Missbrauch in der Katholischen Kirche

Keine Akten für den Staatsanwalt?

Überlegungen von Uwe Bork · 04.10.2018
Deutschlands Bischöfe haben die Opfer von Missbrauch in der Katholischen Kirche um Entschuldigung gebeten. Sie zeigten sich "tief erschüttert und betroffen". Das ist gut, meint der Journalist und Buchautor Uwe Bork, aber Reue allein reicht nicht.
Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie wären Topmanager in einem Industrieunternehmen. Wie das Leben so spielt, geraten Sie in dieser Rolle in den unangenehmen Verdacht, Preise abgesprochen oder Lieferanten erpresst zu haben. Was man halt so treibt auf der dunklen Seite des Kapitalismus…
Es ist anzunehmen, dass bald ein paar schwere Limousinen und geräumige Kombis vor ihrer Firmenzentrale vorfahren und schweigsame Männer damit beginnen, Akten und Computer aus dem Haus zu tragen. Ja, unsere Justiz lässt in solchen Fällen wirklich nicht mit sich spaßen. Und das ist auch gut so.
Nun nehmen wir einmal an, Sie wirkten zwar wieder auf der Führungsebene eines internationalen Unternehmens, nur dass ihr Konzern sich dieses Mal nicht um irdische Gewinne kümmert. Nein, ihm geht es um Schätze im Himmel, und das mit einer Tradition, die selbst eingeführteste Firmen wie Start-ups aussehen lässt: Ihre katholische Kirche, bei weitem größte aller Glaubensgemeinschaften auf der Welt, ist schließlich schon seit rund zweitausend Jahren im – Verzeihung – Geschäft.

Zweierlei Maß?

Auch dieses Mal haben Sie wieder mit schweren Vorwürfen zu kämpfen. Teilen Ihrer Belegschaft wird vorgeworfen, sich weltweit und seit langer Zeit an Kindern vergangen zu haben und nach wie vor zu vergehen. Bei weitem nicht nur Feministinnen halten Ihrer katholischen Kirche überdies vor, Männern und Frauen alles andere als gleiche Berufs- und Aufstiegschancen zu bieten, von einer Nichteinmischung in deren sexuelle Präferenzen und Usancen gar nicht erst zu reden.
Und jetzt raten wir alle gemeinsam: Werden auch bei Ihnen – jetzt quasi als einem Vertreter des Himmels – wieder Anwälte der irdischen Gerechtigkeit an der Tür läuten, um dieser Gerechtigkeit genüge zu tun? Wird womöglich gar der Verfassungsschutz Sie unter Beobachtung nehmen, weil bei Ihnen Artikel 3 des Grundgesetzes mit seiner Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter allenfalls als unverbindliche Empfehlung gilt? Doch wohl eher nicht, zumindest nicht in Deutschland. Aber warum eigentlich nicht? Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Ich glaube schon.
Der Grund dafür scheint mir in einer zwar weit verbreiteten, aber dennoch falschen Vorstellung davon zu liegen, was Kirche als "Gemeinschaft der Gläubigen" eigentlich ausmacht. Wenn es im für alle Katholiken verbindlichen Glaubensbekenntnis beispielsweise heißt "Ich glaube (…) an die heilige katholische Kirche" bedeutet das ja nicht, dass diese Kirche in dem Sinne heilig ist, dass ihr keine Fehler unterlaufen können und dass sie außerhalb jeder Kritik steht. Wenn hier von Heiligkeit die Rede ist, meint das vielmehr, dass die Kirche – und jetzt – Achtung! – wird es einmal für einen kurzen Moment etwas schwieriger – dass die Kirche also in einem transzendentalen Sinn von Gott stammt und deshalb ihre Gläubigen mit diesem Gott in Verbindung bringen will und kann.

Kirche wie jede andere Organisation behandeln

Anders sieht es dagegen aus, wenn wir diese Kirche als eine in der Welt wirkende Institution betrachten. In dieser Rolle muss sie von einem Staat, der sich der Aufklärung verpflichtet fühlt, genauso behandelt werden wie jede andere gesellschaftliche Organisation auch. Nicht schlechter, aber eben auch nicht besser.
Der katholischen Kirche, deren hohe und höchste Kleriker sich ja kaum noch zeigen können, ohne ihre Reue und Beschämung über die Verbrechen ihrer Amtsbrüder bekennen zu müssen, könnte diese "Verweltlichung" sogar helfen. Auch im Bereich der Kirche hat es stets die staatliche Justiz zu sein, die Verbrechen untersucht und ahndet, und nicht die Kirche selbst.
Das ist nicht nur eine Frage der Teilung der Gewalten. In dem Maße, in dem die Kirche nämlich ihre Verantwortung für die Aufklärung und Verfolgung ihrer Verfehlungen an eine von ihr unabhängige Rechtspflege abgibt, könnte sie wieder an gesellschaftlicher Glaubwürdigkeit gewinnen.
Wir alle würden davon profitieren.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zwei Mal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

Der Journalist Uwe Bork
© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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