Mobilitäts-App in Brandenburg

Wenn der Bus nicht kommt

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Leerstehende Bushaltestelle, die mit Graffiti besprüht ist
In vielen Dörfern auf dem Brandenburger Land fährt der Bus nur alle paar Stunden. © picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleu
Von Vanja Budde · 06.03.2019
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Natur, Gemeinschaft, gute Luft – das Leben auf dem Land hat Vorteile. Doch der Weg in das nächste Dorf oder die nächste Stadt ist für Menschen ohne eigenes Auto oft mühselig. Mit der "Pampa-App" wird das Problem in Brandenburg jetzt angepackt.
Ireen Beyer kommt viel herum, überall in Brandenburg. Die 17jährige Abiturientin mit schulterlangen, welligen blonden Haaren wohnt in Groß Machnow. Das ist ein Ortsteil der Kleinstadt Rangsdorf, im Speckgürtel südlich von Berlin. Die leidenschaftliche Reiterin fährt zu ihrem Pferd im Nachbarort, besucht Freunde und die Oma und ist für den Landesschülerrat unterwegs. Mit allem, was Räder hat: Fahrrad, Bus, Bahn. Und seit letztem Sommer auch mit Auto und Roller.
"Die Mobilität für Jugendliche ist hier relativ anstrengend. Klar kann man hier relativ viel machen und man kommt überall hin, aber das ist mit enormen Kosten und teilweise enormem Aufwand verbunden. Man muss teilweise fünf Mal umsteigen, um irgendwo hinzukommen. Und das ist, wenn man schnell irgendwo hinmöchte, sehr, sehr, sehr nervig."
Zum Berliner Alexanderplatz zum Beispiel dauert es eine Stunde und 15 Minuten und man muss dreimal umsteigen. Zum Bahnhof sind es vier Kilometer und in der Woche nach 18 Uhr und am Wochenende fährt kein Bus in Rangsdorf. Dann muss Ireen entweder ihren Roller nehmen oder sie ist auf ihre Eltern als Beifahrer angewiesen. Seit einem halben Jahr darf sie begleitet Auto fahren. Ihr Vater sitzt dann oft neben ihr. Er sagt:
"Ganz entspannt." Zwar gebe es eine nahe Berlin-Anbindung, aber gerade an den Wochenenden fahre so gut wie nichts.
"Man muss man sich ja irgendwie von A nach B bewegen. Und mit dem Größerwerden oder Älterwerden des Kindes wird es natürlich zwangsläufig, dass sie irgendwie motorisiert ist."

"Die Fahrpreise müssten reduziert werden"

Vielleicht bessert sich die Lage mit dem neuen Nahverkehrsplan des Landkreises Teltow-Fläming, den es ab 2021 geben wird. Die Gemeinde Rangsdorf kann dafür Bedarf anmelden und Wünsche äußern, teilt der Landkreis mit. Teltow-Fläming bringt derzeit rund 4,5 Millionen Euro für den kommunalen ÖPNV auf. Dazu kommen knapp fünf Millionen Euro Landesmittel. Allein für das Haushaltsjahr 2019 seien im Kreishaushalt für die Verbesserung des kommunalen ÖPNV etwa anderthalb Millionen Euro Mehraufwand eingeplant. Ireen nimmt all den Aufwand in Kauf, um von A nach B zu kommen. Sie ist nichts anderes gewöhnt. Kurz vor ihrer Geburt sind ihre Eltern nach Groß Machnow gezogen.
"Ich würde nicht lieber in der Stadt leben, nur weil ich da kürzere Fahrzeiten hätte, weil ich das Dorfleben sehr schätze. Wir hier im Speckgürtel, wir haben sehr eng aneinander liegende Dörfer und da kann man auch schnell mal zehn Minuten zum nächsten Dorf fahren. Die Landstraßen sind auch alle so gut ausgebaut oder haben Fahrradwege nebendran, dass es gar kein Problem ist."
In der Dämmerung fährt ein Fahrradfahrer auf einem Radweg nahe Sieversdorf in Brandenburg, im Hintergrund sind Windräder zu sehen.
Mal schnell ins Nachbardorf? Da ist das Fahrrad oft die schnellste Möglichkeit.© picture alliance / Patrick Pleul
Trotzdem hat sie vor allem einen Wunsch:
"Für Jugendliche in Brandenburg müsste mehr getan werden. Zum Beispiel müssten von der Politik die Fahrpreise reduziert werden."
3,40 Euro sind von Groß Manchnow bis Berlin zu berappen, ermäßigt immer noch 2,50 Euro. Die rot-rote Landesregierung in Potsdam hat gerade ein vergünstigtes Jahresticket für 365 Euro für Azubis beschlossen, doch die Schüler blieben außen vor. Die oppositionellen Grünen bemängeln das: Gerade in den ländlichen Regionen Brandenburgs sei das Angebot des ÖPNV noch viel zu bescheiden. Die Bahnverbindungen von und nach Berlin sind noch relativ gut. Aber wehe man ist für die Querverbindungen zwischen kleineren Orten auf den Bus angewiesen.

Am Wochenende ist der Fahrplan leer

Beispiel Prädikow: Ein hübsches Örtchen, Kopfsteinpflaster auf der Dorfstraße, Schafe und Ponys lugen neugierig aus großen Gärten. Prädikow hat schätzungsweise 200 Einwohner, es liegt im Landkreis Märkisch Oderland, 50 Kilometer östlich von Berlin. Der Bus ins zehn Kilometer entfernte Strausberg, wo es einen S-Bahnanschluss nach Berlin gibt, fährt nur dreimal am Tag.
"Also früh, zum Mittag, dann nachmittags, wenn die Schulkinder kommen, und das war es. Am Wochenende gar nicht. Und dann muss man natürlich sehen, dass man irgendwie mit dem Auto von A nach B kommt", sagt Mediengestalter und Designer Martin Luge.
Er hat an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. Mit Mitte 30 zog er mit seiner Frau und dem ersten Kind von Pankow raus ins Grüne nach Prädikow. Nach dem Blick auf den Busfahrplan war klar: Ein Auto muss her. In Berlin hatten sie keins.
"Viele haben ja hier draußen zwei Autos. Wir haben gesagt: Wir müssen das mit einem Auto hinkriegen. Wir haben uns dann mit einem Nachbarn zusammengetan, weil wir gesagt haben: Ja, es klappt nicht ganz. Weil die Pendelei nach Berlin dann doch relativ hoch ist, kaufen wir uns zusammen ein Auto."

Pendlerzahlen steigen um bis zu 80 Prozent

Mehr als 300.000 Pendler sind heute schon täglich zwischen Berlin und Brandenburg unterwegs – und die Zahlen steigen stetig. Denn immer mehr junge Familien flüchten vor der Enge und den hohen Mieten in Berlin ins Brandenburger Umland, behalten aber ihren Job in der Stadt. Lange ging die Politik von schwindenden Einwohnerzahlen in Brandenburg aus. Nun ist die rot-rote Landesregierung aufgewacht und steuert um. Infrastrukturministerin Kathrin Schneider:
"Und natürlich haben wir wachsende Regionen und Pendlerzahlen. Wir haben Korridoruntersuchungen gemacht, da gehen die Steigerungen teilweise bis auf 60, 80 Prozent. Das ist natürlich enorm und darauf muss man sich vorbereiten und reagieren. Das tun wir mit neuen Linien, mit zusätzlichen Zügen, mit längeren Zügen und mit besserer Qualität."
Viele Menschen stehen an einer Bushaltestelle.
Mehr als 300.000 Menschen pendeln täglich zwischen Berlin und Brandenburg.© imageBROKER
Der neue Landesnahverkehrsplan soll die Weichen für zehn Millionen mehr Zugkilometer in den kommenden zehn Jahren stellen. Allein in diesem Jahr investiert das Infrastrukturministerium 471 Millionen in den Personennahverkehr auf der Schiene. Mehr Linien sollen her, mehr Züge, Busse und Bahnen sollen besser getaktet werden. Dafür sorgen bislang 17 speziell geförderte sogenannte PlusBus-Linien des Verkehrsverbundes Berlin Brandenburg: Sie verbinden Dörfer mit dem nächsten Bahnhof und sind auf die Abfahrtzeiten von Regionalzügen und S-Bahnen abgestimmt.

"Lasst uns doch gemeinsam organisieren"

In Prädikow im Landkreis Märkisch Oderland gibt es noch keine solche Linie. Der neue, 80 Seiten dicke Nahverkehrsplan des Landkreises sieht zwar bessere Verbindungen von und nach Strausberg vor, darunter auch einen PlusBus, sowie Taktverdichtungen und Verlängerungen der Betriebszeiten im berlinnahen Bereich des Landkreises. Der Kreistag hat dafür im Haushalt knapp zwölf Millionen Euro eingeplant. Im Dörfchen Prädikow aber musste Martin Luge sich selber helfen, um die Kinder zur Grundschule und zur Kita nach Strausberg zu bringen. Seine Frau arbeitet an zwei Tagen in der Woche als Yogalehrerin in Berlin.
"Und da können wir die Kinder aus dem Dorf dann entsprechend mitnehmen. Und so fing das im Prinzip an, auch alternative Lösungen zu finden, zu sagen: Wir haben alle die gleichen Ziele, es führt im Prinzip nur eine Straße dahin, lasst uns das doch irgendwie gemeinsam organisieren."
Martin Luge und seine Mitstreiter in Prädikow haben eine kostenlose App fürs Smartphone entwickelt: "Pampa" heißt sie und funktioniert so ähnlich wie eine Mitfahrzentrale, nur anonymisiert.
"Also was ganz schnell kam, war so ein Sicherheitsbedürfnis. Es gab die Sorge, dass die Privatsphäre beeinträchtigt wird, dass Fremde eben ganz schnell einsehen können, wann derjenige zu Haus ist und wann nicht."
In der Mitfahr-App kann man darum ein privates Netzwerk aufbauen und nur dessen Mitglieder sehen die Identität des Fahrers.

Mitfahr-App: Autofahrer müssen ihre Einstellung ändern

Martin Luge: "Und dann kann man Fahrten eingeben, wo man sagt: ´Ich möchte auf der Strecke jemand mitnehmen.` Man kann Tag und Zeit eingeben, einen Kommentar dazu schreiben und dann noch Zwischenstationen angeben. Zum Beispiel von ´Nach Hause, Kita, Schule, S-Bahn`: Wenn man mehrere Stationen auf einer Route hat, kann man mehrere Stationen auch definieren, und diese Fahrt kann dann wiederum von anderen gefunden werden. Und wenn man die richtige Fahrt gefunden hat, kann man denjenigen kontaktieren."
Martin Luge, Entwickler der Mitfahr-App "Pampa" steht vor einer Wand aus Backstein
Martin Luge hat die Mitfahr-App "Pampa" entwickelt.© Vanja Budde
Bislang nutzten etwa 150 Leute aus Prädikow und den Nachbardörfern die Mitfahr-App, erzählt Martin Luge. Dafür, dass "Pampa" erst seit vergangenen September am Start ist, seien sie zufrieden. Zumal die Leute, die bislang allein im Auto saßen, ihre Einstellung ändern müssten: Fremde mitnehmen oder selber zusteigen und den eigenen Wagen stehen lassen. Martin Luge arbeitet für "Raum für Zukunft", ein Netzwerk für Innovationsdesign, wie sich das Unternehmen selber nennt. Sie beraten unter anderem Brandenburger Kommunen, wie das neue Miteinander von Alteingesessenen und Zugezogenen gelingen kann, erzählt Luge.
Alles sei momentan im Wandel, etwa durch die Digitalisierung.
"Auch gerade auf dem Land passiert super viel, wenn Städter raus ziehen wollen. Und die Frage ist, wie Kommunikation dazu aussehen muss, damit dieser Wandel auf Augenhöhe passiert."

Das Dorf zum Anfassen

In Prädikow zum Beispiel:
"Da wird jetzt eine neue Dorfscheune initiiert. Und da geht es genau darum, dass die Städter auf die Dörfler treffen und die Dörfler auf die Städter, und wie können beide Welten zusammenfließen und neue Synergien, ein neues Zusammenleben gewährleistet werden."
Alternative Mobilitäts-Ideen entwickeln wie mit der "Pampa"-App: Für Martin Luge ist das ein Beispiel für die gegenseitige Bereicherung.
"Es ist halt eine Gemeinschaft. Wenn man sich da öffnet, kann es eine ganz schöne Gemeinschaft sein. Und was mir seit dem Auszug aus der Stadt besonders auffällt, ist, dass man halt Dinge anfassen kann. Man kann Probleme lösen. Das fühlt sich in der Stadt anders an. In einer Stadt ist man irgendwie schneller anonymisiert oder denkt man sich, das Problem geht einen wirklich nichts an oder man hat keine Chance, da irgendwas zu bewegen. Aber auf dem Land ist es so: Wenn man nichts macht, sieht man, dass eben nichts passiert und das spürt man dann auch direkt."
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