Erneuerbare Energien

Schwierige Windernte in rauer See

Auf dem Arbeitsdeck des Installationsschiffs "Victoria Mathias" stehen die Turmsegmente für Offshore-Windkraftanlagen.
Auf dem Arbeitsdeck des Installationsschiffs "Victoria Mathias" stehen die Turmsegmente für Offshore-Windkraftanlagen. © Deutschlandradio / Axel Schröder
Von Axel Schröder · 06.10.2014
Naturgewalten, Wind und Wellen: Die Planer der Offshore-Windparks mussten erst lernen, damit zurechtzukommen. Dabei sind die deutschen Küsten eigentlich prädestiniert für die Energiegewinnung mit Wind - doch man hinkt bereits zwei Jahre hinterher.
Tief unten glitzern die Wellen der Deutschen Bucht unter dem klarblauen Himmel. Winzig klein: Containerriesen, hintereinander aufgereiht in Richtung Elbmündung unterwegs. Der Hubschrauberflug von Wilhelmshaven auf die Kraftwerksbaustellen 60 Kilometer vor der friesischen Küste dauert eine halbe Stunde. Die ersten Windräder sind in Sicht. Viele schon fertig montiert, bei einigen steht erst der Turm, bei anderen werden gerade die Rotorblätter montiert. – Ganz sanft setzt der Hubschrauber auf dem Landedeck der "Victoria Mathias" auf, einem sogenannten Errichterschiff, einer Mischung aus Schiff und Arbeitsplattform, ein bisschen kleiner als ein Fußballfeld.
Auf vier ausfahrbaren Stahlbeinen ragt das Installationsschiff aus dem Wasser, 20 Meter über der Meeresoberfläche. Auf dem Arbeitsdeck steht der Projektchef des Windparks "Nordsee Ost" Heiner Strauß. Bauhelm auf dem Kopf, Sicherheitsschuhe, gelbe Warnweste:
"Wir stehen jetzt auf dem Hauptdeck des Installationsschiffs, der 'Victoria Mathias'. Wir stehen dicht an dem zu errichtenden Turm. Ein Turmsegment steht schon. Das Zweite wird innerhalb der nächsten Stunde platziert werden."
Die Planung dem Wetter anpassen
Heiner Strauß schaut hoch zum mächtigen Kranhaken. Langsam senkt ihn der Kranführer aufs Deck. Das zweite Turmstück, 60 Tonnen schwer, wird für die Montage vorbereitet. Der Windpark Nordsee Ost ist das erste Kraftwerksprojekt von RWE Innogy, einer Tochterfirma von RWE, in der deutschen See. Drei Windparks hat der Konzern schon vor der britischen, einen vor der belgischen Küste gebaut. Mit Problemen und Unwägbarkeiten, die – verglichen mit der Windrad-Installation an Land – kaum berechenbar sind. Die Logistik ist komplexer und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Offshore-Parks variiert je nach politischer Lage und den Launen der jeweiligen Länderregierungen. Demgegenüber ist das Wetter fast besser vorherzusagen.
Heiner Strauß: "Wir haben einen sehr, sehr schwierigen Sommer gehabt. Der sah zwar gut aus. Aber wir hatten sehr oft hohe Windstärken. Wir hatten mehr Wind als im Jahresdurchschnitt normalerweise sein sollte im Sommer. Das hat dazu geführt hat, dass wir auch Flügel im Zweifel nicht so schnell installieren konnten, wie wir das wollten."
Und deshalb musste die Bauplanung dem Wetter angepasst werden. Heiner Strauß und sein Team haben für diese Fälle nicht nur einen Plan B, sondern gleich noch einen Plan C in der Schublade. Wegen des starken Winds hat die Mannschaft auf der "Victoria Mathias" im Sommer kaum noch Rotorblätter installiert, sondern erst einmal alle Türme und dann die Turbinen auf den Türmen aufgebaut, um keine Zeit zu verlieren. Die Männer, die das bewerkstelligen, tragen signalgelbe Overalls, Walkie-Talkies am Revers, dunkle Sonnenbrillen. Schwerlastspezialisten, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen:
Heiner Strauß: "Die Leute sind extrem erfahren. Sie werden hier auch nicht sehen, dass irgendjemand läuft oder so. Man denkt immer: Das kostet alles ein Heidengeld, jede Stunde. Und trotzdem behalten die Jungs die Ruhe. Und das ist auch gut so. Das kann einen manchmal ein bisschen nerven, wenn man das Geld laufen sieht. Aber am Ende ist es notwendig, um das sicher zu machen. Und nichts würde uns mehr aufhalten als hier irgendein Unfall."
18.000 Arbeitsplätze sind bisher entstanden
An der deutschen Küste wurden erst vor zehn Jahren die ersten Fabriken für Rotorblätter, für Fundamente und die mächtigen Turbinen gebaut. Für die Aufbau- und Wartungsteams entstanden Schulungszentren, in denen dem überwiegend männlichen Offshore-Personal beigebracht wurde, welche Gefahren beim Arbeiten auf hoher See bestehen, wie man gekenterte Rettungsinseln wieder aufrichtet, wie man sich verhalten soll, wenn der Hubschrauber auf dem Weg zu den Installationsschiffen ins Meer stürzt.
Rund 18.000 Arbeitsplätze sind so in ganz Deutschland entstanden, erklärt Ronny Meyer von der Windenergieagentur, dem Branchenverband der Offshore-Windkraft-Unternehmen:
"Die Offshore-Windindustrie in Deutschland ist relativ breit aufgestellt. Wir haben großen Bedarf an Qualifizierung, an Forschung und Entwicklung. Das findet im Nordwesten sehr stark statt. Wir brauchen Spezialschiffe, die werden derzeit in Korea gebaut, aber haben trotzdem 60 Prozent deutsche Wertschöpfung. Wir brauchen die Häfen. Bremerhaven und Cuxhaven. Wir brauchen dort die Zulieferindustrie, die Hafenflächen. Wir brauchen aber auch Getriebe aus Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen Schaltschränke, Elektrogeräte aus Bayern und Baden-Württemberg. Wir brauchen auch die Steuerberater, die sich darauf spezialisieren. Wir brauchen die Rechtsanwälte für die Verträge und wir brauchen die Versicherungen."
Über die Chancen und Hindernisse deutscher Offshore-Windparks wurde zuletzt auf der "Windenergy 2014" heiß diskutiert. Ende September fand die Messe zum ersten Mal in Hamburg statt, begleitet von Konferenzen und Workshops.
Begeistert von den Bedingungen in der Deutschen Bucht ist Iris Franco Fratini, Sprecherin des dänischen Staatsunternehmens Dong Energy:
"Insgesamt ist der Offshore-Markt in Deutschland sehr positiv. Deutschland ist geradezu prädestiniert für Offshore-Wind: Der Wind ist da, die Bodenqualitäten sind sehr gut. Im Grunde spräche eigentlich nichts dagegen."
Zurückhaltender als in Dänemark und Großbritannien
Aber ähnlich in Fahrt wie in Dänemark oder Großbritannien kommt der deutsche Offshore-Windmarkt nicht. Für fast 40 Projekte hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie Baugenehmigungen erteilt. Aber erst neun Parks sind fertiggestellt oder im Bau. Die Zurückhaltung erklärt sich durch die Verunsicherung der Branche durch die deutsche Politik. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte, allen voran die einstigen Minister Philip Rösler, Wirtschaft, und Peter Altmaier, Umwelt, vorgeschlagen, die Fördersätze für Offshore-Windstrom zu kappen. Auch rückwirkend für bereits durchgeplante, durchfinanzierte Parks.
Die gesamte, gerade neu gewachsene Branche war verunsichert, erklärt Ronny Meyer von der Windenergie-Agentur, dem Branchenverband der Offshore-Wind-Industrie:
"Es gab keine weiteren Aufträge bei den Zulieferern und alle haben ihre Projekte auf 'Warten' gestellt. Und das war keine gute Situation. Das hat auch Arbeitsplätze nicht nur gefährdet, sondern auch wirklich abgebaut. Die Industrie hat Arbeitsplätze abbauen müssen, weil Aufträge fehlten."
Dazu kamen Verzögerungen beim Netzanschluss der Windparks. Der Strom, mit dem die bis zu 1,5 Milliarden Euro schweren Projekte endlich Geld in die Kassen der Investoren spülen sollten, konnte nicht abtransportiert werden. Mittlerweile hat die Politik reagiert: Die Fördersätze sind bis 2019 festgeschrieben, die Termine für die Netzanschlüsse stehen fest. Zwar werden die nächsten Offshore-Windprojekte nun vorangetrieben. Aber mit Ausnahme der baden-württembergischen EnBW halten sich die großen deutschen Stromkonzerne beim Bau neuer Parks, zurück. 85 Prozent am Projekt Nordsee One wurden Anfang September an das kanadische Unternehmen Northland Power verkauft. (Korrektur: Manuskript weicht an dieser Stelle von der gesendeten Fassung ab.)
Wie sieht die Förderung zukünftig aus?
Dass das bisherige Förderinstrumentarium mit seinen festen Vergütungssätzen pro Kilowattstunde in sechs Jahren durch ein sogenanntes Auktionsmodell abgelöst werden soll, ist für Ronny Meyer von der Windenergieagentur ein richtiger Schritt. Allerdings müsse das federführende Bundeswirtschaftsministerium möglichst schnell klären, wie die Förderung nach 2020 genau aussehen soll:
Ronny Meyer:"Klingt noch weit weg, 2020. Aber sie müssen heute eigentlich wissen, wie die Förderung 2020 und danach aussieht. Weil sie heute anfangen, diese Projekte zu machen. Wir haben lange Vorlaufzeiten bei Offshore. Das ist anders als bei Solar oder Onshore. Und deshalb müssen wir heute Klarheit haben. Sonst kommen wir wieder in eine Stillstandssituation und das können wir uns nicht noch mal erlauben!"
Bisher sind nur die Grundzüge des neuen Fördersystems bekannt: Wie in einer Auktion sollen ab 2020 die Windpark-Konzessionen vergeben werden: die Projekte, die am wenigsten Fördergelder benötigen, sollen dann den Zuschlag bekommen. Fest vergütet wird dann noch immer jede an Land gelieferte Kilowattstunde Strom. Mit möglichst geringen Subventionen. Die Details der Regelung hat das Bundeswirtschaftsministerium bislang nicht ausgearbeitet. Potentiellen Investoren fehlen klare Rahmenbedingungen, um über 2020 hinaus Offshore-Windparks zu planen.
Die Kolosse werden millimetergenau montiert
Gleich soll das zweite Turmstück mit dem schiffseigenen Kran installiert werden. Die "Victoria Mathias" steht mit der Bordwand nur wenige Meter neben dem leuchtend gelben Stahlfundament, dass schon vor Monaten auf dem Meeresgrund verankert wurde. Jetzt hebt der Kran, Zentimeter für Zentimeter, das zweite Turmteil vom Deck der "Viktoria Mathias".
Installation einer 350-Tonnen-Turbine mit dem Installationsschiff "Victoria Mathias" im Windpark Nordsee Ost.
Installation einer 350-Tonnen-Turbine mit dem Installationsschiff "Victoria Mathias" im Windpark Nordsee Ost.© Deutschlandradio / Axel Schröder
Zwanzig Minuten später schwebt der 40 Meter lange Koloss nur noch einen halben Meter über dem schon montierten Turmstück. In dessen Spitze sitzen drei Schwerlastarbeiter, geben dem Kranführer klare Kommandos.
Projektleiter Heiner Strauß steht neben Signe Nielsen, beobachtet, wie der Spalt zwischen den Turmsegmenten immer kleiner wird.
Heiner Strauß: "Und jetzt hat er wahrscheinlich schon sämtliche Bewegung aus dem Kran herausgenommen. Und jetzt wird ein bisschen dauern, bis alles positioniert ist."
Aber da sitzen oben Menschen drin, die sagen: Rechts, links, oben, unten?
"Genau."
Und nicht auf einen halben Meter, sondern auf den Zentimeter?
"Auf den Zentimeter. Ja. Eher auf den Millimeter nachher. Es sind Führungsbolzen da, die das so ein bisschen unterstützen. Aber die können nicht zehn Zentimeter ausgleichen. Das geht nicht."
Immer dünner wird der Spalt zwischen den mächtigen Stahlröhren, lautlos setzt der Kranführer den 200-Tonnen-Turm auf sein Gegenstück. Unten auf dem Arbeitsdeck atmet Heiner Strauß kurz durch. Was war das jetzt für ein Geräusch?
Heiner Strauß: "Das war ein sehr schönes Geräusch! Weil sie da hören, dass die Schrauben angezogen werden von diesem Turmteil. Es ist jetzt hundertprozentig an der richtigen Position und die Leute gehen jetzt bei und schrauben diese Schrauben fest."
Schwere hydraulische Schraubenschlüssel sind nötig, um die armdicken Schrauben anzuziehen. Sie sorgen für Stabilität, wenn im Herbst und Frühjahr Sturm- und Orkanböen über die Nordsee fegen. Wind und Wellen zum Trotz ist das Projekt Nordsee Ost fast im Zeitplan. Und die Arbeiten am nächsten Park, Nordsee One, sollen im Frühjahr starten.
Trotzdem bleibt Heiner Strauß skeptisch, ob nach den bewältigten Startschwierigkeiten der Offshore-Parks in der deutschen See der Ausbau nun schneller vorankommt:
"Uns fehlt die Stetigkeit in diesem Geschäft! Die Zulieferer haben investiert und es gibt einige Zulieferer, die jetzt wieder aufgeben müssen. Und wenn sie nicht ganz aufgeben, konzentrieren sie sich auf andere Felder. Es ist Logistik geschaffen worden, es sind Schiffe jetzt im Markt – das war früher ein Engpass. Wir haben Häfen mittlerweile auch, sodass wir eigentlich arbeiten können. Aber es ist, um jetzt wirklich so ganz groß durchzustarten, haben wir die letzten zwei Jahre verpasst! Da sind keine Entscheidungen getroffen worden, da dieser oder jener jetzt baut. Es wird sicherlich bis 2017 noch einiges geben, was gebaut wird und dann weiter sicherlich auch. Aber, ich kann nur sagen: Von der Logistik her, vom technischen Vermögen, von der Erfahrung her können wir’s heute!"
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