Moderator Christian Bienert ist tot

Seine Stimme prägte die Kultsendung "Sonntagsrätsel"

29:06 Minuten
Christian Bienert
Christian Bienert starb am 7. Juli. © Deutschlandradio - Bettina Straub
Von Ralf Bei der Kellen · 13.07.2020
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Mit Hans Rosenthal ging es los - mit ihm wurde die Sendung Kult: Christian Bienert moderierte über Jahrzehnte das Sonntagsrätsel. Am 7. Juli ist er gestorben. Aus diesem Anlass blicken wir auf die legendäre Sendung zurück - mit einem Beitrag von 2015 zu ihrem 50-jährigen Bestehen.
Hans Rosenthal: "Und nun möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen: Es war einmal…"
…eine kleine Geschichte in der großen des Kalten Krieges: eine Rätselsendung im Radio, eine Sonntagsunterhaltung, die durch ihre Hörerschaft zum Politikum wurde
"Sie sehen: alles im Leben ist relativ."
7. März 1965: Im RIAS, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor, hat eine 30minütige Musikratesendung Premiere: das Klingende Sonntagsrätsel. Heute ist sie die älteste ununterbrochen gesendete Unterhaltungssendung im deutschen Hörfunk. Auf den ersten Blick eine kleine, harmlose Sendung. Die heute aber exemplarisch für die bewegten Jahre des "Kalten Krieges" steht. Die Vorgeschichte:
Am 25. April 1945 tritt in Berlin-Lichtenberg ein junger Mann, gerade ist er 20 geworden, zum ersten Mal seit zwei Jahren aus seinem Versteck ins Freie. Er steckt sich seinen gelben Stern an und geht den russischen Panzern entgegen. Sein Name ist Hans Rosenthal.
Marlies Kahlfeldt
"Vorgenommen hatte er sich, als er in der Laube versteckt war, das hat er ja oft genug erzählt: Wenn ich das alles überlebe, dann gehe ich zum Rundfunk und dann werde ich allen Leuten (am Mikro) sagen, wie es ist und wie es sein könnte, und und und – und – offen reden."
Hans Rosenthal HR 1983:
"Das war auch der Grund, warum ich zum Rundfunk überhaupt gehen wollte, ich wollte nie Unterhaltung machen, sondern wollte eigentlich in die Politik hinein."
Peter Schiwy:
"Hans Rosenthal war ein politischer Mensch, schon aus seiner Lebensgeschichte. Und er war ein Mensch, für den die Freiheit der wichtigste Wert war."
Marlies Kahlfeldt, 1963 bis 1987 Sekretärin von Hans Rosenthal. Peter Schiwy war 1984 bis 87 Intendant des RIAS. Nur vier Wochen nach Befreiung und Kriegsende versucht Rosenthal sein Glück beim Berliner Rundfunk, der seit Kriegsende unter sowjetischer Kontrolle steht. Die Westalliierten haben vergeblich über eigene Sendezeiten verhandelt. Rosenthal gerät bald in Konflikt mit den Vorstellungen seiner Vorgesetzten.
Gert Rosenthal:
"Zum einen wurde er dort als ‚Hitlerjunge’ beschimpft von Karl-Eduard von Schnitzler, der auf dem gleichen Sender war;"
Gert Rosenthal, Jahrgang 1958, Sohn von Hans Rosenthal.
Gert Rosenthal:
"dann hatte er sich eingesetzt – er war ja sehr progressiv und sozialistisch eigentlich eingestellt – hatte er sich dafür eingesetzt, dass die Pajaks – das waren so Hilfslieferungen, die in die DDR geschickt wurden, von der Sowjetunion, vergleichbar mit den Care-Paketen im Westen – und er hatte sich beim Betriebsrat – er war im Betriebsrat im Berliner Rundfunk – dafür eingesetzt, dass diese Pajaks, die kommen, auf alle Mitarbeiter verteilt werden und nicht nur auf die vermeintlich wichtigen Mitarbeiter im Rundfunk. Und dann wurde er damals zum Betriebsratschef auch gerufen und es wurde ihm gesagt, dass man Putzfrauen und ähnliches leicht ersetzen kann, aber nicht die wesentlichen Sprecher und deshalb behalten diese nur diese Pakete."
Frei reden und argumentieren – das wird Hans Rosenthal schnell klar – ist im sowjetisch beherrschten Rundfunk nicht möglich. 1948 wechselt er – wie viele seiner Kollegen – zum RIAS. Gegründet von den Amerikanern, als der anfangs ausgewogene Ton des Berliner Rundfunks im Vorfeld der Berliner Wahlen 1946 immer propagandistischer wurde.
Der RIAS war zunächst ein Druckmittel, um die Sowjets zu bewegen, ihre Aufsicht über den Berliner Rundfunk zu teilen. Als das nicht fruchtete, installierte General Lucius D. Clay 1948 einen neuen Direktor im RIAS: den US-Geheimdienstmann mit dem originellen Namen William F. Heimlich, genannt "Bill".
Bill Heimlich:
"Es ist mein großer Wunsch, dass Berlin und Ostdeutschland den RIAS als seine Waffe im Kampf für Freiheit und Demokratie ansieht."
Bryan T. van Sweringen:
"Bis Bill kam, versuchte RIAS immer neutral zu sein – die haben tatsächlich den SED-Parteitag gesendet über den RIAS, alle Parteien! Aber das dann war mit Operation Talk-Back langsam zu Ende, ne?"
Erklärt Bryan T. van Sweringen, Historiker und ehemaliger Verbindungsoffizier der in Europa stationierten US-Streitkräfte, der sich intensiv mit der Geschichte des RIAS auseinandergesetzt hat. Heimlich war bereits Programmleiter eines Universitätsradios gewesen, an der Ohio State University, an der er studiert hatte, und er hatte beim CBS in New York gearbeitet. Er brachte amerikanische Radioformate nach Berlin.
Bryan T. van Sweringen:
"Viele Berliner erzählen mir von ‚Onkel Tobias vom RIAS’, aber das – Uncle Ben Darrow, Ohio State University of the Year, das kam direkt von Ohio State University. Auch Quizsendungen – wie zum Beispiel Sonntagsrätsel – das kam mit Heimlich zu RIAS und hat sich dann institutionalisiert während der Blockade."
Während der Berlin-Blockade 1948/49 erlebte Hans Rosenthal, wie das Programm des RIAS – vor allem die Sendungen des Kabarettisten Günter Neumann und seiner "Insulaner" – die Eingeschlossenen zusammenschweißte. Ein Gemeinschaftsgefühl, das er nie vergessen sollte. Durch die Operation Talk-Back wurde der RIAS zum Feindbild der DDR-Oberen. Die Berichterstattung zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 verschärfte den Konflikt weiter. 1955 kam es in Ost-Berlin zu einem Schauprozess.
Kurt Schumann:
"Die gesamte Tätigkeit des RIAS auf dem Gebiet der Spionage, Sabotage und planmäßigen Hetze verfolgt ein einziges Ziel: Die von der Mehrheit des deutschen Volkes geforderte demokratische Wiedervereinigung Deutschlands zu verhindern, und den seit Jahren geführten Kalten Krieg bei sich bietender Gelegenheit zum heißen Krieg werden zu lassen."
So der Präsident des obersten DDR-Gerichtes, Kurt Schumann, in seiner Urteilsbegründung. Der für den RIAS tätige freie Journalist Richard Baier, Jahrgang 1926, war einer der fünf Angeklagten in diesem Prozess. 2004 erinnerte er sich in einer Dokumentation des rbb:
Richard Baier:
"Das Schicksal des Hauptangeklagten, des jungen Joachim Wiebach, ist besonders tragisch – der zum RIAS gekommen ist, weil er Eintrittskarten für eine Veranstaltung von Hans Rosenthal haben wollte – und es gab im RIAS-Gebäude immer nur zwei Karten nach Vorlage des Personalausweises aus dem Osten. Er wollte aber mehr haben für Kollegen. Er hat dann die Kollegen bei der nächsten Veranstaltung mitgebracht – das wurde ihm ausgelegt als Agentenzuführung für den Westen."
Berichterstattung Prozess DDR Rundfunk:
"Die Beschuldigten, die an der verbrecherischen Tätigkeit des RIAS maßgeblich beteiligt waren, müssen hart bestraft werden."
"Ja, härteste Strafe muss die treffen, die das vernichten wollen, was wir mit unserer Hände Arbeit geschaffen haben."
Baier bekam 13 Jahre Haft, an Joachim Wiebach wurde ein Exempel statuiert: Walter Ulbricht persönlich änderte das Strafmaß von Lebenslänglich in Todesstrafe. Alle sollten wissen: RIAS hören ist gefährlich.
DDR-Hörfunk:
"Ich bin dafür, dass der RIAS beseitigt und vernichtet wird mit Mann und Maus – wobei mir nur die Maus leidtun würde, denn die wäre das einzige unschuldige Wesen in dieser amerikanischen Institution."
Am 13. August 1961 errichtete die DDR den sogenannten Antifaschistischen Schutzwall. Menschen konnte man damit einsperren, Radiowellen nicht – auch wenn man versuchte, die westlichen Radiostationen durch Störsender im Osten unhörbar zu machen. Im Oktober 1961 moderierte Hans Rosenthal die Rateshow ‚Wer fragt, gewinnt’:
Rosenthal 1961 (aus "Wer Fragt, gewinnt")
"Die Begriffe sind Einsendungen unserer Hörer, es wird gelost, wer mitspielt, erhält für jede Frage 2 Mark und 50. RIAS-Freunde aus dem Osten können sich postalisch nach wie vor beteiligen, bitte schreiben Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit unter Decknamen oder Deckadresse. Ein eventueller Gewinn kann an Verwandte ausgezahlt werden, oder bleibt bei uns, bis sich die Verhältnisse ändern-"
Dass sich die Verhältnisse ändern mussten, daran bestand für Rosenthal nie ein Zweifel. Da die Post durch den "Eisernen Vorhang" einer ebenso eisernen Kontrolle unterlag, empfahlen RIAS-Moderatoren ihren Zuhörern aus der DDR, sich einer Hilfsadresse zu bedienen, also an Verwandte in West-Berlin oder der Bundesrepublik zu schreiben, die die Nachricht dann an den RIAS weiterleiteten.
Hört man heute die politischen und kabarettistischen Sendungen des RIAS aus dem Jahr 1965 und vergleicht sie mit jener kleinen Sendung, die am 7. März erstmalig zur Ausstrahlung kam, erscheint das "Klingende Sonntagsrätsel" harmlos, fast banal. Dabei war auch diese Sendung ein Kind des Ost-West-Konfliktes – in mehrfacher Hinsicht. So war es wahrscheinlich gar nicht Hans Rosenthal, der die Sendung ersann, sondern:
Marlies Kahlfeldt:
"Werner Hass. Freier Mitarbeiter in der Abteilung, der Werner kam aus der DDR irgendwas Ende der 50er Jahre nach West-Berlin, und zwar - der war drüben ein ziemlich bekannter Sänger, Schlagersänger."
Hass hatte in der DDR Rock’n’Roll gesungen – die Musik des imperialistischen Klassenfeindes. Die Quittung: Auftrittsverbot. Er kam zu Rosenthal, der ihm, wie so vielen anderen auch, Arbeit gab. Hass moderierte die ersten Sendungen des Rätsels – und dann muss es zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und Rosenthal gekommen sein und Rosenthal moderierte die Sendung selbst. Vielleicht hat das auch mit einer anderen Entwicklung zu tun, die zeitgleich geschah: Beim RIAS wollte man wissen, wie weit eine neue Antenne des Senders in Hof in die DDR hineinreichte.
Marlies Kahlfeldt:
"Als die das dann testen wollten, das muss ungefähr in diesem Zeitraum gewesen sein, und dann hat Hans natürlich gesagt: Na, dann bietet sich das Rätsel an – weil das ja jede Woche lief."
Anhand der Ost-Zuschriften konnte man bald sagen, wie weit man den RIAS in der DDR hören konnte. Um das Programm von Berlin-Schöneberg ins bayrische Hof zu übertragen, wurde es durch eine Kabelleitung aus Vorkriegszeiten übermittelt. Christian Bienert, seit 1969 Autor und Aufnahmeleiter des Klingenden Sonntagsrätsels, erklärt:
Christian Bienert:
"Da haben die dieses Kabel benutzt. Und das ging – ja, durch den Boden der DDR logischerweise, ging ja gar nicht anders. Und wurde von den Behörden der DDR, die dafür zuständig waren, natürlich perfekt – da soll es nie eine Panne gegeben haben und nie eine Schwierigkeit und nie irgendwelche Unregelmäßigkeiten – perfekt gewartet und gehegt und gepflegt worden sein."
In Plauen musste das unterirdisch verlaufende Signal verstärkt werden – während man es oberirdisch wieder störte: ein erstaunliches Phänomen, dessen Hintergründe bis heute nicht geklärt sind.
In den 60er Jahren sendete man aus Hof auf der Mittelwelle in die DDR hinein – leistungsfähige UKW-Sender wurden erst später installiert.
Unerwarteterweise wurde die kleine Sendung aufgrund der starken Hörerresonanz zum Dauerbrenner. So waren zum Beispiel 1971 von knapp 600.000 an den RIAS 512.000 an das Klingende Sonntagsrätsel adressiert. Davon gut 15.000 aus der DDR.
Hans Rosenthal:
"660 Mal, man stelle sich das vor, so oft durften wir schon mit unserer kleinen Preisfrage in Ihre gute Stube kommen."
Marlies Kahlfeldt:
"Und Hans muss das – der muss das gespürt haben, der wusste das ja nicht. Aber er muss es gespürt haben, sonst hätte er nicht so einen extremen Wert darauf gelegt, eben, wenn Post kommt aus der DDR: ‚Ihr beantwortet mir die Post, Ihr beantwortet mir die Post!’ Mein Gott, ja doch! Aber, sagte er, das ist ganz wichtig."
Hans Rosenthal:
"Heute geht´s wieder mal um 6 Buchstaben und zusammengesetzt ergeben sie einen prominenten Namen. Und damit Sie wissen, in welcher Richtung Sie suchen müssen, hier der Tipp: Fernsehen, Film und Bühne. Alles klar? Gut!"
Bis heute funktioniert die Sendung nach dem ursprünglichen Muster: Der Moderator stellt eine Frage zu einer eingespielten Musik - Oper, Operette, Musical, Schlager, Rock oder Pop. Ein Buchstabe des zu erratenden Begriffs ist ein Baustein, der zum Lösungswort führt.
Verlost wurden anfänglich drei Geldpreise à 25, 50 und 75 D-Mark. Später dann auch 4 x 100 und 1 x 250 D-Mark sowie eine Reihe LPs und Musik-Cassetten. Gezogen wurden die Preise von den sogenannten "Rätselkindern".
Rätselkind / Hans Rosenthal:
Eine Zuschrift aus dem Osten unter Kennwort "Woltersdorf"."
"Ja, Hilfsadresse Berlin 41, Woltersdorf kenn ich, da bin ich früher mal hingefahren, da fuhr früher eine Straßenbahn raus, war herrlich. Weiter!"
Auch Gert Rosenthal gehörte zu den Rätselkindern. Er erinnert sich an die Ziehungen – bei denen auffällig oft auch Zuschriften aus der DDR unter den Gewinnern waren.
Gert Rosenthal:
"Wir hatten mehrere Kartons, aus denen zu ziehen war. Natürlich habe ich aus jedem Karton eine Karte gezogen, oder unterschiedlich, also nicht nur in einem Karton immer nur aus der rechten Ecke alle gezogen."
Hans Rosenthal Klingendes Sonntagsrätsel:
"Alexandra, bitte anständig ziehen, nicht dass mir da Klagen kommen. Erster Schein, wer darf sich freuen?"


Christian Bienert:
"Wir haben damals separat sortiert. Das heißt, gesamter Osten und Ausland war separat. Das heißt, wenn es vier Preise waren, wir haben immer einmal dort reingegriffen. Nicht mit dem Hauptpreis, aber mit einem der Preise. Denn sonst wäre die Chance, wenn wir wild gezogen hätten, gerade bei der Menge von 6.000, 7.000 Berlin, was ja West war, also, wir haben ein Ungleichgewicht hergestellt und haben die separat sortiert gehabt."
Hans Rosenthal:
"Die Gewinner ermitteln wir unter Ausschluss des Rechtsweges, da unsere Sendung ein heiteres Spiel ist."
Gab ein Gewinner aus der DDR keine Hilfsadresse an, blieb das Geld in der Kasse des RIAS liegen, bis es jemand abholte. Später waren das oft Verwandte im Rentenalter, die nach Westberlin reisen durften.
16 Jahre arbeitete Christian Bienert – der mittlerweile auch als Leiter vom Dienst und Moderator beim RIAS tätig war – mit Hans Rosenthal zusammen, schrieb die Manuskripte, besorgte die Aufnahmeleitung. Was nicht immer ganz einfach war.
Rosenthal bei Probe im Studio:
"So, liebe Hörerinnen und Hörer… (Techniker: es läuft) … liebe Hörerinnen und Hörer… vor 14 Tagen ließen wir Kaffee erraten und, lieber Christian, an der Stelle würde ich mal sagen, erkundige Dich mal, erkundige Dich mal, von wem der Kanon C-a-f-f-f-e [sic] und dann machen wir Bach da rein an dieser Stelle, kannste in der Musikabteilung anrufen…"
Marlies Kahlfeldt:
"Hans hat gesagt – und Christian musste machen."
Rosenthal im Studio:
"… ja, Kaffee also schon immer berühmt, und die Türken haben ihn ja nach Wien gebracht, und die Wiener waren die ersten, die den Kaffee hatten, deshalb gibt’s ja auch so viele Kaffeehäuser. … gut, aber: so lange haben wir nicht Zeit!"
Marlies Kahlfeldt:
"So, und dann, irgendwie kamen die zusammen, besprachen auch alles, Christan sagte: ‚Das ist ja unmöglich, so kann man doch nicht arbeiten, immer nur zwischen Tür und Angel oder vor’m Taxistand – können wir nicht mal in Ruhe?’ ‚Die Zeit ist nicht da, Christian!’ ‚Na gut… Ich weiß nicht, ob ich das auf die Dauer aushalte.’ ‚Ja, ich auch nicht.’ (lacht) Hat ziemlich lange gehalten."
Im September 1986 wurde bei Hans Rosenthal Magenkrebs diagnostiziert. Er setzte alle geplanten Sendungen ab – nur das Sonntagsrätsel moderierte er weiter. Während seiner Krankenhausaufenthalte vertrat ihn Christian Bienert.
Sonntagsrätsel 1060 - Bienert:
"Ich darf mich für heute von Ihnen verabschieden, denn schon nächstes Mal wird Hans Rosenthal hoffentlich wieder selbst hier am Mikrofon sitzen und ihnen wie gewohnt sein Rätsel präsentieren."
Marlies Kahlfeldt:
"…10. Februar ist er gestorben und im Januar war er noch im Studio und hat das letzte Sonntagsrätsel aufgenommen. Furchtbar. Schrecklich, sage ich Ihnen."
In der 1075. Sendung musste Christian Bienert dann den Hörern mitteilen, dass es nie wieder eine Sendung mit Hans Rosenthal geben werde.
Sonntagsrätsel 1082:
"Bevor’s jetzt ans neue Spiel geht, noch ein Wort in eigener Sache: Vor einem Monat haben wir uns überlegt, ob wir das Sonntagsrätsel weiterführen – im Sinne von Hans Rosenthal. Wir haben nun von Ihnen Briefe und Postkarten bekommen, die uns gezeigt haben, dass die Entscheidung, weiterzumachen, richtig war."
Gert Rosenthal:
"Das liegt aber auch daran, dass das Sonntagsrätsel im Laufe der Zeit auch wirklich übergegangen ist auf Christian Bienert. Das Sonntagsrätsel verbindet man jetzt mit Christian Bienert. Auch wenn er immer wieder meinen Vater da hochgehalten hat und immer wieder erwähnt hat, es ist seine Sendung gewesen."
Mit Bienert gab es auch eine Neuerung: erstmals erhielt das Sonntagsrätsel eine Hilfsadresse – die DDR-Staatssicherheit sprach immer von Deckadressen – was Rosenthal stets abgelehnt hatte. Bienert wandte sich an den dafür zuständigen RIAS-Mitarbeiter Peter Hertz:
Christian Bienert:
"Ich sage: ich möchte auch eine, so `ne Hilfsadresse haben, ja? Ich bin damals noch nicht auf die Idee gekommen, mir selbst eine zu besorgen und die einfach durchzugeben. Die hat mir Hertz dann gegeben aus dem Kontingent der… die hatten ja fünf, sechs, sieben, acht, neun, viele, aus dem Kontingent vom Treffpunkt. Nehme ich an."
Christian Bienert im Sonntagsrätsel:
"Michaela Wegner, Torgauer Str. 45, 1000 Berlin 62."
Die Torgauer Str. 45 existierte gar nicht. Sie war Teil eines Kontingents an Adressen, die das Postamt in Schöneberg dem RIAS zur Verfügung gestellt hatte.
Zweieinhalb Jahre nach Rosenthals Tod fiel die Mauer. Schon kurz vorher bemerkte man beim Sonntagsrätsel einen Anstieg der Hörerpost aus der DDR. Nach Maueröffnung explodierte die Zahl der Zuschriften.
Siegfried Buschschlüter:
"40.000 im November, 54.000 im Dezember, 154.000 im Januar, 330.000 im Februar und fast 400.000 im März – davon 90% aus Ost-Berlin und der DDR."
So der damalige Programmdirektor des RIAS, Siegfried Buschschlüter, der wesentlich zum Überleben des Sonntagsrätsels beigetragen hat und nach der Maueröffnung die Preise verdoppelte, in einer Sendung mit Hörerpost am Ostermontag 1990. Buschschlüter wusste als einer der Wenigen, wie es aus der Retrospektive scheint, um die emotionale Bindung der Hörer zum RIAS. Kurz zuvor hatte das Sonntagsrätsel vom 18 Februar mit 71.992 Zuschriften einen Rekord eingefahren. Da passierte es schon mal, dass die restliche Hauspost in der Post für das Sonntagsrätsel landete. Zwei Beispiele aus der Hörerpostsendung zum Ostermontag:
Aus Hörerpost-Sendung:
"Vor 20 Jahren schrieb ich – damals noch unter Kennwort – eine Rätsellösung an RIAS. Ergebnis damals: Das Ministerium für Staatssicherheit kreuzte bei mir auf – mit der Weisung, dass ein Lehrer nicht an den RIAS schreiben dürfe. Ich vergesse endlich diese rabenschwarze Zeit und schaue hoffnungsvoll in die ZUKUNFT – ja, dies ist das heutige Lösungswort. Selbstverständlich habe ich das Sonntagsrätsel stetig weitergehört, aber einschicken wollte ich 20 Jahre lang nicht, um Repressalien zu entgehen."
Aus Hörerpost-Sendung:
"Ihr Kennwort, das ist TELEFON / doch in meinen Ohren klingt es wie Hohn / vor 26 Jahren haben wir es bestellt / nun sind wir 75 und bald nicht mehr auf der Welt / Erst fehlten die Leitungen / die waren für die Partei / jetzt fehlt es an Nummern, doch / wir sind frei."
Christian Bienert:
"Na, und dann haben wir eben Leute ranbekommen, und die waren sprachlos manchmal, die geweint haben vor Freude – dass überhaupt sich jemand meldete."
Marlies Kahlfeldt:
"Was glauben Sie, nach der Öffnung, wie viele Leute uns geschrieben haben und uns eingeladen haben. Und nicht etwa: Ach, komm´se doch mal vorbei, sondern: Lieber Herr Bienert, wenn Sie mit Frau Kahlfeldt, ganz egal zu welcher Jahreszeit, nur uns vorher informieren, Sie können bei uns wohnen, essen, trinken und wir zeigen Ihnen die Umgebung – solche Post haben wir aus der ganzen DDR bekommen. Und auch wenn wir vertraut waren, irgendwo, wir waren letzten Endes ja doch Fremde."
Aber eben vertraute Fremde. Viele Hörer aus der nunmehr ehemaligen DDR brachten Kuchen zum RIAS – den sie nicht selten für Michaela Wegner gebacken hatten.
Christian Bienert im Sonntagsrätsel:
"Michaela Wegner, Torgauer Str. 45, 1000 Berlin 62."
Den enttäuschten Hörern, die das RIAS-Funkhaus besuchten, musste man nun erklären, dass diese Person nie existiert hat – nur als Hilfsadresse zum Schutz der Briefschreiber aus der DDR.
Für Christian Bienert und Marlies Kahlfeldt war es eine emotional aufwühlende Zeit – die auch nach der Wiedervereinigung - und nach dem Aufgehen von RIAS in Deutschlandradio - noch andauerte. Am 7. Mai 2001 gingen die beiden in die Außenstelle der Gauck-Behörde am Alexanderplatz. Dort warteten zwei Metallkoffer auf sie – mit Briefen, die zwischen 1982 und 1989 vom Ministerium für Staatssicherheit abgefangen worden waren.
Marlies Kahlfeldt
"Und dann haben wir uns hingesetzt in einen Raum, so’n kahlen Raum, und die Post durchgeguckt… und da haben wir gesessen, von morgens bis abends und ich hab zwischendurch geweint… und dann war ich wieder völlig überdreht… und das war, das kann ich gar nicht schildern, ein ganz merkwürdiger Zustand. Aber bei vielen wusste man ja gar nicht, wenn es ältere waren: leben die noch? Ja, das war, das war schon… aufwühlend, fand ich, so da die ganze Post zu lesen. Ging Christian aber auch nicht anders, wir waren hinterher (seufzt) ja, richtig erschlagen."
Ein Fall ist Christian Bienert besonders im Gedächtnis geblieben: Ein junges Mädchen schrieb mehrfach und bat um eine QSL-Karte, eine Empfangsbestätigung der Kurzwelle des RIAS zum Sonntagsrätsel. Die Karten wurden von vielen gesammelt – ein Hobby, das auch der junge Christian Bienert verfolgte.
Christian Bienert:
"Als ich nach Peking geschrieben hatte – mein Brief kam an. Und dieser von diesem Mädchen, die sich nun für Kurzwelle interessiert hat und die das nun gerne eben haben wollte, genau wie ich im Westen, die hat nie eine Antwort bekommen - also: Wie viel Hoffnungen, wie viel Träume, wie viel Wünsche durch staatliche Willkür in dieser DDR doch zerstört wurden – da erst, da wurde es mir klar, weil ich die Briefe in der Hand hatte."
Dass diese Post überlebt hat, ist einem Zufall zu verdanken, wie Lilo Nagengast, damals Mitarbeiterin beim BStU erläutert:
Nagengast:
"Als die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in Dresden gestürmt wurde, lag sie irgendwo, und sie ist erstmal von Oppositionellen in die blauen Säcke gestopft worden, um sie aufzuheben."
2002 wurde die Post erstmals im Museum für Kommunikation in einer Ausstellung über die Post- und Telefonkontrolle in der DDR gezeigt. In den vergangenen beiden Jahren hat Professor Joachim Kallinich die Zuschriften mit seinen Studenten in einem Projekt an der Humboldt Universität ausgewertet. Gemeinsam mit Lilo Nagengast, die selbst als DDR-Bürgerin das Sonntagsrätsel im Familienkreis hörte, haben sie eine Ausstellung nur zu den Briefen an das Klingende Sonntagsrätsel erarbeitet. Den jungen Studenten vermitteln diese Briefe heute nicht zuletzt ein Stück Mentalitätsgeschichte der DDR.
Lilo Nagengast:
"Lösungswort: Kaffee. Das Zauberwort der Werktätigen – wenn er nur nicht so teuer wäre. Und nun schreibt sie in Klammern dazu: 125 Gramm Kaffee kosten 8 D-Mark 75, also acht Ost D-Mark."
Der Drang, alles über seine Bürger wissen zu wollen, trieb gelegentlich kuriose Blüten. So schickte das MfS Spitzel nach Berlin, um festzustellen, ob die Deckadressen realen Personen zuzuordnen sind.
Lilo Nagengast:
"Mir sind auch ganz persönlich Dokumente bekannt, wo der Staatssicherheitsdienst die Bezirksverwaltung in Leipzig anfragt, ob Hans Rosenthal eine Deckadresse ist - und dann gibt es dazu einen Zwischenbericht erstmal: Wir sind noch nicht so weit, Sie bekommen in Kürze die endgültige Antwort."
Christian Bienert:
"Und ich meine, dieses extreme Verhalten der Staatssicherheit kann ja nicht nur aus dem Wunsch nach Vollbeschäftigung gekommen sein."
Hans Rosenthal:
"Und damit sind wir für heute am Ende, liebe Ratefreunde."
Kommen wir nun, wie zum Schluss jeder Geschichte, zur Moral derselben: Was sagt uns die Geschichte des Sonntagsrätsels? Marlies Kahlfeldt, Christian Bienert und Lilo Nagengast formulieren es so:
Marlies Kahlfeldt:
"Da war ja auch schon eine ganz starke Verbindung da – dass die Leute glaubten, irgendwo durch ihre Karte oder durch ihren Brief, indem sie sich beteiligen, gehören sie dazu und sind nicht ein anderer Teil da in Deutschland, sondern – wir sind ein Teil vom RIAS, sozusagen."
Bienert:
"Heimat zu sein damit. Denn darum ging’s ja. Dass die Leute da einen Moment mal gesagt haben: So, jetzt für eine halbe Stunde nicht DDR, für eine halbe Stunde Hans Rosenthal, für eine halbe Stunde Sonntagsrätsel."
Lilo Nagengast:
"Man will nicht politisch vordergründig auftreten, aber man möchte so einen kleinen Raum von Freiheit sich behaupten oder in Anspruch nehmen für sich, für seine Familie, vielleicht auch mit Freunden, mit engen Freunden darüber reden und reden können – das war so ein kleiner Akt in ihrem Leben von ‚Ich lass mir nicht alles verbieten’."
Das Klingende Sonntagsrätsel war eine eigentlich unpolitische Sendung, die zu hören zumindest in der DDR aber ein politischer Akt war. Und vielen Hörerinnen und Hörern im Osten wie auch im Westen der Republik gibt sie bis heute ein Gefühl von Heimat, ein festes Ritual in einer sich ständig ändernden Welt – und das mittlerweile über mehrere Generationen hinweg. Gert, der Sohn von Hans Rosenthal:
Gert Rosenthal:
"Ich weiß, bis heute ist es so, dass meine Mutter hört, meine Schwester hört und sie anschließend jeden Sonntag telefonieren, ob sie’s rausbekommen haben."
Hans Rosenthal Moderation Sonntagsrätsel:
"Die jüngeren Zuhörer wissen natürlich schon, wer kommt, die älteren können jetzt den Sohn oder Enkelsohn, Tochter oder Enkeltochter fragen."
Marlies Kahlfeldt:
"Das habe ich also noch von keiner anderen Sendung erfahren von irgendwelchen Hörern, dass es über drei Generationen geht. Überleg’ mal: Oma, Kinder und Enkelkinder! Wahnsinn…"
Ton Bienert:
"Also, ehrlich gesagt, für meine Begriffe bleiben so viele Fragen offen, dass ich überlege, sollte ich noch einmal auf die Welt kommen, dann mache ich was ganz anderes: Ich gehe zum Rundfunk und mache Quizsendungen."
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