Fahrrad-Verleih in Berlin

Droht eine Invasion der Mieträder?

Leihfahrräder der Firma "Nextbike"
Seit 2016 biete "Nextbike" Leihfahrräder in Berlin an. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Dieter Nürnberger · 16.11.2017
Asiatische Anbieter wollen mehr als 10.000 zusätzliche Leihräder an die Spree bringen. Doch Geld ist mit der Miete kaum zu verdienen. Den Anbietern geht es wahrscheinlich um einen ganz anderen Aspekt, der die Nutzer nicht freuen wird.
Einen guten Blick auf das Berliner Fahrradchaos bietet der Hauptbahnhof. Denn wer auf den Vorplatz tritt, sieht durchaus Amsterdamer oder chinesische Verhältnisse. Hunderte von Fahrrädern stehen oder liegen hier. Kein Baum, kein Laternenmast, kein Bauzaun ohne gleich mehrere irgendwie angeschlossene Zweiräder. Ein nicht gerade schönes Bild - für Fahrradfreunde ebenso wenig wie für andere. Es nervt, sagen viele:
"Die Hälfte kaputt, die stehen schon ewig da. Das muss nicht überall sein. Die dafür vorgesehenen Fahrradplätze sind immer überfüllt, es geht halt drunter und drüber. Wahrscheinlich stehen da auch einzelne Fahrräder sehr, sehr lange. Ich orientiere mich dann immer an Bäumen oder irgendwelchen Zäunen, - da habe ich dann doch Hoffnung, noch am ehesten etwas zu finden."

Fahrradhochburg Berlin

Und mittendrin im Chaos immer wieder die Farben Silber-grün und Silber-blau, die Leihräder der beiden großen Anbieter "Lidl-Bike" und "Nextbike". Derzeit sind sie mit rund 5000 Rädern noch die Platzhirsche am Berliner Markt. Doch die Konkurrenz schläft nicht: "oBike", der Verleihanbieter aus Singapur, will nun auch in Berlin durchstarten, sogar noch in diesem Monat. Mit zunächst 500 Rädern, obwohl eigentlich für viele die Fahrradsaison witterungsbedingt langsam vorbei ist. Auch andere Verleih-Unternehmen entdecken derzeit den Hauptstadt-Markt. Martina Hertel ist Mobilitätsexpertin beim Deutschen Institut für Urbanistik. Sie weiß von etlichen Unternehmen aus Fernost, die das gleiche vorhaben:
"Teilweise aus China, auch aus anderen asiatischen Ländern. Wir haben derzeit so rund 15 auf unserer Liste. Morgen können es 20 sein, übermorgen vielleicht nur 10. Ich weiß es nicht."
Berlin ist eine der Fahrradhochburgen Deutschlands. In der Innenstadt nutzen rund 20 Prozent das meist private Rad für den Weg zur Arbeit und zurück. Tendenz: weiterhin steigend. Mehrere asiatische Verleihunternehmen haben sich bereits gemeldet, bestätigt Matthias Tang, der Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Und natürlich hat auch er von der Leihfahrräder-Invasion in München gehört.

Chaos in München

"Wir wollen natürlich verhindern, dass so etwas wie in München passiert. Aber wir werden auch nicht von vornherein sagen, alle Leihfahrräder-Anbieter werden hier nicht zugelassen oder so. Das können wir auch gar nicht. Wenn sie denn wirklich hier so massiv auftreten sollten, müssen wir schauen, ob es zu Problemen kommt. Und entsprechend versuchen, diese anzugehen. Nein, eine Obergrenze will ich hier nicht erwähnen, wir müssen sehen, wie viele dann wirklich kommen."
Rund 10.000 zusätzliche Leihräder könnten es in den kommenden Monaten sein. Und die Lage ist schwierig: In Berlin sind die Bezirke zuständig. Bei festinstallierten Verleihstationen auf öffentlichem Straßenland muss eine Sondernutzungsgenehmigung eingeholt werden. Das ist beispielsweise bei "Nextbike" so. Der Berliner Senat fördert dieses städtische System sogar mit jährlich rund 1,5 Millionen Euro. Rund 200 von 700 festen Stationen sind inzwischen fertig. Sind diese nicht vorhanden, wie bei anderen Anbietern, dürfen die Räder, so wie das auch jeder privat E-Fahrradbesitzer macht, einzeln überall in der Innenstadt abgestellt werden. Und erst, wenn Probleme auftauchen – andere Verkehrsteilnehmer durch Massenansammlungen abgestellter Räder behindert werden – können die Behörden aktiv werden.

Doch braucht die Hauptstadt wirklich noch weitere? Schwer zu sagen – allerdings zeigen Statistiken, dass in Berlin bislang ein Ausleihrad im Schnitt deutlich weniger als anderswo gemietet wird. Weshalb Experten über das geplante Berlin-Engagement der Verleih-Unternehmen aus Fernost durchaus die Stirn runzeln.
Hinzu kommt: Ein guter Ruf eilt einigen asiatischen Anbietern ohnehin nicht voraus. Die Wissenschaftlerin Martina Hertel vom Deutschen Institut für Urbanistik befürchtet, dass etliche der Verleihfirmen, hinter denen in der Regel finanzkräftige Investoren stehen, nicht so sehr am Fahrradgeschäft, sondern eher an den Daten der Nutzer interessiert sind.
Zahlreiche Leihfahrräder in München stehen auf einem Bürgersteig.
Leihfahrräder in München - für viele sind sie zum Ärgernis geworden.© imago/Volker Preußer

Interessant sind vor allem die Daten der Nutzer

"Die Daten werden getrackt. Es werden also Bewegungsprofile erstellt und das ist einfach in der Welt: Was damit passiert? Die Firmen sagen derzeit, dass sie die Daten nicht nutzen. Aber dann stellt sich für uns die Frage, warum sie überhaupt getrackt werden. Mit den bisherigen städtischen Systemen ist das so nicht möglich. Das haben die Datenschützer von vornherein ausgeschlossen."
Getrackte, schöne neue Fahrradwelt: Erfahrungen aus Asien zeigen, dass mit dem Herunterladen der App eines Verleihunternehmens auch die Zustimmung zur Ortung des Smartphones gegeben werden muss. Und wenn an der Strecke dann ein bestimmtes Geschäft oder Restaurant liegt, weist das Smartphone den Radelnden möglichweise auch gleich freundlich darauf hin.
Auch über die Qualität der Leihräder aus Fernost wird längst spekuliert. Die zuständige Berliner Senatsverwaltung will abwarten, noch seien die zusätzlichen Angebote nicht auf den Straßen unterwegs. Sprecher Matthias Tang:
"Wenn das nur Billigräder sind, die nicht so schön zu fahren sind, dann nehme ich lieber eines der anderen Anbieter. Dann würde ich als Kunde – und das ist meine persönliche Sicht – eher auf ein qualitativ hochwertiges Fahrrad ausweichen."
Berlin will langfristig eine der fahrrad-freundlichsten Metropolen Europas werden. Da will die Politik neuen Akteuren auf dem Verleihmarkt nicht von vornherein Steine in den Weg legen. Auch wenn die Erfahrungen anderswo nicht die besten sind.

München – Invasion der gelben Räder

In München stehen seit Juli massenhaft gelbe Fahrräder verstreut über das gesamte Stadtgebiet. Die Firma Obike aus Singapur hatte praktisch über Nacht 7000 Leihräder verteilt. Inzwischen ist die Fahrradinvasion aus Fernost zu einem Ärgernis geworden. Tobias Krone berichtet: Audio Player

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