Minetaro Mochizuki: "Chiisakobee"

Manga im Hipster-Look

Buchcover Minetaro Mochizuki: Chiisakobee 1
Minetaro Mochizuki gilt als "begabtester Mangaka seiner Generation". © Carlsen Verlag / imago / View Stock
Von Frank Meyer · 07.05.2018
Minetaro Mochizuki gehört zu den bekanntesten Comicautoren in Japan. Nun hat er in "Chiisakobee" einen Romanstoff aus den 1950er-Jahren als Vorlage genutzt und in die Gegenwart übersetzt - für einen Manga ungewöhnlich leise und zart.
Shigeji krümmt sich am Boden, als ihn die Nachricht vom Tod seiner Mutter und seines Vaters erreicht. "Wie ein großes Baby", sagt ein Beobachter verächtlich. Shigeji ist 26 als seine Eltern bei einem Großbrand ums Leben kommen. Wie Shigeji mit diesem Verlust umgeht, wie überhaupt Menschen nach solchen Ereignissen weiterleben, diese Frage zieht sich durch "Chiisakobee".
Minetaro Mochizuki, Jahrgang 1964, ist einer der bekanntesten Comicautoren in Japan. Er hat Horrorgeschichten veröffentlicht, komödiantische Stoffe, mehrere Bestseller. Den größten Erfolg hatte er mit der postapokalyptischen Serie "Dragon Head", die allein in Japan über sechs Millionen Mal gekauft wurde. Minetaro Mochizuki wurde vielfach ausgezeichnet, den größten Ritterschlag hat er vom Manga-Großmeister Katsuhiro Otomo bekommen, er hat Mochizuki den "begabtesten Mangaka seiner Generation" genannt.

Tradition trifft Moderne

Für seine vierbändige Chiisakobee-Serie hat Mochizuki einen Roman von Yamamoto Shugoro aus den 1950er-Jahren als Vorlage genutzt. Mochizuki hat die Handlung in den Grundzügen übernommen, aber sie aus dem japanischen Mittelalter in unsere unmittelbare Gegenwart versetzt: Seine Hauptfigur Shigeji trägt einen prächtigen Bart und auch sonst eine typische Hipsterausstattung. Die Gegenwart und das alte Japan überschneiden sich an vielen Punkten in dieser Geschichte, das macht unter anderem ihren Reiz aus.
Shigeji scheint ganz aus der Art geschlagen zu sein. Nach der Ausbildung in der elterlichen Zimmerei studiert der "Bücherwurm" Architektur und reist durch die Welt. Er will sich nicht in die Tradition seiner Eltern einfügen, aber nach ihrem Tod macht er sich einen Leitspruch seines Vaters zu eigen: Zeige immer Menschlichkeit und Willensstärke. Shigejis Willensstärke ist eher Sturheit, als er sich an den Wiederaufbau der Zimmerei macht. Er schlägt alle Hilfsangebote aus, weil er von niemandem abhängig sein will. Seine Menschlichkeit zeigt sich erst nach und nach. Shigejis Haushälterin hat während seiner Abwesenheit eine Gruppe von fünf Waisenkindern in das elterliche Wohnhaus aufgenommen. Shigeji ist zunächst genervt vom Lärm und der Frechheit der fünf Kinder, nimmt sie aber doch auf in sein Haus und sein Leben. So bringt dieser erste Chiisakobee-Band eine Gruppe von Menschen zusammen, die eines verbindet: ohne Eltern in die Zukunft gehen zu müssen.

Mochizuki setzt auf die Kraft der Bilder

Für einen Manga ist "Chiisakobee" ein ungewöhnlich leises und zartes Buch. Ähnlich wie der ältere Jiro Taniguchi nutzt Mochizuki die Techniken des Comics für ein ausdifferenziertes, romanhaftes Erzählen, das aber vor allem auf die Kraft der Bilder setzt. Mochizuki fokussiert seine präzisen Schwarz-Weiß-Zeichnungen sehr häufig auf Details, auf zusammengepresste Hände, auf Füße, Augen, Kleidungsstücke. Diese Details sprechen, sie erzählen von unterdrückten, brodelnden Gefühlen, die diesen an der Oberfläche so ruhigen Manga mit Spannung und Intensität aufladen.

Minetaro Mochizuki: Chiisakobee 1 - Die kleine Nachbarschaft
Carlsen Verlag, Hamburg 2018
216 Seiten, 14,90 Euro

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