Radkuriere bei Gorillas

"Das ist prekäre Arbeit"

06:14 Minuten
Der Fahrer eines Lieferdiensts fährt über die Theodor-Heuss-Brücke.
Lieferdienste haben Konjunktur. Doch die Arbeit bei Gorillas und Co. ist hart, schlecht bezahlt und gefährlich. © picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow
Von Manfred Götzke · 04.01.2022
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In der Coronakrise florieren die Lieferdienste. Gorillas etwa wächst enorm. Doch der wirtschaftliche Erfolg wird auf dem Rücken von Fahrradkurieren ausgetragen. Sie klagen über schlechte Arbeitsbedingungen. Warum tun sie sich das dann an?
Mit schnellen Schritten steigt der Fahradkurier Amir die Treppe hoch, den Rücken durchgedrückt, im Rucksack auf seinen Schultern zehn Kilo Lebensmittel. Es ist kurz nach zwölf und Amirs achte Lieferung an diesem kalten Wintertag. Schon wieder kein Fahrstuhl, schon wieder ganz nach oben. "Ja, die Treppen – das ist der anstrengendste Part bei dem Job", sagt er.
Amir, der eigentlich anders heißt, zieht zwei Tüten aus seinem Rucksack. Milch, Saft, Nudeln, Eier. Die Kundin nimmt sie entgegen, ihre kleine Tochter drückt ihm einen Euro Trinkgeld in die Hand. Immerhin, sagt der 29-jährige Fahrradkurier.
"Manchmal schleppst du mehr als zehn Kilo in den fünften Stock – und dann gibts nicht mal einen Euro Trinkgeld. Das ist dann schon sehr demotivierend."

Berlin, knapp über Null Grad, Regen

Der große schlanke Mann mit den schwarzen Locken hastet die Treppen wieder runter, schwingt sich aufs Elektrofahrrad seiner Firma, zurück zum Warenhaus.
Ich fahre ihm auf meinem Rennrad hinterher. Es ist ein paar Grad über null an diesem Nachmittag in Berlin-Mitte. Regen schlägt uns entgegen, wir versuchen, den Pfützen auf dem Radweg auszuweichen.
Vier Kilometer später sind wir an Amirs Warenhaus an der Jannowitzbrücke. Der Kurier kommt nach ein paar Minuten wieder mit vollgepacktem Rucksack raus.

Fast jeder klagt über Rückenschmerzen

Ich setze den Rucksack testweise auf, mindestens zehn Kilo. Achteinhalb Stunden lang damit durch Berlin zu fahren, kann ich mir kaum vorstellen. Amir arbeitet seit April 2021 bei Gorillas, kurz danach fingen die Rückenschmerzen an.

Ich habe Rückprobleme vom Fahren, wie fast jeder von uns. Ich habe fast immer Schmerzen im unteren Rücken, kann mich nicht mehr so bewegen wie früher. Und eigentlich darf ich auch nichts Schweres mehr heben.

Amir, Fahrradkurier

Probleme mit den Rädern

10,50 Euro pro Stunde bekommt Amir für den Job, bald gibt es immerhin 12 Euro, wenn der Mindestlohn erhöht wird. Warum er sich das antut? Er findet nichts anderes, erzählt er mir.
"Ich habe keine andere Wahl, mein Deutsch ist nicht gut. Das geht den meisten bei Gorillas so. Die Leute sind erst seit Kurzem in Deutschland, sprechen die Sprache nicht und finden nichts anderes."
Weiter gehts durch den Berliner Regen. Während wir fahren erzählt mir Amir, dass er vorhin das Fahrrad wechseln musste. Beim Ersten funktionierten die Bremsen nicht richtig. Ein Standardproblem sei das bei Gorillas, sagt er.
"Es gibt eigentlich immer Probleme mit den Rädern. Letztens bin ich vom Rad gefallen, weil nur die vordere Bremse ging. Fast wäre ich gegen einen Van geknallt. Zum Glück ist nicht wirklich was passiert."
Das Unternehmen schreibt auf Deutschlandfunk-Kultur-Anfrage: Die Wartung der E-Bikes finde in regelmäßigen Abständen statt. Bei Bedarf "führen wir auch sofortige Reparatur- und Wartungsmaßnahmen durch bzw. nehmen defekte Fahrräder aus der aktiven Flotte. Außerdem appellieren wir an unsere MitarbeiterInnen, ihre eigene Sicherheit stets in den Vordergrund zu stellen."

Knallhart bei Kündigungen

Ein paar Wochen vorher vor dem Berliner Arbeitsgericht. Gorillas hat hier gegen die Bildung eines Betriebsrates geklagt – und in zweiter Instanz verloren. Arbeitsrechtler Martin Bechert hat die Mitarbeiter von Gorillas vertreten:
"Jetzt freuen wir uns erst mal, dass wir hier gewonnen haben! Das ist ein doppelter Sieg, wir haben jetzt Informationen bekommen über die betriebliche Struktur, die sie jetzt planen, und wir haben jetzt einen Betriebsrat!"
Protestschild mit der Aufschrift: "Support the Berlin Gorillas Strike".
Auch in Amsterdam protestierten Gorillas-Mitarbeiter gegen die Arbeitsbedingungen - und unterstützten damit den Streik in Berlin.© imago images/Richard Wareham
Der Berliner Arbeitsrechtler vertritt auch Gorillas-Fahrer, denen gekündigt wurde, nachdem sie im Sommer gegen die Arbeitsbedingungen im Unternehmen protestiert haben. Für andere klagt er auf unbefristete Anstellung.
"Das ist ein typisches Internetunternehmen", sagt er. "Dass man einerseits vordergründig sich duzt und ein gutes Klima schaffen will, und hinten raus aber knallhart ist, wenn es dann um Kündigungen und Befristungen geht."

"Sie wollen uns mürbe machen"

Gorillas hat nicht nur versucht, die Bildung des Betriebsrates gerichtlich zu verhindern. Mitarbeiter, die sich bei der Bildung der Arbeitnehmervertretung engagiert haben, wurden von dem Unternehmen in andere Warenhäuser versetzt. Anne Hix aus England zum Beispiel:
"Ich wurde nach Steglitz versetzt, das ist eine Stunde mit dem Rad von mir zu Hause. Ich glaube, das ist allen aus dem Wahlvorstand des Betriebsrates passiert. Sie wollen uns mürbemachen, wollen, dass wir müde und gestresst sind und verunsichert, ob wir noch bezahlt werden. Die ganze Strategie des Unternehmens ist, dass wir aus dem Ausland kommen, dass wir die Regeln auf dem Arbeitsmarkt nicht kennen. Das ist Gig Economy, das ist prekäre Arbeit."
Gorillas bestreitet, die Bildung von Betriebsräten zu behindern. Man unterstütze die Bildung eines Betriebsrats, so das Unternehmen.
Amir hat sich eine weitere Bestellung aus dem Lager geholt – wieder ist der Rucksack voll und schwer. Wieder geht es in den vierten Stock.
"Ich habe gerade meinen BWL-Master gemacht", sagt er. "Sobald ich etwas anderes finde, kündige ich hier. Kaum jemand arbeitet hier länger als ein Jahr, es gibt auch nur Einjahresverträge. Warum? Sie bekommen die Fahrer hier in Berlin schnell – und sie werden sie so auch schnell wieder los: Du hast Rückenprobleme, was auch immer, du kannst den Job in einem Jahr nicht machen? Egal, wir finden jemand anders. Ich denke, das ist deren Modell."
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