Mirko Bonné: "Feuerland"

Im Universum wohnt niemand

Der Leuchtturm "Faro les eclaireurs" am Ende der Welt (fin del mundo) im Beagle-Kanal vor Feuerland, aufgenommen am 01.12.2012.
Der Leuchtturm "Faro les eclaireurs" im Beagle-Kanal vor Feuerland. © picture alliance / zb / Klaus Grabowski
Von Manuela Reichart · 16.12.2015
Einmal nach Feuerland reisen, an die Südspitze Südamerikas: Mirko Bonné schickt seine Protagonisten in seinem ersten Erzählungsband "Feuerland" auf die Reise – in die Ferne oder auch nur in die eigene Phantasie.
Ein deutscher Austauschschüler steht am Rand eines südenglischen Rugbyfeldes und beobachtet das Spiel. Der Trainer der Mannschaft würdigt ihn keines Blickes, er ist für ihn nicht interessant, dieser unsportliche Junge, der bald wieder nach Hause fahren wird. Der Held dieser Geschichte kennt das schon, selten nimmt ihn jemand wahr, aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn andererseits glaubt er fest daran, dass er Menschen zwingen kann, seinem Willen zu gehorchen, "man konnte jemanden dazu bringen, dass er etwas tat, was ihm sonst nie in den Sinn gekommen wäre." Und das gelingt diesem unscheinbaren Jungen denn auch.
Mirko Bonné, der Lyriker ist und ein hervorragender Übersetzer, erzählt in seinem ersten Erzählungsband von Menschen, die an Scheidewegen stehen. In dieser Geschichte aus Südengland ist es der schmale Grat zwischen Kindheit und Erwachsenwerden: Der geniale Rugbyspieler kann die bewunderte Nachbarstochter bezirzen, wird aber vom Trainer wie ein kleiner Junge geprügelt, weil er zu spät zum Bus kommt. Und die englische Prinzessin bekommt die Grippe, weil der deutsche Junge sie ihr an den Hals gewünscht hat.
Ein Wrack aus dem Nebel
In einem kleinen Ort hat ein Mann seine Familie gemordet, nur der Hund ist übrig geblieben, der die Nachbarn an den Schrecken erinnert, daran, dass einer von ihnen das Unfassbare getan hat. Es geht nicht um Vermutungen, nicht um Spekulationen, warum der Mann zum Mörder wurde. Der Autor spiegelt das Grauen vielmehr in den verwirrten ordentlichen Nachbarn, vor allem in zwei Mädchen, die vom Schrecken gepeinigt werden.
Feuerland: Das sind Geschichten aus der Grenzregion zwischen Wirklichkeit und Phantasie, zwischen Gefahr und sicherem Alltag. Eine Witwe reist auf eine Insel im tiefen Norden, um ihren Bruder zu suchen und landet auf einer Weihnachtsfeier. Die 200 Bewohner schenken sich da nur Teile aus einem Schiffswrack, das angespült wurde. Ob sie ihren Bruder am nächsten Tag finden wird, das bleibt offen, denn den Autor interessieren weder Plot noch Auflösung, es geht ihm allein um Stimmungen, um kurze Bilder, die auftauchen wie dieses Wrack aus dem Nebel.
Sinnlichkeit wie eine Fata Morgana
Und so ist auch die hübsche junge Freundin seines Untermieters dem älteren Mann eigentlich nur ein Versprechen, ihre Schönheit und Sinnlichkeit wirken wie eine Fata Morgana. Dass es am Ende doch zu einem ganz und gar unerwarteten Kuss kommt, das gehört ins Traumland wie Feuerland, in das ein anderer junger Mann um jeden Preis fahren will. Er hat so lange dafür gespart, dass er sich nicht von Schmerz und Krankheit aufhalten lassen will. Seine traurige Familiengeschichte liegt lange schon - nicht nur wegen der vielen Tabletten - hinter einem Nebelschleier. Er will ihr entfliehen und doch bleiben.
Das Motto für seine stimmungsgenauen Geschichten hat der Autor bei Lars Gustafsson gefunden: "Im Universum ist niemand zu Hause".

Mirko Bonné: Feuerland. Erzählungen
Verlag Schöfling & Co, Frankfurt/M. 2015
230 Seiten, 19,95 Euro

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