Miteinander statt Fanatismus

Von Christian Röther · 08.06.2013
Oft sind ausgerechnet religiöse Konflikte Auslöser gewalttätiger Auseinandersetzungen. Was also ist zu tun, damit Religionen ihr friedliches und friedensstiftendes Potenzial verwirklichen können? Darum ging es bei einer Diskussion in Hannover.
"Welchen Beitrag können die Religionen zu einer friedlicheren und gerechteren Welt leisten?" So lautet der etwas sperrige Titel der Diskussionsrunde in der integrierten Gesamtschule im hannoverschen Stadtteil List. Sie bildet den Abschluss der mehrwöchigen Veranstaltungsreihe "Mit gemeinsamen Werten in die Zukunft". Neben einer Ausstellung zur Ethik der Weltreligionen wurde unter anderem auch über die Situation der Frauen in den Religionen diskutiert. Zum Abschluss geht es also allgemein um Frieden und Gerechtigkeit. Auf dem Podium sitzen einige namhafte Vertreter verschiedener Religionen in Niedersachsen: ein Bahai, ein Buddhist, ein Muslim, ein Jude und eine Katholikin, die aus Platzgründen auch für die Protestanten spricht.

Sie alle sind davon überzeugt, dass Frieden und Gerechtigkeit auf der Erde mithilfe der Religionen zu verwirklichen sind – allerdings nicht kurzfristig, wie Ali Faridi von der hannoverschen Gemeinde der Bahai sagt:

"Es ist wichtig, dass die Religionen zweigleisig fahren. Versuchen erst mal, die Konflikte einzudämmen, so gut, wie sie können, und gleichzeitig anfangen, in Form von Erziehung und Bildung Menschen zu autonomen und gerechten Menschen heranzuziehen."

Faridi fordert auch ein entschiedenes Eintreten gegen religiösen Fanatismus. Der Missbrauch der Religionen müsse ebenso hart bekämpft werden wie der Missbrauch von Kindern. Viele Religionen betätigen sich als Brandstifter, sagt er. Das sieht auch Avni Altiner so, Landesvorsitzender des Verbandes der Muslime in Niedersachsen, der Schura.

Weil er ehrenamtlich tätig ist, kann er nicht gleich die ganze Welt retten, scherzt Altiner. Deshalb wirft er einen Blick auf Niedersachsen und verweist auf die Drei-Religionen-Schule in Osnabrück, die von Christen, Juden und Muslimen gemeinsam betrieben wird:

"Das ist ein gelebter religiöser Austausch, nicht nur Dialog, sondern gegenseitige Akzeptanz. Also es ist mehr als Dialog, mehr als Toleranz, sondern eine Akzeptanz, und man respektiert sich. Und Gott sei Dank, es funktioniert. Nur wo die Wege sind, die muss man bestreiten, und das haben wir gemacht."

Die religiöse und interreligiöse Erziehung der kommenden Generationen als Weg zu einem besseren Miteinander: Sie entwickelt sich zum Hauptthema des Abends, insbesondere wird über den Religionsunterricht an Schulen diskutiert.

Loc Ho, der Abt des buddhistischen Klosters Vien Giac in Hannover, will durch die buddhistische Erziehung den Frieden zunächst in den einzelnen Menschen erreichen:

"Wenn der Frieden in jedem sozusagen existiert oder herrscht, beginnt, dann kann dieser Frieden auch nach außen durch Worte, durch Handlungen, durch Taten, durch Gedanken auch beeinflusst werden. Man muss immer auf sich selbst zurückkommen, ja. Und das passiert durch die Erziehung. In jeder Familie wird es von klein an erzogen, und in der Schule, und so wird es weitergegeben dann."

Interreligiöse Erziehung als Schlüssel
In der Schule sieht auch die pensionierte Lehrerin Christel Hasselmann einen wichtigen Faktor für die Verständigung. Sie sitzt für die Stiftung Weltethos auf dem Podium, die Stiftung hat die Veranstaltung mitorganisiert. Hasselmann betont die gemeinsamen ethischen Werte der Religionen, wie sie 1993 in Chicago vom Weltparlament der Religionen in der Weltethos-Erklärung zusammengefasst wurden. Hasselmann ist der Ansicht, dass eine interreligiöse Erziehung der Schlüssel zu einer besseren Welt sein kann:

"In so einem Unterricht wäre es natürlich sehr erleichternd, das Weltethos dort auch zu thematisieren. Und es wird den Heranwachsenden sehr schnell klar, welche gemeinsamen Verbindungen da sind, aufgrund der gemeinsamen Werte: Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht Unzucht treiben. Die goldene Regel, die sie in allen Religionsgemeinschaften/Weltanschauungsgemeinschaften haben. Und meine Schülerinnen und Schüler haben mir immer wieder bestätigt: Weltethos war das wichtigste Thema, das sie gelernt haben, insgesamt in der Schulzeit."

Mit dem Weltethos zum Weltfrieden – pessimistischer ist da Michael Fürst. Er ist Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Fürst hat große Zweifel, dass die versammelten Religionsvertreter von Hannover aus etwas für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt tun können – außer darüber zu reden. Das sei aber schon eine gute Voraussetzung für den Frieden, dass man miteinander redet und einander zuhört:

"Wir werden nicht die Welt neu bewegen mit unseren Gedanken, aber das Entscheidende ist natürlich, dass wir uns hier verstehen. Und da haben wir gute Ansätze und das betreiben wir auch schon seit vielen Jahren so, dass wir Juden mit den Muslimen hier sehr gut klarkommen, auf der oberen Ebene. Das heißt nicht unbedingt, dass die Kinder gut miteinander auskommen müssen, aber erst mal fangen wir oben hier an. Schön wär's, wenn's von unten käme, aber dazu ist die Zeit noch nicht reif, glaube ich."

Kluft zwischen Praxis und Theorie
Noch pessimistischer sieht Sigrun Stoellger den Beitrag der Religionen zu einer gerechten Welt. Sie sitzt für die religionskritische Giordano-Bruno-Stiftung auf dem Podium. Stoellger stellt sich als Atheistin vor und übt auch Kritik an ihren Mitdiskutanten: In der Theorie würden deren Ausführungen ja gut klingen, die Praxis der Religionen sehe aber meistens anders aus:

"Der Herr Fürst und der Herr – ich weiß seinen Namen nicht – von der muslimischen Gemeinde, die verstehen sich ja blendend, wunderbar. Ich wär' begeistert, wenn alle Juden und Muslime sich so gut verstehen würden. Und da braucht man einfach einen Dialog."

In eben einem solchen Dialog in der Hannoveraner IGS räumen alle Religionsvertreter die kritischen Punkte ein, die von der Atheistin Stoellger oder aus dem Publikum geäußert werden – wie die ungleiche Position von Frauen in vielen religiösen Traditionen. Man will voneinander lernen und es besser machen. Aber Michael Fürst, der Vertreter des Judentums, bleibt auch skeptisch: In hundert Jahren werden wieder Menschen in dieser Schule zusammensitzen und dasselbe beteuern, fürchtet er, weil sich bis dahin nichts getan haben wird. Doch muss man wirklich so finster in die Zukunft blicken?

Peter Antes, langjähriger Professor für Religionswissenschaft an der Universität Hannover und der Moderator des Abends, zieht Bilanz:

"Ich denke, das Fazit ist eindeutig: Es wurde doch drauf hingewiesen, dass man weniger von den Unterschieden reden soll, als die Gemeinsamkeiten betonen. Und vor allen Dingen zu gemeinsamen Aktionen übergehen, bei denen dann alle sich einbringen und damit in einer Art Schneeballsystem an einer besseren Welt mitarbeiten."

Am Ende kommt es auf dem Weg zu Frieden und Gerechtigkeit also weniger auf die Religionen an, sondern vor allem auf die Menschen – und deren Bildung, wie immer wieder betont wurde.
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