Mit Wiederholungen zum Erfolg

Das Prinzip Penetranz

Eine Frau und ein Mann stikulieren mit erhobener rechter Hand.
Politische Rhetorik lebt von Wiederholungen, sagt Rainer Paris. © picture-alliance / dpa / Peter Steffen
Von Rainer Paris · 07.09.2016
In der politischen Rhetorik siegt nicht derjenige, der die besseren Argumente hat, meint der Soziologe Rainer Paris. Sondern derjenige, der sich am besten gegen fremde Argumente abschottet und auf unermüdliche Wiederholung der eigenen setzt.
Eine wenig beachtete Technik in öffentlichen und politischen Auseinandersetzungen ist – wenn man sie denn so nennen will – die Argumentationsfigur der Wiederholung.
Das "Argument" ist, sein früheres Argument oder die zuvor aufgestellte Behauptung einfach noch einmal und immer wieder zu wiederholen, egal was der andere gesagt hat: Ich habe Recht, weil ich Recht habe. Sachlich sowieso, aber vor allem moralisch. So sehr bin ich von meiner Wahrheit und meiner eigenen moralischen Überlegenheit überzeugt, dass ich alles, was der andere gegen mich vorbringt oder auch nur vorbringen könnte, getrost ignorieren kann.
In gewisser Weise sind solche Leute zu beneiden: Nichts und niemand kann ihnen etwas anhaben. Gentechnik ist des Teufels, und wer diese amerikanischen Lebensmittel mag, soll eben daran zugrunde gehen.
Als ich neulich im Supermarkt eine Gemüseverkäuferin fragte, ob sie vielleicht auch etwas Genmanipuliertes für mich hätte, war sie etwas verwirrt. Nicht nur, weil sie keine solchen Lebensmittel hatte (oder nichts davon wusste), sondern vor allem, weil ich bezweifelt hatte, wer hier die Manipulateure sind.

Tatsachen schaffen durch Penetranz

Man muss einen Begriff nur so lange immer wieder verwenden und penetrant wiederholen, bis er für alle Beteiligten zu einer unumstößlichen Tatsache wird, die von niemandem mehr bezweifelt werden darf.
Das Ziel ist die Ausübung politischer und kultureller Macht. Gegen die penetrante Wiederholung einer Behauptung, an der ohne Rücksicht auf Gegenargumente einfach stur festgehalten wird, ist man eigentümlich wehrlos. Schon die Notwendigkeit zu entscheiden, ob der andere den Einwand vielleicht nicht gehört oder nicht verstanden hat oder ihn partout nicht verstehen will, verschafft ihm einen uneinholbaren Vorsprung: Wo der eine überlegt, ist der andere davon entlastet. Entschlossene Dummheit gewinnt.
Besonders gut funktioniert eine solche Einstellung, wenn es einem gelingt, die Dinge von vornherein so einzurichten, dass man, was auch immer geschieht, niemals Unrecht haben kann. Man schürt einfach Angst und malt die Katastrophe an die Wand: Tritt sie ein, ist man bestätigt. Bleibt sie aus, hat man erfolgreich gewarnt. Außerdem kann sie ja immer noch eintreten.
So kann man durch Wiederholung und Wiederholung der Wiederholung oft jahrelang die Tagesordnung besetzen und jeden Anlass nutzen, um seine ideologische Suppe erneut zum Köcheln zu bringen.

Penetranz lässt kleine Gruppen groß erscheinen

Das Prinzip Penetranz ist deshalb so erfolgreich, weil es auf Auslaugung und Zermürbung setzt. Es ist letztlich das Ruhebedürfnis der anderen, das die lautstarken Kleingruppen siegen lässt. Irgendwann geben die Mehrheiten ihren Widerstand auf, oft in der Hoffnung, dass, wenn man die Forderungen erfüllt, die ständige Propaganda und Belästigung endlich aufhören würden.
Das erweist sich freilich regelmäßig als Irrtum. Diese Leute hören nie auf: Sie suchen sich einfach, leicht abgewandelt, neue Themen und Anlässe, die sie auf diese Weise traktieren können.
Doch auch nach innen, im Binnenraum der Gruppierungen, erfüllt die Wiederholung eine wichtige Funktion. Sie wirkt als Mechanismus der Selbstagitation und des Abdrängens jedweden Zweifels. Man bestätigt sich gegenseitig seine Gutheit und Großartigkeit, auch die gemeinsame Überlegenheit gegenüber der großen Masse der Normalmenschen, deren Leben im Alltag aufgeht.
Noch der kleinste Anhänger kann sich so als etwas Besonderes und Teil einer Elite fühlen, die einem höheren Zweck zustrebt und das Heil sucht.
Und gerade das bedarf der Wiederholung.

Rainer Paris, geboren 1948 in Oldenburg, hat Soziologie, Psychologie und Germanistik an der Freien Universität Berlin studiert. Von 1994 bis 2013 lehrte Rainer Paris als Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Er publizierte zahlreiche Aufsätze in Fach- und Kulturzeitschriften, darunter in der Soziologie-Kolumne der Monatszeitschrift Merkur und veröffentlichte viel zu Fragen der Macht- und Organisationssoziologie, unter anderem zu Problemen der Geschlechtermacht, oft mit feminismuskritischem Akzent.

Der Soziologe Rainer Paris im Studio von Deutschlandradio Kultur
© Deutschlandradio / A. Bräunlein
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