''Mittelmäßiges Heimweh, geschundene Tiere"

Von Jörg Magenau |
Was denkt ein Mann, der eines Tages sein eigenes Ohr auf dem Boden einer Kneipe liegen sieht? In Wilhelm Genazinos Roman "Mittelmäßiges Heinweh" scheint sich der Held davon nicht besonders beeindrucken zu lassen. Der Roman ist geprägt von einer Stimmung des Verlustes und des Abschiednehmens und dem Erschrecken über die Durchschnittlichkeit der eigenen Gefühle.
Melancholisch ist auch die Atmosphäre in dem Gedichtband "Das geschundene Tier", mit dem Martin Walser zu seinem 80. Geburtstag als Lyriker zu entdecken ist.

Überhaupt sind es immer wieder die Tiere, die als literarischer Spiegel der eigenen Gefühle dienen. In den nachgelassenen Erzählungen von Robert Gernhardt bietet ein Hund seine Schwanzspitze einem Maler als Pinsel an. In Henning Ahrens Roman "Tiertage" tritt ein Wilder Mann auf, der wahllos Tiere tötet. Und in Silke Scheuermanns Roman "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" ist es der Blick in den Zoo neben einem Krankenhaus, der die Erzählerin immer wieder auf ihre eigene kreatürliche Existenz zurückwirft.

Hat das gesteigerte Interesse am Tierischen vielleicht damit zu tun, dass der Mensch sich selbst als Kreatur immer rätselhafter wird? Und wie verhält sich dazu die Melancholie des Abschieds? Jörg Magenau unternimmt einen Streifzug durch die Neuerscheinungen der deutschsprachigen Literatur in diesem Frühjahr.