Missbrauch in buddhistischen Gemeinschaften

Geblendet vom Glanz der Gurus

10:29 Minuten
Beschädigte Buddha-Figur in einem Tempel.
Erleuchtung auf Abwegen - das Image spiritueller Lehrer ist angekratzt. © Unsplash / Niels Steeman
Von Mechthild Klein · 24.02.2019
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Das Thema Missbrauch beschäftigt nicht nur die christlichen Kirchen. Auch in buddhistischen Organisationen gab es bereits Fälle. Doch offene Kritik an spirituellen Lehrern wird oft schon im Keim erstickt, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt.
In manchen buddhistischen Gruppen ist Kritik unerwünscht. Man will die gute Sache des Buddhismus nicht schlecht machen, nicht gefährden. Dabei gibt es einiges zu kritisieren und zu überdenken. Besonders, wenn es um Machtmissbrauch, Indoktrination oder Ausbeutung der eigenen Mitglieder geht. Wer öffentlich den Meister kritisiert, der ist draußen, hört man oft. Aber es gibt auch subtilere Mittel, interne Kritiker loszuwerden.

Kritiker werden lächerlich gemacht

"Ich kann Ihnen eine Aussage eines Probanden kurz zitieren", sagt Miriam Anders von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Passage, die sie vorliest, stammt aus ihrer Feldforschung: "Meine Person wurde entsprechend lächerlich gemacht. Als psychisch eigenartig dargestellt. In der Regel geschah das mit den meisten 'Dissidenten'. Das war mit ein Grund zu gehen. Irgendeine Form von Ethik fehlte völlig. Richtig war das, was im Sinne des Meisters war oder dafür gehalten wurde. Generelle Dialogverweigerung könnte man es nennen."
Die promovierte Psychologin und Tibetologin forscht seit August 2018 über Gesundheit und Stress in buddhistischen Gruppen in Deutschland. Sie erhebt ihre Daten mithilfe von Fragebögen. "Ich gehe nicht direkt in Gruppen", erklärt Anders, "sondern versende die Fragebögen mit E-Mails und führe dann mit Einzelpersonen auch noch Gespräche, falls sie von Ausbeutung, von Indoktrination oder Machtmissbrauch betroffen sind."

Das Bewusstsein für Machtmissbrauch wächst langsam

Das Bewusstsein für Machtmissbrauch wächst in buddhistischen Gemeinschaften nicht schneller als in den christlichen Kirchen. Der Dachverband "Deutsche Buddhistische Union" ist ein traditionsübergreifender Interessenverband von mehr als 60 Einzelverbänden. Er versteht sich als die Stimme der deutschen Buddhisten.
Eigentlich müsste er die betroffenen Mitgliedsverbände ermahnen oder ausschließen, wenn es zu Machtmissbrauch kommt. Seit November 2018 gibt es im Dachverband zwei ehrenamtliche Ombudsfrauen, die Ansprechpartnerinnen für Missbrauchsfälle in buddhistischen Gemeinschaften sind.

Erstaunlich unkritischer Umgang mit Gurus

Beide Ombudsfrauen gehören buddhistischen Gemeinschaften an und sind therapeutisch tätig. Beide lehnten es ab, mit Deutschlandfunk Kultur für diesen Beitrag über ihre Arbeit zu sprechen. Begründung: Sie wollten erst mehr Erfahrungen in ihrer neuen Aufgabe sammeln. Vielleicht hilft der Blick von außen weiter. Die Tibetologin Miriam Anders hat zehn Jahre lang in Nepal den Buddhismus studiert und wundert sich über den unkritischen Umgang mit Lamas und Gurus in Europa.
"Ein Grunde dafür, dass Konflikte sich kumulieren, liegt darin, dass sehr hierarchische Strukturen aus Asien – häufig mit Männern an der Spitze – hierher unreflektiert kopiert wurden", sagt Anders. "Und mit diesen Kopien umzugehen, das ist jetzt eine große Herausforderung."

Lehrer gelten als unantastbar

Die Lehrer-Schüler-Beziehung und spezifische Gruppendynamiken werfen immer wieder Probleme auf. Im Buddhismus gibt es die Gefahr, dass der Lehrer oder Meister, der den Schüler ja zum Erwachen führen soll, seinerseits als unantastbar gilt. So kommt es, dass Fehler nicht gesehen, Ausbeutung und Manipulation nicht erkannt werden, glaubt die Forscherin:
"Meine Forschung zielt ja darauf, zu verstehen, welche psychischen Mechanismen laufen da ab, wie läuft Manipulation ab. Wie wirkt sich das auf die Gesundheit von Personen aus?"

Starke Hierarchien begünstigen Manipulation

Aus ihrer bisherigen Forschung geht hervor, dass es in Gruppen mit starken Hierarchien auch vielfältige Möglichkeiten zur Manipulation gibt – durch die Meister oder ihre lokalen Vertreter selbst. Hellhörig sollte man werden, wenn die eigene Organisation als erhaben über andere dargestellt wird, wenn der Lama über allen stehen soll.
So könne auch Gruppendruck erzeugt werden, der in finanzielle Ausbeutung münden kann, sagt Miriam Anders. Zum Beispiel, wenn neue kostspielige Statuen angeschafft oder ein neues Zentrum gebaut werden soll. Durch die Gruppendynamik können Grenzüberschreitungen stattfinden, die den Mitgliedern nicht bewusst werden.

Schüler verlieren eigene Ziele aus den Augen

"Leute beginnen häufig mit einem sehr hohen Idealismus", erklärt Anders, "und im Laufe der Zeit verlieren sie dann zum Beispiel ihre eigenen Ziele aus den Augen, mit denen sie ursprünglich hinein gegangen sind, und identifizieren sich immer mehr mit Gruppenzielen, mit vorgegebenen Zielen. Sie identifizieren sich vielleicht auch mit der Führungsfigur, mit dem Leiter oder der Leiterin, aber meistens sind es Männer. Das wären so Warnsignale, dass das Gleichgewicht von Nehmen und Geben nicht mehr gegeben ist."
Manche fragwürdigen Lehrer kreieren zum Ausbau ihrer Vormachtstellung auch neuartige Begriffe: "Das führt zum Beispiel zu Manipulation und Indoktrination", sagt Anders: "Da ist so ein Begriff die Karma-Reinigung. Das ist ein Neologismus, der sich jetzt hier entwickelt hat, den ich aus dem Kontext in Nepal, aus dem klassischen Kontext so gar nicht kenne."

Karma-Reinigung rechtfertigt alles

Karma-Reinigung kann zur Begründung fast aller Handlungen bemüht werden – wenn man will. Der Guru kann die Person beschimpfen oder erniedrigen oder Leistungen von ihr fordern – alles vorgeblich für das gute Karma seiner Schülerin oder seines Schülers.
"Dieser Begriff bezieht sich auf ein Konzept, dass Leute wirklich meinen, sie müssen sich Schaden zufügen lassen, weil irgendeine andere Person berechtigt wäre, ihr in Anführungszeichen 'schlechtes Karma' zu reinigen", erläutert Miriam Anders. "Manchmal geht das über längere Zeiträume und kann sehr massive Auswirkungen haben auf die Betroffenen. Und es dauert, bis die dann Entscheidungen treffen, rauszugehen und sich zu distanzieren."
Ein anderes Konzept aus dem tibetischen Buddhismus heißt Guruyoga – dabei wird der Lehrer übungsweise als erleuchtet angesehen. Und eigentlich der Schüler auch.

Erleuchtung nicht zu wörtlich nehmen

"Im Guruyoga, der ja zum Vajrayana gehört, geht es eigentlich darum, die eigene Buddhanatur, man könnte auch sagen, das Grundgute, das in jedem vorhanden ist, zur Reife zu bringen", erklärt der buddhistische Mönch Tenzin Peljor. "Indem man sich den eigenen Lehrer als erwacht vorstellt. Und sozusagen mit dem Grundguten des Lehrers verschmilzt. Um das dann in sich hervorzubringen. Insgesamt ist der Guruyoga eine komplexe Sache."
Peljor ist in der neugegründeten Ethik-Arbeitsgruppe der Deutschen Buddhistischen Union aktiv. Im Internet betreibt er mehrere Blogs, die vor Machtmissbrauch in buddhistischen Gemeinschaften warnen. Denn damit hat er selbst schon schlechte Erfahrungen gemacht:
"Zu den Grenzüberschreitungen kommt es, weil man die Übungen des Guruyoga nicht mehr als Übung sieht, sondern auf wörtlicher Ebene missversteht und dann eben den Lehrer überidealisiert und Fehler und Schattenseiten des Lehrers leugnet."

Wer sich beschwert, wird für krank erklärt

Solche Projektionen wirken sich auch auf die Dynamik in buddhistischen Gruppen aus, sagt Miriam Anders: "so dass in der Gruppe ein Tabu entsteht, diese Führungsperson überhaupt zu hinterfragen in ihrem Handeln. Das verhindert dann, dass Personen gehört werden, die sich getrauen zu sprechen, über Missbrauch zum Beispiel, oder es führt dazu, dass sie dann als diejenigen gelten, die eigenartig sind, die Probleme haben, da gibt es dann mehrere Formulierungen, die gerne benutzt werden."
Manchmal werde auch der Begriff "lung" – Tibetisch: "Wind" – verwendet: ein Konzept von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. "Die haben 'lung', heißt es dann manchmal. Das haben mir Probanden schon geschrieben."

Frühzeitig auf Warnsignale achten

Auf diese Weise könnten interne Kritiker als psychisch krank stigmatisiert werden. Manchen werde gesagt: "Das bildest du dir ein!" Das gehe bis zur Verleumdung. Miriam Anders rät Betroffenen, sich Vertraute außerhalb der Gruppe zu suchen und auf Warnsignale frühzeitig zu reagieren:
"Ethisches Fehlverhalten ernst nehmen und Eigenverantwortung übernehmen. Nicht Personen, die einem Befehle geben oder den höchsten Lehrenden, den obersten Lehrenden, dem Leiter die Verantwortung übergeben, sondern selber Verantwortungen übernehmen und Konsequenzen zu ziehen."

Kein Sex zwischen Lehrern und Schülern

Die buddhistischen Organisationen in Deutschland stehen wie die Kirchen vor einem neuen Kapitel. Sie müssen lernen, Unrecht von ihren Meistern und Gurus nicht als Einzelfälle abzutun. Dazu gehört auch, ein System zu ändern, anstatt die Verantwortung auf die Schülerin oder den Schüler abzuwälzen. Und der buddhistische Dachverband und seine Mitgliedsvereine müssen den Betroffenen zuhören.
Miriam Anders wünscht sich ein Verbot sexueller Beziehungen zwischen Lehrenden und ihren erwachsenen Schülerinnen, ähnlich wie bei Psychotherapeuten und ihren Klienten. Weil es hier Abhängigkeitsverhältnisse gebe. Bislang fehle auch der Schutz von Whistleblowern, die Machtmissbrauch aufdecken könnten.
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