50 Jahre Betriebsverfassungsgesetz

Schöne neue Arbeitswelt ohne Mitbestimmung?

06:16 Minuten
Beschäftigte des Express-Lieferdiensts Gorillas demonstrieren vor der Firmenzentrale für bessere Arbeitsbedingungen. Seit Monaten legen Gorillas-Kuriere ihre Arbeit nieder, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erstreiten. Vor kurzem hat das Unternehmen einer Reihe von Mitarbeitern fristlos gekündigt.
Gorillas-Beschäftigte demonstrieren im Oktober 2021 für bessere Arbeitsbedingungen. © dpa-Zentralbild / Monika Skolimowska
Heiner Heiland im Gespräch mit Nicole Dittmer · 19.01.2022
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50 Jahre wird das Betriebsverfassungsgesetz alt und es ist angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt ein wenig in die Jahre gekommen. Denn: Bei prekär Beschäftigten oder Kurierdiensten sieht es bei der Mitbestimmung schlecht aus.
Heiner Heiland, Arbeitssoziologe an der TU Darmstadt beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Realitäten der neuen Arbeitswelt und forscht besonders zu Kurierdiensten und Jobs, die über Plattformen vermittelt werden, zum Beispiel Dienste wie Foodora oder Gorillas. Dort sehe es nicht sonderlich gut aus mit der Mitbestimmung. Denn das seien sehr junge Unternehmen, und da müssten die Arbeiterinnen und Arbeiter solche Dinge erst erkämpfen.

Zweifelhafte Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten

Heiland hat zu Recherchezwecken selber für einen Kurierdienst gearbeitet und festgestellt, „dass Mitbestimmung nicht existiert, dass die Arbeitsbedingungen zweifelhaft sind, dass bei grundsätzlichen Sachen wie ‚Wann wird der Dienstplan kommuniziert?‘ die normalen Vorgaben nicht eingehalten werden. Das sind alles Aufgaben, die ein Betriebsrat übernehmen würde, an den man sich wenden könnte, was man als Fahrer dann eben nicht machen kann, sondern selber machen muss und dann eben die Angst hat, dass der Vertrag nicht verlängert wird.“
Die meisten der Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich seien prekär oder die Fahrerinnen und Fahrer müssen als Selbstständige arbeiten und ihre eigenen Arbeitsmittel mitbringen, so Heiland weiter.

Behinderung von Betriebsratswahlen

In solchen Unternehmen einen Betriebsrat zu gründen, sei eine große Herausforderung, so Heiland. Denn zum einen sei die Arbeit so ausgerichtet, dass man gar nicht aufeinandertrifft und sich so auch nicht über die Arbeitsbedingungen austauschen kann oder gemeinsam überlegen kann, ob man einen Betriebsrat gründen kann.
Zum anderen versuchten viele der Unternehmen, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. So habe zum Beispiel Lieferando konkurrierende Listen bei der Betriebsratswahl aufgestellt. Gorillas habe die Betriebsratswahl behindert und dann letztendlich auch das Ergebnis später gerichtlich angefochten. Die Beschäftigung sei ja ohnehin schon sehr prekär, unter anderem da die Beschäftigten als Selbstständige unterwegs seien.

"Ein wenig besser"

Inzwischen gebe es eine „leichte Verbesserung“, auch durch die Proteste. Es gebe mittlerweile Betriebsräte, wenn auch nicht überall. Auch die Beschäftigungsbedingungen verbesserten sich. „Das gibt es zunehmend, dass die Plattformen auch mit aus der Not heraus, die Leute halten zu müssen, und auch aufgrund der Proteste die Arbeiter und Arbeiterinnen dann doch irgendwie anstellen.“ Und das gebe dann eben erst die Möglichkeit, dass man Mitbestimmung etablieren kann. Auch die Bezahlung habe sich leicht verbessert.
„Von einem sehr niedrigen Niveau ist es ein wenig besser geworden.“ Doch es sei nie freiwillig vonseiten der Plattform-Unternehmen gekommen, sondern in der Regel erst nach Protesten und nach breiter öffentlicher Aufmerksamkeit, betont Heiner Heiland.

Heil kündigt Reformen an

Die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, hier Lösungen zu finden, damit die betriebliche Mitbestimmung von Mitarbeitern weiter stattfinden kann und Arbeitnehmerrechte nicht geschwächt werden. Diese Tendenz sieht beispielsweise die Publizistin Ferdos Forudastan . Und durch das mobile Arbeiten in der Corona-Krise habe sie sich noch verstärkt.

 Negative Auswirkungen des Homeoffice

Man könne sehr vieles über den Bildschirm regeln, aber den kleinen Schnack um die Ecke, das gemeinsame Kaffeetrinken nicht, so Forudastan. Und sei auch weniger geworden, dass man sich zusammentue, dass man gegen etwas, das man als Missstand empfindet, angeht. „Das hat alles einen – im negativen Sinne – Sprung nach vorne getan.“
Die genaue Ausgestaltung der Vorhaben der Ampel-Regierung muss man abwarten. Aber zum Beispiel soll es möglich sein, dass die Behinderung von Betriebsratsgründungen in Zukunft von der Justiz auch ohne vorliegende Anzeige als Straftat verfolgt werden kann – weil oft in solchen Fällen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Angst vor Kündigung keine Anzeige erstattet haben.
(abr/abu)

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