"Mondparsifal" von Jonathan Meese

Den Wiener Festwochen gelingt ein Coup

Der Berliner Künstler Jonathan Meese
Der Berliner Künstler Jonathan Meese © dpa / picture alliance / Uwe Zucchi
Von Jörn Florian Fuchs · 04.06.2017
Eine gewaltige Assoziationsmaschine gespeist aus popkulturellen Trashsujets wirft Jonathan Meese in seinem "Mondparsifal" bei den Wiener Festwochen an. Komponist Bernhard Lang lässt Wagner dazu in einem Loopgewitter und virtuosen Übermalungen aufgehen. Und am Schluss wartet eine tolle Pointe.
Natürlich ist Meeses Mutti mit von der Partie. Ohne sie geht ja grundsätzlich gar nix, sagt der Künstler in praktisch jedem Interview. Diesmal ist die Mama als eierkopf-förmiges Riesenfoto auf der rechten Bühnenseite zu sehen. Darunter steht "Siehste". Und tatsächlich ist das ein passendes Motto für den gesamten, vierstündigen Abend.
Jonathan Meese wirft in seinem "Mondparsifal" bei den Wiener Festwochen eine gewaltige, manchmal auch gewalttätige Assoziationsmaschine an, die sich vorwiegend aus popkulturellen Trashsujets speist. Simpler gesagt: Man begegnet Figuren aus Star Trek, weltrettenden Groschenhefthelden, abstrusen Science-Fiction-Kaspern. Urteufelin Kundry erscheint erst als Richard-Wagner-Double mit hübschem Barrett, später – unter anderem – als Barbarella, ja, das ist das blonde Biest, im gleichnamigen Kultfilm verkörpert von Jane Fonda.
Der gütige Gurnemanz entsteigt anfangs einem großen Kühlschrank, er trägt Meeses alten Jogginganzug auf und auch die Frisur sitzt: eine lange und wirre Haarmasse. Parsifal stolpert und hetzt erst in roter Unterwäsche, später ganz in Gold durch die Szenerie, Countertenor Daniel Gloger leistet körperlich und vokal Sensationelles, manches tönt absichtlich ohrenbetäubend.

Meese greift mittels Live-Painting ins Geschehen ein

Während auf der Bühne mal eine Eiswüste, mal ein Baumhaus, mal ein "Raumsiff" vorüberzieht, Mangamädels ihre knappen Höschen zur Schau stellen, der böse Zauberer Klingsor sich zu kastrieren anschickt und hernach ein Stofftier möglicherweise tötet, weil er es anschließend wiederzubeleben versucht, oder Kundry mit einer Wassermelone balanciert, greift Meese mittels Live-Painting, genauer, Live-Kritzeleien, zweimal ins Geschehen ein.
Und er steuert ununterbrochen sehr eigene Übertitel bei. Da steht dann "Sonnentanz" oder "Leitmotiv Zukunft". Es könnte natürlich genauso gut "Mondschatten" oder "Erzmotiv Vergangenheit" heißen. Oder so. Oder auch irgendwie anders.
"Erz" ist Meeses Lieblingsvokabel und seine zweite Freude ist ein hübsches Bayreuth- und Wagnerianer-Bashing. Im dritten Aufzug flimmert bühnenbreit Fritz Langs "Nibelungen"-Stummfilm. Manches macht durchaus Sinn, vieles wirklich Spaß, anderes nervt gewaltig. Doch insgesamt erlebt man eine wunderbar schräge, tabulose Durchlüftung dieser kunstreligiösen Kult-Oper.

Da will man das Tanzbein schwingen

Freilich wäre Meeses Chaos-Kosmos bei einer regulären Parsifal-Aufführung ziemlich deplatziert, doch zum Glück gibt es den Komponisten Bernhard Lang, der Wagner in einem Loopgewitter und virtuosen Übermalungen aufgehen lässt. Da fühlt man sich oft wie auf einer Tenne und will das Tanzbein schwingen, so locker-jazzig klingt das. Einzelne Momente, Motive bricht Lang heraus und wiederholt sie, klebt sie dann mit weiteren Elementen ziemlich unvermittelt zusammen. Synthesizer kommen zum Einsatz, oft wirkt das Ganze wie eine festhängende Platte.
Das Klangforum Wien leistet unter Simone Young Phänomenales, auch das Sängerensemble um Magdalena Anna Hofmanns vokal virtuose Kundry oder Wolfgang Bankls wild grummelnden Gurnemanz macht seine Sache perfekt. Einer der schönsten Momente entsteht am Ende des ersten Aufzugs, da spielt nur der brillante Kontrabassist Uli Fussenegger und der Arnold Schoenberg Chor singt ein paar ironische Erlösungskantilenen – auf Altgriechisch.
Den Wiener Festwochen ist mit dem "Mondparsifal" ein Coup gelungen, der ideal ins heuer ausufernde Programm mit all seinen politischen Projekten und Gender-Reflexionen und verrückten Performances passt. Tolle Pointe zum Schluss: Meeses auch hier wieder sehr lautstarkes Diktum vom Diktat der Kunst, der absoluten Freiheit von Ideologien und Zwängen ist natürlich nur möglich, wenn eben der Staat mit heftigen Subventionen solch einen Zauberkasten ermöglicht. Erzlogisch, oder?
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