Mordlust und vergiftender Neid
Das Märchen von Wilhelm Hauff über das "Kalte Herz" ist der Bezugspunkt für viele Aspekte von Innenweltvermüllung und Innenweltzerstörungen, die der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer benennt.
Er beschreibt den modernen Mensch als "Täter und Opfer zugleich", der nicht nur unsere Welt verseucht, sondern in den Liebesbeziehungen, Eltern-Kind-Verhältnissen, in den Betrieben und in Nachbarschaftskontakten "Empathie durch trendige Normierung ersetzt".
Es geht uns immer stärker um den Preis und nicht um den Wert von Beziehungen. Und dieser Preis wird bestimmt von realem Geld, realer Macht und dem nie zufriedenen und nie gestillten Narzissmus.
Schmidbauer nennt es die "Droge Kapitalismus", die zunächst – wie jede Sucht – stärker macht, wohinter jedoch die panische Angst vor dem Entzug lauert, welche wiederum manisch abgewehrt werden muss.
Das "kalte Herz" nennt man heutzutage Depression – das "kalte Herz", welches in der Dunkelheit nur um sich selbst kreist, welches nicht mit seinem Gegenüber oder dem Positiven der Welt mitschwingt, sondern erstarrt, leblos, ängstlich und leer ist:
"Das hängt mit Störungen der Aggressionsverarbeitung zusammen, mit dem Teufelskreis des Perfektionismus. Wer als Kind so massiv gekränkt wurde, dass er seine eigene Wut als mörderisch erlebte (und dadurch auch seine Bezugspersonen als mordlustig imaginieren musste), sucht später den perfekten Frieden, die perfekte Harmonie. Dann gibt es aber keine kleinen, harmlosen, gut lösbaren Streitigkeiten mehr, sondern nur noch Katastrophen… in solchen Versteinerungen erkennt man den lebensfeindlichen Wunsch, keine Fehler zu machen. Leistung und Erfolg werden absolut gesetzt und sollen das ganze Leben prägen. Der Depressive spaltet auf, seine Stimmung kippt von dem manischen Überschwang, er könne alles schaffen und richten, in die depressive Verzweiflung, ihm gelinge das einfachste nicht."
Hinzu kommt z.B. bei Kindern und Jugendlichen, dass "sie es ertragen müssen, in fast allem nutzlos zu sein". In Afrika muss jedes Kind beim Wasserholen und Ziegenhüten mithelfen und wird keine Depression bekommen. Bei uns ist die Suizidrate bei Jugendlichen extrem hoch, bei jungen Männern acht Mal höher als bei Mädchen. Einer der Gründe: Das Gefühl, zu nichts nütze zu sein, nichts anpacken zu dürfen, sich nicht beweisen zu können – außer durch Schulnoten.
Die Geldwirtschaft führt zu Depressionen und die werden abgewehrt durch die Manie, d.h. den Größenwahn. Eine Form dieser Abwehr sind die Süchte: Drogen, Alkohol, süchtiges Arbeiten, Mediennutzung, süchtiges Kaufen und süchtiges Telefonieren.
Eine andere Variante ist die "Identifizierung mit einer mächtigen Gestalt", die das eigene brüchige Selbst erhöhen soll. Heute sind es vorzugsweise Mediengestalten, aber auch jeder Guru, jeder Anführer kann diese Aufgabe übernehmen. Und die dritte Abwehrform läuft über das Geld, welches Sicherheit zu schaffen scheint. Geld zu haben heißt in der Fantasie: Freunde zu haben, sich nicht von anderen abhängig machen zu müssen, sondern sich Hilfe kaufen zu können. Geld ebenso wie Leistungen und Ruhm stützen das Selbst rasch, aber befestigen keineswegs langfristig.
Um das fragile Selbstwertgefühl zu stabilisieren, haben wir nämlich zwei Methoden. Die erste ist die symbiotische: Das Kind erlebt sich als zur Mutter und ihrer Macht gehörend und kann deswegen seine Ängste durch Verschmelzung lindern. Die reifere Methode ist die Empathie, die Einfühlung in andere. Doch das ist ein langer und auch langsamer Weg, auch der Entschleunigung.
"Die meisten Menschen würden betonen, dass emotionale Beziehungen wichtiger sind als Geld. Aber sie handeln nicht nach dieser Einsicht. Das hat damit zu tun, dass die kontrollierbare, symbiotische Stütze des Selbstgefühls schneller verfügbar ist als die wachsende, empathische. So erfüllen Geld und Ruhm für den zivilisierten Erwachsenen symbiotische Aufgaben; er kann sich ihrer schnell und gefahrlos vergewissern."
Was uns fehlt, so Schmidbauer und viele Therapeuten, ist Dankbarkeit, denn sie ist das beste Gegenmittel gegen Depressionen, sie schützt vor dem vergiftenden Neid, der Angst, dem Hass. Auch werden dann andere Menschen nicht als Feinde erlebt und die normalen Probleme des Lebens nicht als abgrundtiefe Kränkungen:
"Wir bräuchten eine wachsende Kompetenz, Kränkungen zu verarbeiten. Immer größere Bereiche unserer Umwelt werden durch die Globalisierung verstörend unberechenbar. Durch eine verwöhnende Warenwelt schwinden auch die Fähigkeiten, Kränkungen zu ertragen."
Was könnte helfen? Was hilft gegen die Verwöhnung bis hin zur Lebensbehinderung? Schmidbauer nennt es "empathische Versagungen" und meint, dass man Kindern mehr abverlangen sollte. Sie müssen lernen, mit Kränkungen des Alltages umzugehen. Und das geht am besten, wenn beide Eltern vorhanden sind und helfen können, diese zu verarbeiten.
Politiker stimmen unermesslich hohen Schulden zu, besitzen aber meist keinerlei Empathie in die wirklichen Bedürfnisse der Menschen und späteren Generationen. Da wird die Gier nach Geld, Ruhm und gewonnenen Wahlen zum Antrieb für die kurzfristige Stabilisierung des Selbst und des Narzissmus. Und wir Wähler, wir schauen weg! Auch deswegen gilt es, so Schmidbauer, beständig daran zu arbeiten, den kaltherzigen Verbraucher des Planeten wieder zu einem mitfühlenden Homo sapiens zu machen.
Wolfgang Schmidbauer: "Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle". Murmann-Verlag, Hamburg 2011
Es geht uns immer stärker um den Preis und nicht um den Wert von Beziehungen. Und dieser Preis wird bestimmt von realem Geld, realer Macht und dem nie zufriedenen und nie gestillten Narzissmus.
Schmidbauer nennt es die "Droge Kapitalismus", die zunächst – wie jede Sucht – stärker macht, wohinter jedoch die panische Angst vor dem Entzug lauert, welche wiederum manisch abgewehrt werden muss.
Das "kalte Herz" nennt man heutzutage Depression – das "kalte Herz", welches in der Dunkelheit nur um sich selbst kreist, welches nicht mit seinem Gegenüber oder dem Positiven der Welt mitschwingt, sondern erstarrt, leblos, ängstlich und leer ist:
"Das hängt mit Störungen der Aggressionsverarbeitung zusammen, mit dem Teufelskreis des Perfektionismus. Wer als Kind so massiv gekränkt wurde, dass er seine eigene Wut als mörderisch erlebte (und dadurch auch seine Bezugspersonen als mordlustig imaginieren musste), sucht später den perfekten Frieden, die perfekte Harmonie. Dann gibt es aber keine kleinen, harmlosen, gut lösbaren Streitigkeiten mehr, sondern nur noch Katastrophen… in solchen Versteinerungen erkennt man den lebensfeindlichen Wunsch, keine Fehler zu machen. Leistung und Erfolg werden absolut gesetzt und sollen das ganze Leben prägen. Der Depressive spaltet auf, seine Stimmung kippt von dem manischen Überschwang, er könne alles schaffen und richten, in die depressive Verzweiflung, ihm gelinge das einfachste nicht."
Hinzu kommt z.B. bei Kindern und Jugendlichen, dass "sie es ertragen müssen, in fast allem nutzlos zu sein". In Afrika muss jedes Kind beim Wasserholen und Ziegenhüten mithelfen und wird keine Depression bekommen. Bei uns ist die Suizidrate bei Jugendlichen extrem hoch, bei jungen Männern acht Mal höher als bei Mädchen. Einer der Gründe: Das Gefühl, zu nichts nütze zu sein, nichts anpacken zu dürfen, sich nicht beweisen zu können – außer durch Schulnoten.
Die Geldwirtschaft führt zu Depressionen und die werden abgewehrt durch die Manie, d.h. den Größenwahn. Eine Form dieser Abwehr sind die Süchte: Drogen, Alkohol, süchtiges Arbeiten, Mediennutzung, süchtiges Kaufen und süchtiges Telefonieren.
Eine andere Variante ist die "Identifizierung mit einer mächtigen Gestalt", die das eigene brüchige Selbst erhöhen soll. Heute sind es vorzugsweise Mediengestalten, aber auch jeder Guru, jeder Anführer kann diese Aufgabe übernehmen. Und die dritte Abwehrform läuft über das Geld, welches Sicherheit zu schaffen scheint. Geld zu haben heißt in der Fantasie: Freunde zu haben, sich nicht von anderen abhängig machen zu müssen, sondern sich Hilfe kaufen zu können. Geld ebenso wie Leistungen und Ruhm stützen das Selbst rasch, aber befestigen keineswegs langfristig.
Um das fragile Selbstwertgefühl zu stabilisieren, haben wir nämlich zwei Methoden. Die erste ist die symbiotische: Das Kind erlebt sich als zur Mutter und ihrer Macht gehörend und kann deswegen seine Ängste durch Verschmelzung lindern. Die reifere Methode ist die Empathie, die Einfühlung in andere. Doch das ist ein langer und auch langsamer Weg, auch der Entschleunigung.
"Die meisten Menschen würden betonen, dass emotionale Beziehungen wichtiger sind als Geld. Aber sie handeln nicht nach dieser Einsicht. Das hat damit zu tun, dass die kontrollierbare, symbiotische Stütze des Selbstgefühls schneller verfügbar ist als die wachsende, empathische. So erfüllen Geld und Ruhm für den zivilisierten Erwachsenen symbiotische Aufgaben; er kann sich ihrer schnell und gefahrlos vergewissern."
Was uns fehlt, so Schmidbauer und viele Therapeuten, ist Dankbarkeit, denn sie ist das beste Gegenmittel gegen Depressionen, sie schützt vor dem vergiftenden Neid, der Angst, dem Hass. Auch werden dann andere Menschen nicht als Feinde erlebt und die normalen Probleme des Lebens nicht als abgrundtiefe Kränkungen:
"Wir bräuchten eine wachsende Kompetenz, Kränkungen zu verarbeiten. Immer größere Bereiche unserer Umwelt werden durch die Globalisierung verstörend unberechenbar. Durch eine verwöhnende Warenwelt schwinden auch die Fähigkeiten, Kränkungen zu ertragen."
Was könnte helfen? Was hilft gegen die Verwöhnung bis hin zur Lebensbehinderung? Schmidbauer nennt es "empathische Versagungen" und meint, dass man Kindern mehr abverlangen sollte. Sie müssen lernen, mit Kränkungen des Alltages umzugehen. Und das geht am besten, wenn beide Eltern vorhanden sind und helfen können, diese zu verarbeiten.
Politiker stimmen unermesslich hohen Schulden zu, besitzen aber meist keinerlei Empathie in die wirklichen Bedürfnisse der Menschen und späteren Generationen. Da wird die Gier nach Geld, Ruhm und gewonnenen Wahlen zum Antrieb für die kurzfristige Stabilisierung des Selbst und des Narzissmus. Und wir Wähler, wir schauen weg! Auch deswegen gilt es, so Schmidbauer, beständig daran zu arbeiten, den kaltherzigen Verbraucher des Planeten wieder zu einem mitfühlenden Homo sapiens zu machen.
Wolfgang Schmidbauer: "Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle". Murmann-Verlag, Hamburg 2011

Cover Wolfgang Schmidbauer: "Das kalte Herz"© Murmann-Verlag