Mikita Franko: "Die Lüge"

Im Geheimen leben oder flüchten

14:56 Minuten
Mikita Franko stützt seinen Kopf auf seiner Hand ab und schaut nach unten
"Ein enormes Unglück, einfach unerträglich": Mikita Franko äußert sich auch zum Krieg in der Ukraine. © Privat
Mikita Franko im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.06.2022
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Queeres Leben hat es schwer in Russland. Diskriminierende Gesetze und Strafverfolgung sind dort Alltag. Der junge Moskauer Autor Mikita Franko hat seinen Debütroman dennoch über dieses heikle Thema geschrieben.
Der Protagonist in "Die Lüge" heißt wie sein Schöpfer – Mikita. Er wächst bei seinem schwulen Onkel und dessen Partner in Russland auf. Deshalb wird er gehänselt und muss schon früh lügen lernen. Eigentlich hätte der Roman bei einem großen russischen Verlagshaus erscheinen sollen, musste aber wegen der Thematik mit einer Altersfreigabe ab 18 versehen werden und wurde deshalb nur bei einem kleinen Independent-Verlag publiziert.
"Die Lüge" entstand aus einem Blog. Eine Ursprungsgeschichte, die man dem fast 400-seitigen Buch anmerkt, findet der Autor Mikita Franko: "Es ist nicht ganz durchkalkuliert. Es gibt zum Beispiel Figuren, die einfach auftauchen und dann nicht mehr aufgegriffen werden und verschwinden. Einfach, weil es so ist wie im echten Leben."

Zwei Männer ziehen ein Kind groß

Aus dem echten Leben stammen auch Grundzüge des Romans. Er kenne einige vergleichbare Familiensituationen, sagt Franko. Darunter auch zwei Männer, die ein Kind großgezogen haben. Sie wurden gezwungen, in die USA zu emigrieren. In Russland gebe es eigentlich nur zwei Möglichkeiten für Regenbogenfamilien, betont der Autor: auswandern oder im Geheimen leben.
Trotz der für russische Verhältnisse heiklen Thematik sieht Franko im Roman kein Risiko für sich selbst. Er habe zwar Bedenken gehabt, aber die Alterskennzeichnung verschaffe ihm Sicherheit, und bisher habe es auch keine Konsequenzen gegeben. Als Transmann lebe er außerdem in der bestmöglichen Situation, nämlich in Moskau, was die toleranteste und offenste Stadt im Land sei. Auf dem Land sei es sehr viel schwerer.

Kritische Stimme zum Ukraine-Krieg

Auf seine Wortwahl muss Franko dennoch achten, äußert er sich doch auch zu anderen Themen. So hat er öffentlich den Angriff auf die Ukraine kritisiert. Trotz der Repressalien der russischen Regierung sei es für ihn unmöglich, nicht darüber zu sprechen, sagt der Schriftsteller: "Es ist ein enormes Unglück, was da passiert. Einfach unerträglich."

Mikita Franko: "Die Lüge"
Aus dem Russischen übersetzt von Maria Rajer
Hoffmann und Campe, Hamburg
384 Seiten, 24 Euro

(hte)
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