Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR

Getäuscht, ausgenutzt – und nicht entschädigt

05:30 Minuten
Vertragsarbeiter aus Mosambik vor ihrer Ausreise aus der DDR 1984
Arbeiter aus Mosambik vor ihrer Ausreise aus der DDR im Jahr 1984 - bis heute haben sie versprochene Renten nicht erhalten. © David Macou
Von Christiane Habermalz · 13.04.2021
Audio herunterladen
Rund 17.000 mosambikanische Vertragsarbeiter kamen in die DDR, um dort eine Ausbildung zu erhalten. Viele wurden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Damit sie nun Teile ihres Lohns und Renten erhalten, setzen sich Wissenschaftler für sie ein.
Christine Bartlitz beschäftigt sich als Historikerin vor allem mit Fotoarchiven. Ende letzten Jahres sah sie auf einer Tagung zum ersten Mal eine Sammlung mit Aufnahmen der mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR. Vor allem Privatfotos, die sie nach Hause geschickt hatten, und die sie als stolze Arbeiter im sozialistischen Bruderland zeigen.

Fotos als Beweise

"Es gibt Schnappschüsse von einem Ausflug nach Werder. Es gibt einen Mann, der in ein Fotoatelier gegangen ist und dort Fotos von sich machen lassen hat. Und wir waren alle ganz begeistert von diesen Fotos, die ja für uns Historiker Quellen sind, historiografische Quellen."
Das sagt Bartlitz, die am Leibniz-Institut für Zeithistorische Forschung in Potsdam arbeitet. Bald kam unter den Wissenschaftlern die Frage auf, ob aus der Forschung am Schicksal der sogenannten "Madgermanes" nicht auch eine ethische Verantwortung erwächst.

Fehler im Einigungsvertrag

"Für die Menschen sind diese Fotos natürlich auch ein Beweis ihres Unrechts, ein Zeichen, dass ihnen Unrecht geschehen ist", erklärt Christine Bartlitz. "Und wir können jetzt als Historikerinnen und Historiker einfach nur sagen, toll, wir nutzen diese Fotos, dann machen wir unsere Forschungsprojekte, schreiben unsere Bücher, aber was mit den Menschen ist, das kümmert uns nicht.""

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabel Enzenbach von der TU Berlin hat sie nun einen offenen Brief an die Bundesregierung initiiert, in der diese aufgefordert wird, rasche und unbürokratische Entschädigungszahlungen an die Betroffenen zu leisten. Zu den Erstunterzeichnern gehören rund 100 Historiker, die vor allem zu DDR-Geschichte, Erinnerungskultur und Migrationsgeschichte forschen.
"Weil zum Beispiel im Einigungsvertrag ist das Thema vollkommen ausgeklammert worden", sagt Christine Bartlitz. "Und zum Beispiel auch die Gewerkschaften, die Reste des FDGB und auch der DGB haben das nie auf ihrer Agenda gehabt, sich für diese Menschen einzusetzen. Man muss letztlich sagen, dass das niemanden interessiert hat. Sie waren letztlich ein Opfer der Wiedervereinigung."
Arbeiter aus Mosambik stehen bei einem Ausflug in der DDR vor gefällten Baumstämmen
FDGB Erholungsheim Ferch 1985© David Macou

"Madgermanes" protestieren seit Jahrzehnten

In Deutschland erinnern zahlreiche Gedenkstätten an das Unrecht des SED-Regimes. Doch das Kapitel der sogenannten "Madgermanes" kommt nirgends vor. "Madgermanes", die Deutschen, so werden sie in ihrer afrikanischen Heimat genannt.
Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter protestieren am Boden sitzend in Mosambik.
Seit über 30 Jahren: Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter demonstrieren in Mosambik.© Julia Oelkers
Seit über 30 Jahren gehen viele von ihnen dort einmal die Woche auf die Straße, um gegen das Unrecht zu protestieren, das ihnen widerfahren ist – von ihrer eigenen und der DDR-Regierung.

Leere Versprechungen und leere Konten

Von den etwa 17.000 mosambikanischen Vertragsarbeitern erlebten viele Ausgrenzung und Rassismus, statt der versprochenen Qualifikation wurden sie häufig nur als billige Fabrikarbeitskräfte eingesetzt. Und: Ein Teil ihres Lohns – zwischen 25 und 60 Prozent oberhalb eines Sockelbetrags von 350 DDR-Mark – wurde einbehalten. Mit dem Versprechen, es werde auf ein Konto eingezahlt, auf das sie nach ihrer Rückkehr in Mosambik zurückgreifen könnten.
Doch als sie nach 1989 zurückgeschickt wurden, waren die meisten dieser Konten leer. Auch ihre Renten, in die sie eingezahlt hatten, erhielten sie nie.
"Die haben wirklich nichts! Die sind die Ärmsten der Armen in Mosambik, obwohl sie mal im Ausland gewesen sind. Sie waren die Hoffnung der Nation, und jetzt sind sie vielleicht die Verlierer der Nation."
Das sagt Joao Adelino Massuvira, der selbst im Alter von 19 Jahren als Vertragsarbeiter in die DDR kam. Anders als die meisten, denen nach der Wende sofort die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wurde, gelang es ihm, in Deutschland zu bleiben.
Heute arbeitet er als Diakon und Integrationsbeauftragter des Kirchenkreises Henneberger Land für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Lange blieb unklar, was aus dem Geld geworden war.

Staatsschulden und Löhne wurden gegengerechnet

Doch neuere Forschungen ergaben, dass die Honecker-Regierung die Löhne der Vertragsarbeiter mit den Staatsschulden der jungen Republik Mosambik bei der DDR verrechnet hatte. Es ging Berlin vor allem um Devisenbeschaffung, erklärt Hans-Joachim Döring, der sich für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland seit Langem für die Interessen der "Madgermanes" einsetzt.
"Das war eine der Hauptmotivationen, weswegen die Vertragsarbeiter seit 1979 in die DDR eingeladen wurden", sagt er. "Dass sie dazu bestimmt waren, mit einem Teil ihres Lohnes diese Kredite abzuarbeiten. Das wurde ihnen aber nicht gesagt, und das ist eine grobe Täuschung oder auch ein Betrug, so sehen wir das heute."
Wir waren nichts anderes als moderne Sklaven, so sieht es Joao Adelino Massuvira. In den 1990er-Jahren zahlte die Bundesrepublik zwar eine vergleichsweise niedrige Summe von 70 Millionen Euro aus Entwicklungshilfegeldern "als Heilung" des Unrechts an die mosambikanische Regierung – doch ohne eine Zweckbindung zu vereinbaren, der Großteil des Geldes versickerte in korrupten Kanälen in Maputo.

Offener Brief an die Bundesregierung

Dennoch sieht die Bundesregierung das Thema als abgegolten an – und als "innermosambikanische Angelegenheit." Das genügt nicht, sagen die Betroffenen – und nun auch die rund 100 Wissenschaftler.
"Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist es überfällig, das Unrecht, das diese Menschen erlitten haben, anzuerkennen und finanzielle Entschädigung zu leisten", heißt es in dem offenen Brief. Nächste Woche soll er an die Bundesregierung übergeben werden.
Mehr zum Thema