Mietfahrräder

Mysteriöse Pleite von Obike in Berlin

Leihfahrräder stehen und liegen am Potsdamer Platz in Berlin.
Liegend, stehend und mitten im Weg: Leihfahrräder in Berlin © dpa
Von Daniela Siebert · 18.07.2018
Billige Mietfahrräder für jeden – mit dieser Idee ging das Unternehmen Obike aus Singapur an den Start. Doch nun ist der Anbieter wohl pleite, zumindest nicht mehr erreichbar, auch nicht für Behörden. Was passiert nun mit den Rädern, Kautionen und Daten?
In den letzten Tagen hat Obike in Deutschland viele einschlägige Pleite-Schlagzeilen bekommen:
"Leihradanbieter Obike meldet Insolvenz an" – "Der Tagesspiegel"
"Bikesharing: Obike taucht ab und hinterlässt Fahrradleichen" – "heise.de"
Noch vor kurzem erweckte Obike einen ganz anderen Eindruck. Auf seiner Facebook-Seite lockte das Unternehmen am 4. Juli seine Kunden auf den Fahrradsattel:
"Hallo liebe oBiker und oBikerinnen, heute stehen Höchsttemperaturen von bis zu 32 Grad an! Die perfekte Gelegenheit mit dem Fahrrad zur Eisdiele eures Vertrauens zu fahren."
Doch in Berlin, wo das Unternehmen seit November aktiv ist, muss man mittlerweile angestrengt nach den silbernen Obike-Fahrrädern mit den auffälligen gelben Felgen und Kettenschutzblechen suchen. Etwa vor dem Hauptbahnhof, wo zahlreiche Konkurrenten ihre Leihräder stehen haben, findet sich bei unserem Besuch nur ein einziges Obike. Das besondere an Ihnen: sie haben Vollgummi-Reifen, können also keine Platten kriegen, besitzen keinerlei Gangschaltung und sind sehr schwer.

Pleite oder Restrukturierung?

Obike versichert per Pressemitteilung auf seiner Internetseite am 12. Juli, die Betriebseinstellung beziehe sich nur auf Singapur, nicht auf europäische Länder. Zitat:
"Zweitens möchten wir unseren Nutzern versichern, dass Kautionen in Deutschland erstattet und Anträge auf Rückerstattung regelmäßig bearbeitet werden. Die Rückerstattung der Kaution kann jederzeit über unsere App angefordert werden."
Die Kaution betrug pro Kunde bislang 79 Euro.
Dem "Handelsblatt" sagte Firmengründer Shi Yi außerdem, man führe nur eine Restrukturierung durch.
Schweigen ist auch die einzige Antwort, die viele Behörden derzeit von Obike bekommen. Ein Problem, denn niemand weiß im Moment so genau, ob die Firma denn nun in Deutschland insolvent ist und was mit den Fahrrädern geschieht. Ein Ärgernis, auch für Martin Hikel, den Bezirksbürgermeister von Berlin Neukölln.
"Wir haben ein großes Problem hier im Bezirk, die Anbieter auch zu erreichen, insgesamt, das trifft nicht nur Obike, sondern das trifft sämtliche Anbieter, insbesondere Obike und Ofo, wo wir Probleme haben jemanden zu erreichen, das stellt unser Ordnungsamt vor große Probleme. Bei uns ist es ein ganz klassisches Phänomen, dass wir Fahrräder irgendwo in den Grünanlagen finden, die teilweise zerstört sind und Vandalismus ausgesetzt worden sind und dann müssen wir den Besitzer kontaktieren, der das Fahrrad auch wieder abholt. Da bräuchten wir einen kurzen Draht. Und eine E-Mail hinschicken, wo man keine Antwort drauf bekommt, ist keine Kommunikation."

Ordnungsämter beführchten auf Kosten sitzen zu bleiben

Mehr noch: sollte einer dieser Anbieter pleite gehen, Obike etwa, fürchtet Hikel, dass die bezirklichen Ordnungsämter die Arbeit und die Kosten übernehmen müssen, deren Fahrräder abzuräumen.
Viele andere Berliner und Besucher kümmert es derweil wenig, ob eine Sorte Leihfahrräder mehr oder weniger am Straßenrand steht oder nicht. Die Meinungen dazu gehen ohnehin auseinander. Eindrücke von Passanten rund ums Brandenburger Tor:
"Ich finde das grundsätzlich in Ordnung, dass es so viele Leihfahrräder gibt, was mich dann doch etwas stört, ist, wenn die Fahrräder ständig auf dem Weg rumstehen oder eben auch rumliegen."
"Ich finde das ist halt eine gute Idee, so dass man mobil halt unterwegs ist, ich komme selber aus Düsseldorf, bin heute angereist, ich will das auf jeden Fall mal machen hier die Tage."
"Stören tut's mich nicht, ich habe nur gehört, dass es ziemlich viele von diesen Fahrradbetreibern gibt, die die Fahrräder immer wegschmeißen nach ein paar Mal, das finde ich nicht so nachhaltig."
"Irgendwas und Facilidadschi. It's very easy!"
"C'est tres pratique si on habite pas la ville et on reste pas longtemps."
Es ist ganz einfach, sagt der portugiesische Familienvater. Auch seine Frau und zwei Töchter steigen gerade auf ein Leihrad, dass sie per Handy-App entriegeln. Und die Französin lobt, das sei total praktisch, wenn man in einer fremden Stadt ist und nicht lange bleibt.

Verbraucherzentrale rät zur Vorsicht bei Nutzung

Beim Verbraucherzentrale Bundesverband – VZBV – ist der Anbieter Obike derzeit besonders im Fokus. Erst unlängst mahnten die Verbraucherschützer das Unternehmen dafür ab, dass es seine Geschäfts- und Datenschutzbedingungen nur auf Englisch veröffentlicht hat. Solange unklar ist, ob Obike in Deutschland seine Geschäfte wirklich weiterführt rät die Leiterin der Mobilitätsabteilung Marion Jungbluth Verbrauchern davon ab, bei Obike Neukunde zu werden. Und Bestandskunden empfiehlt sie, sicherheitshalber sofort die Kaution zurück zu fordern.
"Weil gewöhnlich bei Insolvenzen sind Kundengelder dann wirklich weg und werden nicht mehr zurück erstattet. Betroffene Kunden sollten sich direkt ans Unternehmen wenden, vielleicht den Vertrag auch kündigen, um dann halt auch zu versuchen, die Kaution auch noch rechtzeitig wieder zurück zu bekommen."
Auch einem Passus in den Datenschutzbedingungen sollten die Kunden sofort widersprechen, wonach ihre Daten im Fall eines Bankrotts an Dritte gegeben werden dürfen.
Neben Obike sind in Berlin derzeit mindestens noch sieben weitere Anbieter am Start.
An der Siegessäule mitten im Berliner Tiergarten sind gerade Julia und Cristina von ihren knallgelben Ofo-Fahrrädern gestiegen.
"We just came here from 'Brandenburg Tor', we got it for free because we just downloaded, and then it is 80 cents the other 20 minutes, I think it is very cheap, in Spain it is way cheaper, it is like half price, but I mean we are in Berlin."
Die ersten 20 Minuten seien bei diesem Anbieter kostenlos, das hat gereicht für die paar hundert Meter vom Brandenburger Tor zu Siegessäule. Danach wolle Ofo 80 Cent für weitere 20 Minuten. In Spanien kosteten solche Leihräder nur halb so viel, so die beiden.
Die Ofo-Fahrräder, die sie für ihre Tour nutzen, sehen brandneu aus. Trotzdem hat dieser Anbieter angekündigt, sich in den nächsten Wochen vom Berliner Markt zurückzuziehen. Nach gerade mal drei Monaten.
Gut möglich, dass Obike und Ofo die Trendwende einleiten - auf dem bislang boomenden Leihfahrradmarkt in Berlin.
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