Monique Roffey: "Die Meerjungfrau von Black Conch"

Mythos trifft Kolonialismus

06:46 Minuten
Monique Roffey: "Die Meerjungfrau von Black Conch" - das Cover zeigt den gemalten Schwanz einer Meerjungfrau und eine stilisierte Schildkröte.
© Klett-Cotta

Monique Roffey

Aus dem Englischen von Gesine Schröder

Die Meerjungfrau von Black ConchKlett-Cotta, Stuttgart 2022

240 Seiten

22,00 Euro

Von Dorothea Westphal · 30.12.2022
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Monique Roffey beschäftigt sich in ihrem neuen Roman mit der literarischen Figur der Meerjungfrau und erzählt von Einsamkeit, toxischer Männlichkeit und Liebe, von Umbrüchen und gesellschaftlichem Wandel. Verstörend, poetisch und bezaubernd.
Sie riecht nach Meer, hat große Füße, schnarcht und liebt Reggae. Der Fischer David ist hin und weg von der Meerfrau, die sich in seinem Haus in eine Frau zurückverwandelt. Meerfrauen, halb Frau, halb Fisch, wurden der Legende nach verflucht und können nur durch die Liebe eines Menschen erlöst werden.
Von einer solchen Begegnung im Jahr 1976 auf einer fiktiven karibischen Insel erzählt Monique Roffey in "Die Meerjungfrau von Black Conch".

Verdammt zur Meerjungfrau

Die Meerjungfrau heißt Aycayia, hat rote Haut, Seetang und Schneckenhäuser im Haar - und wenig gemein mit der kleinen Meerjungfrau von Hans Christian Andersen oder ihrer Disneyversion Arielle. David sieht sie zum ersten Mal von seinem Boot aus und erfährt später, dass sie mehrere Jahrhunderte alt ist und dem indigenen Volk der Taino angehört, das einst von den Eroberern versklavt wurde und fast ausstarb. Wegen ihrer Schönheit wurde sie verflucht und zu einem Leben als Meerjungfrau verdammt.
David fährt jeden Tag aufs Meer, um sie zu sehen. Doch dann findet der jährliche Angelwettbewerb von Black Conch statt. Mit dabei: ein Vater und sein Sohn aus Florida. Schwertfische wollen sie aus dem Meer holen, eine Hommage an Hemingways Roman „Inseln im Strom“.

Grausame Fischer

Mit einer Crew aus dem Dorf fangen sie stattdessen Aycayia – eine äußerst grausame Szene, denn mit dem Fang wissen die Männer nichts anzufangen. Sie verletzen die Fischfrau und beschmutzen sie auf übelste Weise, ähnlich wie in Pablo Nerudas Gedicht „Fable of the Mermaid and the Drunks“. Statt sie zurück ins Meer zu werfen, wollen die Amerikaner sie zu Geld machen, was auch die einheimischen Fischer lockt.
David kann die Meerfrau retten und bei sich verstecken. „Ihre Einsamkeit ließ sein Herz sich weiten“, heißt es an einer Stelle. Als ihr Fischschwanz schließlich abfällt, lernt sie mühsam das Laufen.
Hinreißend schildert Roffey die zarte Annäherung zwischen den beiden. Doch kann eine Frau, die jahrhundertelang im Meer gelebt hat, an Land heimisch werden? Und wie soll David sie schützen? Schließlich sind 50.000 Dollar Belohnung für die Wiederbeschaffung der verschwundenen Meerfrau ausgesetzt.

Bittersüße Liebesgeschichten

David verbündet sich mit Miss Rain, einer Weißen, die zu den wenigen gehört, die noch immer viel Land in der Karibik besitzen. Bittersüß ist die Liebesgeschichte zwischen David und Aycayia, ebenso die Romanze zwischen Miss Rain und einem Einheimischen, die im Dorf nicht toleriert worden wäre.
Monique Roffey, die in der Karibik aufgewachsen ist, bringt in diesem Roman einen karibischen Mythos mit einer durch Kolonialismus geprägten Gesellschaft zusammen. Sie erzählt von Einsamkeit, von toxischer Männlichkeit und von einer Zeit des Umbruchs in den 1970er-Jahren. Souverän flicht Roffey Elemente des magischen Realismus in ihre Erzählung, wobei die Perspektiven wechseln: zwischen der Erzählstimme, Tagebuchtexten von David 40 Jahre nach den Ereignissen sowie Gedichten von Aycayia selbst.

Kongenial übersetzte Kunstsprache

Reizvoll ist die Sprache, eine Kombination aus Englisch und Kreolisch, und der Rhythmus, wodurch eine Art Singsang entsteht. Gesine Schröder hat den Text kongenial ins Deutsche übertragen. Für die Sprache, eine Art Kunstsprache, hat sie manches dem Reggae entlehnt wie „Sie guckte ihm straight in die Seele“, manches durch Doppelungen betont: „Ich leb still-still“.
Dieser bei aller Härte zart und poetisch erzählte Roman gleicht der Meerfrau Aycayia: Er ist so verstörend wie bezaubernd.
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