Lastenrad statt Verbrennungsmotor

Ein Berliner Autohaus nimmt die Verkehrswende vorweg

07:17 Minuten
Ein Hinweisschild weist Parkplätze für Lastenfahrräder aus.
Autohäuser müssen sich auf die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse einstellen. © picture alliance/dpa / Rolf Vennenbernd
Von Sven Kästner · 12.04.2022
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Ein Berliner Autohaus schmeißt die Autos raus – und holt Lastenräder, Elektrotransporter und Fahrräder rein. Dem Betreiber schwebt für die Zukunft ein Mobilitätshaus vor. Dort wird es vielleicht sogar Tickets für den öffentlichen Nahverkehr geben.
Stop and go im Berliner Stadtteil Friedrichshain: Auf der Frankfurter Allee brummt der Verkehr über sechs Spuren. Die Straße gehört zu den befahrensten in Deutschland. Hier, im Erdgeschoss eines Plattenbaus, hat das „Autohaus Golbeck“ 30 Jahre lang Neuwagen ausgestellt.

Heute sind hinter der Glasfassade des Showrooms keine Autos mehr zu sehen, sondern Transporträder. „Mobilitätshaus“ heißt die Filiale jetzt. Alles zum Thema unter einem Dach – so beschreibt Geschäftsführer Sebastian Olényi das Konzept.

„Wir glauben, dass in Zukunft die Leute ins Mobilitätshaus gehen, um dort alle ihre Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen. Dass die dort vielleicht ein Lastenfahrrad oder ein normales Fahrrad kaufen. Dass sie sich dort vielleicht das Abo der öffentlichen Verkehrsmittel besorgen. Aber auch vielleicht das Elektroauto oder den Elektrotransporter. Also dass alle Mobilitätsbedürfnisse an einem Ort gelöst werden können.“

Andere Geschäftsfelder für Autohäuser

In der Anfangszeit knatterten hier die Motoren. 1982 eröffnete Familie Golbeck im Ostberliner Zentrum eine private Trabant-Werkstatt – in der DDR-Mangelwirtschaft ein florierendes Geschäft, das auch nach der Wiedervereinigung mit den Westautos weiterlief. Doch jetzt hat die Verkehrswende Sohn Christoph Golbeck zum Umdenken gebracht.
 
„Autohäuser werden weniger Geschäft machen in Zukunft. Sie müssen anderes Geschäft machen, wenn es um eine konsequente Verminderung des CO2-Anteils der Mobilität am Gesamtausstoß in Deutschland und anderswo geht.“

Elektroautos lassen Margen schrumpfen

Am Berliner Stadtrand betreibt der Politikwissenschaftler eine zweite Filiale. Dort verkauft er weiterhin Autos. Und auch in der Innenstadt arbeitet noch die Werkstatt für Autos mit Verbrennungsmotor.

Gerade löst ein Mitarbeiter mit einem Druckluftschrauber die Räder eines Wagens. Das Geschäft mit Wartung und Service lohnt sich. Aber Christoph Golbeck ahnt, dass sich auch das in einigen Jahren ändern könnte. Denn Elektroautos lassen die Margen schrumpfen, also die Gewinnspannen.

„Tesla bietet heute schon die Inspektionen, an denen wir im Autohaus immer sehr gut Marge auch anteilig hatten, bietet Inspektionen als Download an. Der Kontaktpunkt zwischen Kunde und Betrieb beschränkt sich häufig noch auf einen nicht margenrelevanten Reifenwechselprozess. Und selbst der entfällt bei Ganzjahresreifen.“

Unabhängige Werkstätten haben es schwer

Reine Elektroautos haben kein Getriebe, brauchen keinen Ölwechsel und keine Abgasuntersuchung. Selbst die Bremsbeläge müssen selten getauscht werden, weil der Elektromotor am Bremsvorgang beteiligt ist. Schön für die Autobesitzer, aber schwierig für die unabhängigen Werkstätten.

„Ein monopolartig konzentriertes Geschäft bei den herstellergebundenen Betrieben ist nicht nur absehbar, sondern wird schon ganz klar angekündigt. Wenn sie für die autonom fahrenden Fahrzeuge ganz anders auch haften werden, werden sie dieses Geschäft an sich ziehen.“

Das Wartungs- und Servicegeschäft im Blick

Christoph Golbeck vermisst in seiner Branche zuweilen das Bewusstsein für die drohenden Probleme. Dabei kündigt sich der Ärger bereits an. Schon heute sammeln moderne Autos mit ihren vielen Sensoren massenhaft Daten. Die Autohersteller erlauben freien Werkstätten aber nur auf wenige zuzugreifen. Viele Defekte dürfen nur noch Vertragswerkstätten beheben, sagt Wilhelm Hülsdonk vom Zentralverband des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes.

„Bezogen auf das Wartungs- und Servicegeschäft sind wir vorsichtig, wachsam. Und wir setzen uns dafür ein, dass alle Leistungen, die nach dem Vertrieb des Fahrzeugs kommen, im Gewerbe im Wettbewerb untereinander gemacht werden. Und wenn uns das gelingt, so wie in den letzten Jahrzehnten, dann sind wir durchaus optimistisch als Branche.“

In Zukunft weniger Reparaturen

Der Verband fordert von Kartellbehörden und Gesetzgeber dafür zu sorgen, dass nicht nur die Hersteller selbst das Wartungsgeschäft übernehmen dürfen. Dann falle auch genug für die etwa 22.000 unabhängigen Werkstätten ab, so die Hoffnung. Ein Faktor allerdings fehlt in dieser Rechnung: Es wird weniger zu reparieren geben, wenn weniger Autos unterwegs sind. Und genau das ist ein zentrales Ziel der Mobilitätswende. Der Verkehrssektor soll bis 2030 nur noch halb so viel CO2 ausstoßen wie heute.

„Um das zu schaffen, brauchen wir einen Mix aus verschiedenen Strategien. Da gehört sicherlich die Elektromobilität dazu. Also die vorhandenen Autos effizienter und klimafreundlicher machen. Aber auch die Verlagerung des Autoverkehrs, des privaten Autoverkehrs auf andere Verkehrsmittel: Also auf den öffentlichen Verkehr, den Radverkehr. Aber auch Sharing-Mobilität, die ja immer ein Bindeglied darstellt.“

Politik muss Mobilitätswende ermöglichen

Verkehrsexperte Thorsten Koska vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hält die Mobilitätswende für erreichbar. Dafür müsse die Politik aber die richtigen Voraussetzungen schaffen.

„Wenn es tatsächlich so ist, dass wir gute Rahmenbedingungen für die Verkehrswende bekommen, dann werden weniger Fahrzeuge benötigt. Dann kaufen sich auch weniger Leute sowohl privat als auch dienstlich Fahrzeuge. Und in dem Fall ist es für die Autohändler existenziell, dass sie sich ein anderes Standbein suchen und eher zu Mobilitätsanbietern werden.“

Verschiedene Verkehrsmittel im Mobilitätshaus

Wenn der Verkehrsexperte Recht behält, dann wäre Christoph Golbeck mit seinem Berliner Mobilitätshaus auf dem richtigen Weg. Dort ist Geschäftsführer Sebastian Olényi jedenfalls optimistisch: Er will seinen Kundinnen und Kunden individuelle Mobilitätskonzepte verkaufen.

„Wir wollen dahin beraten - besonders hier in diesem urbanen Kontext - dass es eben nicht nur das Auto sein muss. Sondern dass es viele andere zusätzliche Möglichkeiten gibt, sich fortzubewegen. Die nachhaltiger und gerade hier in der Innenstadt häufig auch viel schneller sind. Und deswegen bieten wir mit dem Mobilitätshaus eine immer breitere Palette an verschiedenen Verkehrsmitteln an.“

Autos gehören in der Filiale übrigens nicht mehr dazu – die gibt es hier seit Anfang des Jahres nicht mehr zu kaufen. 
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