Michele Troy: „Die Albatross Connection“
© Europa Verlag
James Joyce bei den Nazis
Michelle Troy
Aus dem Englischen von Herwig Engelmann
Die Albatross Connection. Drei Glücksritter und das „Dritte Reich“Europa Verlag, München 2022544 Seiten
42,00 Euro
Wie konnte ein jüdisch dominierter, britisch finanzierter Verlag die NS-Zensur austricksen? Die Antwort auf diese Frage erzählt die Literaturwissenschaftlerin Michele Troy als packende Story.
„In seinen Büchern denkt ein Volk laut“, zitiert Michele Troy den englischen Verleger Geoffrey Faber. Troy hat sich für ihr Buch „Die Albatross Connection. Drei Glücksritter und das `Dritte Reich´“ tief in die Archive des deutschen und des europäischen Verlagswesens gegraben.
Rund um den 1931 gegründeten Albatross Verlag, der vor, während und auch noch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg englischsprachige Bücher in Deutschland vertrieb, erzählt sie eine atemberaubende und aufschlussreiche Geschichte aus der Welt der Produktion und des Vertriebs von Büchern.
In Nazideutschland britische Bücher verlegen
Die Frage lautet: „Wie und warum konnte mitten im aggressiven völkischen Klima Deutschlands der Dreißigerjahre ein jüdisch dominierter, britisch finanzierter Verlag englischsprachige Literatur drucken und verkaufen?“ Und wir reden nicht über irgendwelche Bücher: James Joyce, Virginia Woolf und D.H. Lawrence liefen im Reich ebenso unter dem Label Albatross wie Agatha Christie, Dashiell Hammett und Edgar Wallace.
Die Antwort ist, gelinde gesagt, komplex. Michele Troy, Literaturprofessorin an der University of Hartford, ist der Sache umfassend und gründlich nachgegangen. Sie erzählt die Geschichte auf 550 eng bedruckten Seiten mit einem Gespür für dramaturgische Kniffe, Cliffhanger und skurrile Details, das man aus Publikationen der angelsächsischen Geisteswissenschaften kennt.
Das mag einer deutschen Leserschaft bisweilen zu weit gehen, auch hätte das eine oder andere vor dem Hintergrund des hiesigen Erfahrungshorizonts vielleicht nicht ganz so ausführlich erzählt werden müssen, das ändert aber nichts an der Brisanz dieser wirklich spannenden Geschichte, die immer wieder aberwitzige Wendungen nimmt, wie es nur Geschichten können, die sich wirklich zugetragen haben.
Aufstieg und Fall eines schillernden Verlags
Man erfährt nicht nur viel über die Grundlagen, die Tücken und die individuelle Kunst des Bücherverlegens, sondern auch über die Kultur-, vor allem aber über die Wirtschaftspolitik der Nazis, über Winkelzüge, mit denen man ein international agierendes Unternehmen über die Nazizeit und durch den Krieg manövrieren konnte, und über die Schwierigkeiten der Rückkehr zur Normalität – sondern vor allem darüber, wie viel all dies mit individuellen Persönlichkeiten, mit ausgeprägten Charakteren und ihren Entscheidungen zu tun hat.
Troys „Glücksritter“ sind Christian Wegner, ein Neffe von Insel-Verleger Anton Kippenberg, Kurt Enoch, Sohn eines jüdischen Buchhändlers aus Hamburg, und der in Paris lebende Engländer John Holroyd-Reece, der über sich selbst schrieb: „Ich fühle mich so ziemlich wie mein eigener Vogel, der Albatross, der aus Gewohnheit die meiste Zeit in der Luft verbringt, ohne je auf festem Boden aufzusetzen.“
Am Ende streiten sich die drei von Hamburg, London und New York aus um das, was sie zuvor gemeinsam aufgebaut haben.
Das Buch ist eine gründlich recherchierte Studie, im Ergebnis aber gleichzeitig der Roman vom Aufstieg und Niedergang eines schillernden Verlags und der ihn betreibenden, nicht minder schillernden Persönlichkeiten in dramatischen Zeiten: komplex wie gute Literatur, aufschlussreich wie populäre Geschichtswissenschaft und unterhaltsam wie ein historischer Wirtschaftskrimi.