Misstrauen gegen die Bilder schüren

Von Hartwig Tegeler |
Die Filme des österreichischen Regisseurs Michael Haneke wirken verstörend und verweigern die Antwort auf die sich aufdrängenden Fragen. Haneke will nach eigenem Bekunden den Glauben an die Wahrhaftigkeit der Bilder zerstören. Was die Medien vermitteln, sei eben nicht die Realität, betont Haneke, sondern Manipulation.
Die Absicht und sein künstlerisches Credo ist es, Vertrauen zu nehmen. Vertrauen wegnehmen und:

„Das Misstrauen in den Glauben an diese Bilder zu schüren.“

Die Bilder, die uns umgeben in unserer Mediengesellschaft. Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute. Sekundenrhythmus.

„Wir bilden uns ja alle ein, informiert zu sein. Durch die medialen Bilder.“

Im Fernsehen, im Kino, im Internet. Bilder, von denen wir umstellt sind, und die uns – das ist die große Lüge unserer Gesellschaft, sagt Michael Haneke – die uns „Realität“, „Wahrheit“, „Wahr-haftigkeit“ vorgaukeln:

„Wir haben ein Bild von der Welt, das uns durch diesen viereckigen Kasten täglich ins Haus steht und halten das für die Realität. In Wirklichkeit wissen wir gar nichts. Wir sehen Bilder von Ereignissen, die schon manipuliert sind. Durch die Auswahl der Bilder ist es schon Manipulati-on, durch die Positionierung der Kamera ist es schon eine Manipulation des Blicks des Zu-schauers. Wir sehen diese Bilder und haben die Illusion, informiert zu sein. In Wirklichkeit wis-sen wir nicht mehr, als wir vor dem medialen Zeitalter wussten, nämlich dass, was man persön-lich erfahren hat.“

Ja und, Könnte man sagen. Wen stört's? Doch Michael Haneke sieht in der psychologischen und politischen Konsequenz dieser Vorstellung von Wirklichkeit ein großes Problem:

„Wir haben – und das ist die Gefahr –, wir haben die Illusion, etwas zu wissen, ja. Und sind damit die potentiellen Opfer jeder Form von Manipulation.“

Mit den medialen Bilder hat Haneke seit seiner Kindheit Erfahrung: Sein Vater war Regisseur, die Mutter Schauspielerin. Er weiß es auch aus der Zeit vor seiner Karriere als europäischer Ausnahme-Regisseur: Ende der 1960er bis in die 70er Jahre war er Redakteur und Fernseh-spieldramaturg beim damaligen Südwestfunk; dann arbeitete er am Theater, schrieb Fernseh-filme, bis er mit seinem ersten Kinofilm „Der siebente Kontinent“ seine – so Haneke selber – Filmsprache fand. Und da kam es dann in die Welt. 1989. Das Wort von der „emotionalen Ver-gletscherung“. Michael Haneke reagiert ein wenig müde auf die Frage, wie es denn so aussieht mit dieser „Vergletscherung der Gefühle“? Der vor 12, 13 Jahren. Und der von heute.

„Ja, Sie sagen schon: Es ist 12, 13 Jahre her, und der Begriff verfolgt mich immer noch. Al-so, man sollte keine griffigen Formulierungen erfinden, weil sie einen dann ewig verfolgen. Nein, natürlich, es hat sich nichts geändert. Wie sollte es sich auch geändert haben? Das, was man vor 15 Jahren über diese Gesellschaft gesagt hat, kann man heute genauso sagen. Also, es ist noch schlimmer geworden. Es ist sicher nicht besser geworden.“

Was ist aber, wenn jemand uns die allvertrauten Bilder, die uns Realität vorgaukeln, entzieht? „Der siebente Kontinent“ (1989), „Bennys Vídeo“ (1992) – oder „71 Fragmente einer Chronolo-gie des Zufalls“ von 1994 zu sehen bedeutet, sich mit einem Gefühl von Verunsicherung zu konfrontieren. Zweifellos anstrengend. „Ich weiß gar nicht“, meint Haneke, „was alle haben“.

„Ich versuch, eine Geschichte zu erzählen, aber da meine Geschichten mehr oder weniger vom gleichen Thema – also, wie gehen wir mit unserer Schuld um, wie gehen wir mit unseren Mitmenschen um? – handeln, sind sie nicht sie ... sind sie halt nicht wahnsinnig lustig. Aber ich habe jetzt keinen Ehrgeiz, der Schockierer vom Dienst zu sein.“

Eine Ausnahme hätte es allerdings gegeben: Als er vor acht Jahren in „Funny Games“ von zwei sadistischen jungen Männern erzählte, die eine Familie morden, ohne dass Autor und Re-gisseur Haneke uns mit einer Erklärung für diese Tat entlastet, die damit umso entsetzlicher und verunsichernder bleibt.

„Ich wollte einmal einen Film machen, der eine Provokation darstellt. Das war ‚Funny Ga-mes‘, weil mich die Verharmlosung von Gewalt in den Medien ärgert, immer noch ärgert, und ich dazu ein Statement abgeben wollte. Aber meine anderen Filme sind vielmehr die Versuche, die Wirklichkeit zu beschreiben. Und ich habe nie die Absicht, irgendjemand zu schockieren oder zu provozieren. Wenn Sie sich den ‚König Ödipus‘ anschauen – auch wenn ich mich nicht mit Sophokles vergleichen möchte –; ist es auch nicht besonders lustig. Und wenn man von ähnlichen Dingen heute spricht, sagt man: Um Gottes Willen, warum? Warum ist das aber so? Weil die Medien heute nur zur Zerstreuung dienen sollen. Alles ist ... das Leben ist fun, nicht! Und alles, was plötzlich von der Wirklichkeit spricht, wird dann schon als beängstigend oder bedrohlich oder provozierend empfunden. Ich verstehe das gar nicht.“

Viele Fragen wirft Haneke in seinen Filmen auf; Antworten aber gibt er nicht. Er lässt uns „hän-gen“! Warum erfahren wir nicht, von wem die Videokassette stammt, die in „Caché“ Juliette Binoche und Daninel Auteuil verunsichert und sie in ihrer Kommunikationslosigkeit, der Sprach-losigkeit einer in die Jahre gekommenen Ehe entblößt? Was ist das Bedrohliche an dieser Kas-sette, die doch nichts zeigt außer dem Haus des wohlsituierten Ehepaares? Warum keine Ant-worten, in früheren Filmen nicht und auch jetzt nicht in „Caché“? Zumindest dies beantwortet Michael Haneke mit einer fast arroganten Klarheit:

„Welcher Dummkopf hält sich denn für so kompetent, dass er Antworten auf die grundsätzli-chen Fragen wüsste. Wenn's Antworten gäbe, dann würde die Welt ja anders ausschauen. Das können nur immer die Politiker, die behaupten, Antworten zu haben.“

Nicht unterhalten, irritieren, zum Nachdenken bringen – das könnte als das Credo – noch einmal anders formuliert – dieses aufregenden europäischen Regisseurs gelten. Und eben: keine Ant-worten geben!

„Gerade das Wesen der dramatischen Kunst, die ja vom Konflikt lebt, ist natürlich die Frage-stellung und niemals eine Beantwortung! Aber ich glaube, das ist eine Selbstverständlich-keit.“
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