. Jetzt bin ich circa einen Kilometer weg, das beruhigt mich ein Stück weit. Die Entfernung wird größer werden, das heißt, die Lärmbelästigung, die wir erwartet haben, wird bei uns deutlich geringer werden."
Kümmerles Nachbarin, Anna-Lisa Englisch kommt jetzt auch aus dem Rathaus. Sie lobt im Großen und Ganzen das Verfahren.
"Ich fand es auch gut, Externe mit einzubeziehen, gerade das Forum Energiedialog, finde ich einfach gut, da hat auch die Gemeinde einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, die Bürger mitzunehmen, weil das wäre sonst explodiert."
"Ich bin enttäuscht", gibt Annette Kümmerle zu. "Ich kann nach wie vor nicht damit leben, aber ich muss mich dem beugen. Vor allem bin ich enttäuscht, dass von Seiten der grünen Bürgerliste, das Thema Umweltschutz und Artenschutz überhaupt nicht zur Debatte stand."
Immer mehr Zuhörer kommen jetzt aus dem Sitzungssaal hinaus auf die Rathaustreppe. Matthias Kümmerle glaubt, dass die gebotene Neutralität beim Bürgerdialog teilweise gefehlt hat. "Die Veranstaltungen, die wir hatten, mit den Experten, könnte man ein Stück weit anders gestalten, dass man halt auch Pro und Contra hat. Die Experten, die da waren, die waren aus meiner Sicht alle dafür."

Jedes Ergebnis ist hart erarbeitet

Ob die Kümmerles in ihrem Forsthaus bleiben oder angesichts der Windräder doch lieber verkaufen, ist noch nicht ausgemacht. Frau Kümmerle hat sich umgesehen und ist ernüchtert.
"Wir haben jetzt bemerkt beim Fragen in anderen Gemeinden und auch bei der Suche nach Häusern oder Bauplätzen: es ist überall das gleiche Problem, egal welche Gemeindeverwaltung ich frage. 'Ja, wir haben das und das in Planung.' Also man kommt wahrscheinlich vom Regen in die Traufe."
Nun kommt Teamkoordinator Jakob Lenz die Treppe herunter, er hat seine Mission in Eberstadt beendet und den nächsten Auftrag schon auf dem Tisch. Jede Gemeinde ist anders, jedes Ergebnis – egal ob pro oder contra – hart erarbeitet.
"Ich bin erleichtert, dass die hitzigen Debatten bei den öffentlichen Formaten stattgefunden haben, dass wir jetzt im Gemeinderat eine sachliche Diskussion hatten, dass alle Fraktionen und Gemeinderäte in der Lage waren, ihre Entscheidungen zu begründen. Darüber hinaus freut mich, dass die Betroffenen diesen Weg mitgegangen sind und jetzt das Ergebnis auch als einen Kompromiss akzeptieren können."
Wann sich die ersten Windräder auf dem Bergfeld drehen, ist noch offen. Jetzt muss sich erst ein Investor finden, dann folgen etliche Gutachten. Das alles dauert bis zu drei Jahre. Ein langer Weg bis zur Energiewende, wenn man bedenkt, dass es auf dem Bergfeld um zwei Windräder geht. Will Deutschland seine Ziele umsetzen, dann braucht es geschätzte 40.000 Windräder.
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