Michaela Krützen - "Klassik, Moderne, Nachmoderne"

Eine fundierte Filmgeschichte

Die Schauspielerin Ingrid Bergman als Ilsa mit Humphrey Bogart als Rick in einer Szene aus dem Film "Casablanca" von 1942
Michaela Krütze konzentriert sich auf die Filme "Casablanca", "Letztes Jahr in Marienbad" und "Vergiss mein nicht". © picture alliance / dpa
Von Manuela Reichart · 10.07.2015
Die Autorin Michaela Krützen analysiert in ihrem Buch "Klassik, Moderne, Nachmoderne" drei Filme. Dabei vergleicht sie die Merkmale des Erzählens. Sie nennt präzise Filmminuten und arbeitet so an konkreten Szenen die Besonderheiten von drei Epochen heraus.
Eine Filmgeschichte der besonderen Art. Anhand von drei Filmen werden die Veränderungen filmischen Erzählens vorgeführt: vom klassischen Hollywoodfilm bis heute. Die Münchner Medienwissenschaftlerin erzählt von mehr als hundert Jahren Filmgeschichte in drei Kapiteln: klassisches Hollywood, Moderne und Nachmoderne.
Sie konzentriert sich in dieser umfangreichen und detailreichen Arbeit auf drei Fallbespiele: "Casablanca" von Michael Curtiz aus dem Jahr 1942, "Letztes Jahr in Marienbad", 1961 gedreht von Alain Resnais nach einem Drehbuch von Alain Robbe-Grillet und "Vergiss mein nicht!" aus dem Jahr 2004 von Michel Gondry (Regie) und Charlie Kaufman (Originaldrehbuch). Es geht hier um "Drei Filme, drei Geschichten: eine Filmgeschichte".
Eine eindrucksvolle wissenschaftliche Arbeit, in der im Zentrum steht nicht "was die Filme erzählen, sondern wie sie dies tun. Der hier verfolgte Ansatz ist also kein hermeneutischer, sondern ein strukturaler." Die Autorin analysiert die drei Filme, indem sie Merkmale des Erzählens untersucht und vergleicht: von der Auf- bis zur Abblende, vom Vor- bis zum Abspann. Sie nennt präzise Filmminuten, beschreibt, was man sieht, wie und warum das so und nicht anders inszeniert wurde. Es geht um die Folgerichtigkeit der Handlung ebenso wie um Rückblenden und Spannungsbögen, um die Gestaltung der Montage, um Realismus. Dass sie ihre Unterscheidungskriterien an die gewählten drei Filme anlegt, hat mit deren allgemeiner Verfügbarkeit zu tun, es könnten auch andere Filme sein, etwa Hitchcocks "Rebecca", Andrei Tarkowskis Science-Fiction-Film "Solaris" und Christopher Nolans Kassenerfolg "Inception". Im letzten Kapitel bietet die Autorin dann auch Alternativen an, um ihre Kriterien für die Unterscheidung Klassik, Moderne und Nachmoderne zu verifizieren.
Genauigkeit und Kenntnis
An dieser Filmgeschichte beeindrucken Genauigkeit und Kenntnis, die klugen Abschweifungen und fundierten Erklärungen. Die Autorin behauptet nicht, sondern belegt, sie stellt keine allgemeinen Maximen auf, sondern führt anhand von Einstellungen vor, was und warum etwas zu sehen ist. Eines der Themen dieser Filmgeschichte ist denn auch, wie Übereinkünfte zwischen Film und Publikum aussehen, welche Erzählkonventionen erfüllt oder gebrochen werden.
Interessant dabei ist, dass es eine Verschiebung "eine Migration komplexer Erzählstrukturen vom internationalen Kunstkino in den Bereich des kommerziellen Kinos" gibt. Michaela Krützens Filmgeschichte ist eine anspruchsvolle Lektüre, die Aufmerksamkeit und Geduld erfordert. Wenn man sich aber als Laie auf ihre Lesart und Filmanalysen einlässt, wird man nicht nur belohnt mit beeindruckenden Details, man schaut aktuelle Filme zukünftig auch unter dem Gesichtspunkt "Was ist klassisch an der Nachmoderne?".
Überhaupt gilt es, aufmerksam im Kino zu sein, das immer wieder mit höchst komplexen Strukturen arbeitet. In "Singin in the rain" - erzählt die Autorin in einer Abschweifung - geht es um einen Stummfilmstar (gespielt von Jean Hagen), der nicht singen kann, deswegen synchronisiert wird von einem jungen Talent, das wurde von Debbie Reynolds gespielt, die aber in Wahrheit keine gute Stimme hatte und deswegen synchronisiert wurde, und zwar von der Schauspielerin, die den Stummfilmstar spielt. "Mit anderen Worten synchronisiert Hagen Reynolds, die Hagen synchronisiert."

Michaela Krützen: "Klassik, Moderne, Nachmoderne. Eine Filmgeschichte"
Verlag S.Fischer Wissenschaft, Frankfurt am Main 2015
828 Seiten, 34 Euro

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