Michael Zeuske: "Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte..."

Eine Chronik der Ausbeutung

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Eine Geschichte der Sklaverei von Michael Zeuske © Reclam Verlag/imago/imagebroker/Nitzschke
Von Wolfgang Schneider · 01.03.2018
Hören wir das Wort "Sklave", denken wir meist automatisch an die Baumwollplantagen der US-Südstaaten. Der Autor Michael Zeuske zeigt in "Sklaverei" jedoch, wie vielschichtig deren Geschichte ist. Dabei gleite der Autor jedoch leider in Faktenhuberei ab, meint unser Kritiker.
Über Sklaverei sind viele Bücher geschrieben worden. Dennoch ist es möglich, bei diesem brisanten Thema noch neue oder ungewohnte Akzente zu setzen. Michael Zeuske tut das, indem er eine dezidiert "menschheitsgeschichtliche" Perspektive wählt. Dabei zeigt sich auf geradezu erschütternde Weise, dass die Sklaverei von der Frühgeschichte bis in die Gegenwart keine (kriminelle) Ausnahmepraxis war, sondern der Regelfall – durch alle Epochen und Reiche und auf allen Kontinenten, sei es bei den Ägyptern oder Römern, bei den Mayas oder Azteken, bei den Chinesen oder Mongolen.

"Sklave" kommt ursprünglich von "Slawe"

Wir haben heute maschinelle "Sklaven - über die längste Zeit der Geschichte dagegen war die menschliche Arbeitskraft unabdingbar und wurde immer wieder unter Zwang verfügbar gemacht. Beim Stichwort "Sklave" haben wir zwar meist das Bild eines Schwarzafrikaners auf Südstaaten-Plantagen vor Augen, aber das Wort meint ursprünglich Mittel- und Nordeuropäer. Es ist stammverwandt mit "Slawe" und stammt aus dem Mittelalter, als viele Menschen aus diesen Regionen verschleppt wurden – vor allem in die Sklavenreiche der islamischen Welt.
Die Verwendung der Menschen reichte von Arbeitsfron und Kriegseinsatz (Janitscharen) über Dienste in Hofstaat und Verwaltung bis zur sexuellen Ausbeutung in der Haremskultur. Auch die afrikanischen Gesellschaften der Subsahara wurden seit dem siebten Jahrhundert von immer neuen Raubzügen ("Razzien") der arabomuslimischen Menschenhändler heimgesucht, die sich allerdings die Komplizenschaft der afrikanischen Stammesfürsten zu erkaufen wussten, so wie es später – ab dem 16. Jahrhundert – beim transatlantischen Sklavenhandel nach Amerika der Fall war.

Europäer als "Juniorpartner" des Sklavenhandels

Die Europäer, so Zeuske, blieben dabei "immer Juniorpartner islamischer und afrikanischer Sklavenhandelseliten". Diese waren die "Lehrmeister der Europäer in Bezug auf die Kapitalisierung der Körper" – auch dies eine ungewohnte Einsicht der globalhistorischen Perspektive.
Es bestätigt sich allerdings, dass Afrika im Lauf von zwei Jahrtausenden wohl am stärksten unter der Sklaverei zu leiden hatte. Die meisten Opfer gehen auf Konto innerafrikanischer Menschenjagden, an zweiter Stelle steht mit etwa 17 Millionen Opfern der "Menschenexport" über den indischen Ozean und in die Sultansreiche Nordafrikas und Kleinasiens. Der transatlantische Sklavenhandel schlägt mit etwa elf Millionen Menschen zu Buche.

Von Haussklaven zu Vertragsarbeitern

Neben den historischen Ausführungen befasst sich das Buch mit den Definitionen, Diskursen und rechtlichen Regelungen der Sklaverei. Zeuskes eigene Definition setzt an bei der realen Verfügungsgewalt über fremde Körper, die der Mobilität und "Entscheidungsfreiheit" beraubt sind. Manche Grenzen mögen dabei fließend sein – von der ubiquitären Haussklaverei zur "Dienerschaft", von den Sklaven in der Landarbeit über die Leibeigenen zur omnipräsenten "Schuldknechtschaft". Oder von der expliziten Plantagen-Sklaverei zur inexpliziten der "Vertragsarbeiter" nach der Abolition in den Vereinigten Staaten.

Kritik am Narrativ der Befreiung

Die meisten Sklaverei-Geschichten enden mit einem Kapitel über den Abolitionismus, den Amerikanischen Bürgerkrieg und die vermeintliche Abschaffung der Sklaverei. Zeuske setzt sich kritisch auseinander mit dem großen "Narrativ" der Befreiung. Nicht nur in den USA lebten ehemalige Sklaven noch sehr lange als Menschen zweiter Klasse, auch der europäische Kolonialismus rechtfertigte sich oft – unter wehender Werteflagge – damit, dass er gegen die Sklaverei in Afrika vorgehe, beutete aber de facto die Einheimischen weiterhin als Hausdiener, Träger, Kolonialsoldaten, beim Eisenbahnbau etc. aus. Und heute gebe es, in absoluten Zahlen, mehr Sklaverei als je zuvor in der Geschichte – man denke an Kindersoldaten, Zwangsprostitution, Versklavung in den Kriegsgebieten des IS und vieles mehr.
Zeuskes Buch ist nur bedingt ein Lesevergnügen – nicht nur wegen der Schrecken des Themas, sondern auch wegen des sperrigen Stils. Es bietet eine additive Reihung von Fakten, Fakten, Fakten – was allerdings den Lesern zugute kommt, die sich durch diese erkenntnisreiche Abhandlung hindurchgearbeitet haben.

Michael Zeuske: "Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute"
Stuttgart, Reclam Verlag, 2018
304 Seiten, 28 Euro

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