Mindestlohn

Opfern für die Kultur?

Gewerkschaften fordern beim DBG-Bundeskongress einen Mindestlohn ohne jede Ausnahme.
Die Gewerkschaften fordern einen Mindestlohn ohne Ausnahme, manche Kulturschaffende würden aber eine Kulturtaxe bevorzugen. © dpa / Rainer Jensen
Von Anne Berger · 02.07.2014
In der Kulturbranche sind Selbstausbeutung und Dumpinglöhne gang und gäbe. Dennoch sind nicht alle Kulturschaffenden für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Denn: Höhere Löhne könnten die Finanzierung neuer Projekte gefährden.
Die Koalition der Freien Szene Berlin wollte die Kulturtaxe. Stattdessen bekommt sie den Mindestlohn. Doch der sorgt für noch mehr Unmut über die schlechten Verhältnisse der Berliner Kulturförderung.
Christoph Knoch ist Koordinator und Sprecher der Freien Szene. Er arbeitet im Ballhaus Ost in Berlin. Die ehemalige Friedhofskirche ist 120 Jahre alt und wird seit 2006 als Theaterbühne für freie Projekte genutzt. Auch dieses Kulturhaus kann nur durch Förderung und knappe Gehälter getragen werden. Bedingungen, denen sich viele Freischaffende bereitwillig beugen, so Christophe Knoch:
"Wenn ich als Künstler einen Antrag stelle für ein Projekt, passiert es heute in Berlin schon sehr häufig, dass die Antragstellenden Künstler alles möglich machen, um das Projekt zu realisieren und ihre Leute zu bezahlen und selbst aber kaum etwas dabei verdienen, weil ihnen das Wichtigste ist, dass sie überhaupt ihr Projekt fertig machen, weil darüber existieren sie."
Nach dieser Devise arbeitet auch das Theaterensemble "Panzerkreuzer Rotkäppchen": erst die Produktion stemmen, dann mit den Finanzen hadern. Werner Türk bildet mit Susann Neuenfeldt und Simon Strick den Kern der Gruppe. Jeder hat noch ein anderes Standbein, das die gemeinsame Leidenschaft finanzieren kann.
"Vollständiger Ausbeutung"
Werner Türk: "Das bedeutet, wir fahren total mit vollständiger Ausbeutung, wir haben uns so gut wie noch nie selber auch nur einen Cent ausgezahlt, wir als Gruppe. Sondern jedes Geld, was wir irgendwoher aquirieren konnten, auch durch Förderung, aber das sind die seltensten Fälle, es sind teilweise Spenden und aus unserer Privatschatulle."
Die politische Theatergruppe bringt trotz finanzieller Engpässe im Rekordtempo neue Stücke auf die Bühne:
Susann Neuenfeldt: "Probleme gibt's natürlich, wenn wir Anträge stellen und die Anträge nicht genehmigt werden, weil die vielleicht zu avantgardistisch sind oder zu viele kulturwissenschaftliche Diskurse miteinander verschränken wollen. Dann haben wir Probleme, weil ich kann zum Beispiel nicht warten mit dem Theater machen. Das heißt, wir machen rund vier Produktionen im Jahr. Das ist relativ viel, das ist selbst für einen Regisseur am Staatstheater viel. Zum Beispiel die letzte Premiere haben wir in sieben Tagen hinbekommen."
Susann Neuenfeldt macht Regie und leitet die Produktionen. Meist verarbeitet sie in ihren Inszenierungen aktuelle politische Themen. Die Zeit drängt. Spontane Förderungen gibt es kaum. Deshalb macht sie oft einfach alles selbst. Oder verlässt sich auf die Talente ihrer Assistenten.
"Es ist ein unheimlicher Luxus, wenn man zwei Regieassistenten hat. Es ist ein unheimlicher Luxus, wenn der Regieassistent dann auch noch Musik spielen kann und dann auch noch live Musik spielt."
Erfahrungen wichtiger als gut bezahlte Jobs
Der angehende Regiestudent Tom Müller steht immer auf Abruf bereit. Für Requisite, Technik, Musik, als Souffleur oder Fahrer. Zwei Wochen dauern die meisten Produktionen. Für die Regieassistenz bei Panzerkreuzer Rotkäppchen muss er andere Jobs absagen. Ihm sind die Erfahrung und die Menschen in der Theatergruppe mehr Wert, als gut bezahlte Uni-Jobs.
Tom Müller: "Und gleichzeitig spielen diese ganzen Sachen, die man in den Lebenslauf reinschreiben kann ja immer bei allem was so künstlerisch passiert 'ne Rolle. Es ist auch etwas, was ich tatsächlich gern tue, anders als bei dem Uni-Job."
Ausgebeutet fühlt er sich keinesfalls. Weiß er doch, um die prekäre Situation der Gruppe, die in erster Linie den Schauspielern ein angemessenes Honorar zahlen möchte. Zusätzlich 8,50 Euro pro Stunde für Assistenten aufzubringen wäre unter diesen Umständen undenkbar, meint Susann Neuenfeldt:
"Also dann finde ich Solidarität als die Lösung, und nicht dass man bei Produktionen, die sowieso kein Geld haben, wo die Anträge abgelehnt werden, dass man darauf drückt, dass die Assistenten mit Mindestlohn bezahlt werden sollen."
Und darum zahlt sie Tom Müller das, was am Ende der Produktion übrig bleibt.
Christophe Knoch von der Koalition der Freien Szene Berlin glaubt nicht, dass durch den Mindestlohn freie Projekte gefährdet sind. Er ist sich sicher, dass die Künstler Schlupflöcher finden werden, um weiter zu bestehen. Als grundlegendes Problem sieht er eher die unzureichende Ausstattung der Fördertöpfe generell:
"Die Jurys sagen ausdrücklich, dass sie in einer absurden Situation sind, dass sie einen Großteil der förderungswürdigen Sachen nicht fördern können, weil das Geld dafür nicht da ist, oder sogar weniger wird. Und wenn jetzt auch noch für die Produktionen, die dabei gefördert werden auch noch so was wie Mindestlohn dazukommt für einen Teil der dort Beschäftigten, hat das für die künstlerische Produktion massive Auswirkungen. Das gesamte Gefüge muss sich gemeinsam ändern. Der Mindestlohn soll kommen, aber auch die Förderwege sollen erhöht werden."