Zwischen Himmel und Hölle
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Er probiert, wie es schmeckt, macht sich gern darin schmutzig und ist einmal sogar fast darin ertrunken: Seit 25 Jahren erforscht der Niederländer Hans Joosten Moorlandschaften. Diese spielen für das Klima eine wichtige Rolle, die oft unterschätzt wird.
Eigentlich soll man nicht allein ins Moor gehen. Hans Joosten macht es trotzdem. Denn er findet meistens nicht genug "Verrückte", die mitkommen.
Einmal ist er fast in Moor ertrunken, in seiner niederländischen Heimat. "Das war 1980. Ich bin an einem Loch ausgerutscht. Dann habe ich versucht, mich an den Gräsern an der Seite rauszuziehen. Aber das ist mir nicht gelungen. Ich bin immer weiter runtergesackt, bis an die Kehle. Und dann habe ich das Bewusstsein verloren. Als ich wieder zu mir kam, lag ich draußen neben dem Loch. Ich dachte, etwas Überirdisches hat mich gerettet."
Erst Jahrzehnte später erhielt er eine Erklärung für seine Rettung. Überirdische Kräfte waren es nicht. Er kam wohl aus eigener Kraft heraus und verlor dann vor Anstrengung das Bewusstsein. Wenn das passiert, wird das Kurzzeitgedächtnis gelöscht, sagt Hans Joosten. Das wusste er aber damals noch nicht.
Moore speichern unglaubliche Mengen an CO2
Seit einem Vierteljahrhundert erforscht der Greifswalder Moorkundler und Paläoökologe das Moor in all seinen Facetten. Er wird vor allem nicht müde, auf die Bedeutung der Moore für das Klima hinzuweisen. Obwohl sie nur drei Prozent der Erdoberfläche ausmachen, speichern sie unglaubliche Mengen an Kohlenstoff, sagt der Wissenschaftler:
"Sie enthalten doppelt so viel Kohlenstoff wie die Biomasse aller Wälder – und die machen immerhin dreißig Prozent aus. Der Kohlenstoff ist in einem Moor gut gebunden, aber sobald man es zerstört, verändert es sich massiv. Man muss sich das vorstellen wie eine Bombe, die dann hochgeht."
Die meisten Menschen haben keine Vorstellung davon, wie nass Moore sind. Sie bestehen zu 95 % aus Wasser, haben mehr Flüssigkeit als Milch oder Bier. Jahrhundertelang wurden sie trockengelegt und als Acker- und Weideland sowie zur Torfgewinnung genutzt.
In Deutschland sind 98 Prozent der Moore entwässert und stoßen das klimaschädliche CO2 aus. Deswegen sollte man die Flächen nun wieder bewässern, erklärt der Moorkundler. "Wir müssen Verfahren entwickeln, die einhergehen mit Nässe. Das ist Paludikultur, eine nasse Land- und Forstwirtschaft."
Der Sohn prozessiert gegen den Vater
Das Moor kennt Hans Joosten von klein auf. Mit sieben Geschwistern wächst er in einem kleinen Dorf im Südosten der Niederlande auf – am Rand eines großen Moores. Die Familie ist streng katholisch, Werte wie Ehrlichkeit spielen eine große Rolle. Hans ist der einzige, der eine Universität besucht. Er studiert Biologie, wird Umweltaktivist und gründet in seiner Region eine Moorschutzgruppe, um die Zerstörung der Flächen aufzuhalten.
"Wir haben einfach einen Streifen gezogen und gesagt: Jeder, der ihn übertritt, bekommt von uns auf die Fresse. Das betraf dann auch meinen Vater, der dort Jagdrechte hatte. Ich fand, dass die Jagd nicht einfach zum Spaß ausgeübt werden darf in einem Schutzgebiet. Dann habe ich acht Jahre Gerichtsverfahren gegen ihn geführt." Mit Erfolg. Man müsse für seine Ideale kämpfen, habe der Vater zu ihm gesagt, so Hans Joosten: "Dem Familienfrieden hat das aber nicht geschadet."
Als Hans Joosten 1996 mit Frau und Töchtern nach Greifswald kommt, muss er erst einmal schlucken. Aus den Niederlanden dorthin zu ziehen, sei wie "eine Erdverschiebung" gewesen. Die Wende liegt erst wenige Jahre zurück. Die deutsche Bürokratie macht ihnen das Leben schwer. Seine Frau braucht fünf Jahre, bis ihr Diplom in Greifswald anerkannt wird.
Mecklenburg-Vorpommern als zweite Heimat
Aber inzwischen ist Mecklenburg-Vorpommern der Familie zur zweiten Heimat geworden. Hans Joosten, seit Kurzem emeritiert, ist jetzt dabei, ein Hörsaalgebäude in Greifswald zu kaufen. 25.000 Bücher möchte er dort unterbringen. Eine Fachbibliothek rund ums Moor.
Doch am liebsten läuft Joosten, der keine großen Städte mag, noch immer mit seinen kniehohen Gummistiefeln durch weite, offene Moorlandschaften. "Es ist faszinierend. Man sieht einen unglaublich großen Himmel und läuft über eine schwappige Oberfläche, darunter ist die Unterwelt. Man ist zwischen Himmel und Hölle, und das inspiriert einfach."
(svs)