Michael Hartmann: "Die globale Wirtschaftselite"

Wie vernetzt sind Manager wirklich?

Zwei Geschäftsmänner starren sich an.
Sind die Spitzenmanager weltweit vernetzt? Michael Hartmann glaubt nicht daran. © imago/emil umdorf
Moderation: Maike Albath · 22.10.2016
Es gebe gar keine vernetzte globale Wirtschaftselite, sagt Michael Hartmann, Professor für Soziologie in Darmstadt. In seinem Buch "Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende" liefert er einen Faktencheck gängiger Behauptungen, zum Beispiel, dass Spitzenmanager auf dieselben Universitäten gegangen sind.
Maike Albath: "Die globale Wirtschaftselite" lautet der Titel eines neuen Buches von dem Elitenforscher Michael Hartmann. Er ist Professor für Soziologie in Darmstadt und hat jetzt auf der Bühne des Deutschlandradios Platz genommen. Guten Tag, hallo!
Michael Hartmann: Guten Tag!
Albath: Das Entscheidende an Ihrem neuen Buch ist aber erst einmal der Untertitel: "Eine Legende". Warum ist das eine Legende?
Hartmann: Ja, weil die Fakten, wenn man sie sorgfältig überprüft, nicht mit dem übereinstimmen, was man aus den Medien seit 20, 25 Jahren immer mitbekommt. Da gibt es immer sehr plausible Beispiele von sehr globalen Spitzenmanagern oder von den Milliardären, die überall ihre Häuser haben, also vor allem in London und in der Schweiz. Und wenn man das mal systematisch überprüft, sind das Einzelfälle und die sind nicht typisch, weder für die Milliardäre, noch für die Topmanager, sondern das sind die Ausnahmen von der Regel.
Albath: Sind es aber nicht doch dieselben Schulen und dieselben Universitäten, auf die diese Leute gehen? Man hat ja immer diese Netzwerkidee.
Hartmann: Ja, man hat diese Idee und auch das ist einfach, um es mal grob zu sagen, Unsinn. Also, wenn man sich diese berühmten Business Schools anguckt, also in Europa zum Beispiel London School of Economics oder das INSEAD in Fontainebleau: Von den 1300 wichtigsten Spitzenmanagern der Welt sind ganze 13 auf diesen beiden Einrichtungen gewesen. Und wenn Sie sich jetzt die Harvard Business School angucken, die berühmteste der Welt, da waren zwar 20, aber von den 20 waren 16 US-Amerikaner. Das heißt, die gehen schon auf die Topuniversitäten ihres eigenen Landes, aber das ist eben keine Globalisierung. Da treffen Sie im Wesentlichen Manager aus dem eigenen Land oder solche, die Manager werden wollen, aber Sie treffen da eben nicht die Chinesen, die Brasilianer, die Deutschen oder die Franzosen.
Albath: Trotzdem sind sie hoch mobil. Was charakterisiert denn diese Gruppe von Leuten, was haben Sie da herausgefunden?
Hartmann: Ja, sie sind hoch mobil in dem Sinne, dass sie natürlich, wenn es sich um Topmanager handelt, diese berühmten Roadshows machen müssen. Also, sie müssen für Investoren dann eben nach New York oder nach Tokio fliegen, aber das sind immer nur kurze Stippvisiten. Wenn man sich anguckt, wo diese Topmanager tatsächlich arbeiten, so arbeiten 90 Prozent in ihrem Heimatland. Die fliegen nur hin und wieder weg. Und ich habe dann auch geguckt, wie viele von denen sind wenigstens einmal sechs Monate am Stück im Ausland gewesen? Das ist ja ein sehr geringer Maßstab. Auch das ist nur gut jeder Fünfte. Das heißt, die überwältigende Mehrheit von über 70 Prozent sind ihr ganzes Leben, was die Ausbildung angeht, was die Berufslaufbahn angeht, was den Wohnort angeht, in dem Land geblieben, in dem sie auch groß geworden sind.

Über 300 US-Bürger unter den tausend Reichsten der Welt

Albath: Das ist eine soziologische Erkenntnis, die von Interesse ist. Und was für Rückschlüsse sind da möglich?
Hartmann: Ja, die Rückschlüsse … Also, ich mache ja solche Untersuchungen immer aus einer politischen Motivation heraus. Und ich habe angefangen in den 90er-Jahren, weil mich da geärgert hat das Argument, die deutschen Manager müssten jetzt auch so viel verdienen wie die in den USA, weil es diesen weltweiten Markt für Spitzenmanager gibt und wenn wir das nicht zahlen, dann gehen die weg. Und ich kenne das Milieu und ich habe gesagt: Wo sollen die denn hingehen?
Also, in Deutschland gab es kaum Ausländer an der Spitze, viel weniger als heute, und in den anderen Ländern war das noch viel seltener der Fall. Und dann habe ich angefangen, mir das systematisch anzugucken, und seit ungefähr zehn Jahren ärgert mich dieses Mantra der Politik: 'das ist alternativlos', 'Geld ist ein scheues Reh', 'die gehen einfach alle weg'. Und dann habe ich geguckt, wo sind die eigentlich wirklich? Und wenn man feststellt, die sind überhaupt nicht so hoch mobil und es gibt Möglichkeiten, selbst die Mobilität bei denen, die mobiler sind, einzuschränken, dann hat die Politik sehr viel mehr Einflussmöglichkeiten, als sie selber öffentlich einräumt. Das heißt, es gibt keine alternativlose Politik, sondern es gibt Alternativen, gerade in steuerlicher Hinsicht.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus den USA: Von den über 300 US-Bürgern, die unter den 1000 Reichsten der Welt sind, leben ganze drei im Ausland. Das hat einfach damit zu tun, dass, wenn sie ins Ausland gehen, das für sie steuerlich überhaupt keine Vorteile hat. Die US-Finanzbehörden sagen, egal wo du wohnst, das, was du woanders weniger zahlst, das zahlst du bei uns drauf. Entscheidend ist immer unser Steuersatz, solange du US-Bürger bist. Und wenn du die Staatsbürgerschaft abgibst, dann zahlst du auf dein ganzes Vermögen eine sogenannte Exit Tax von über 20 Prozent. Das heißt, für die lohnt sich das schlicht und einfach nicht. Und solche gesetzliche Maßnahmen wären natürlich auch für andere Länder möglich.
Das heißt, mein Plädoyer ist schlicht und einfach zu erkennen, dass die Politik ungleich mehr Handlungsmöglichkeiten gegenüber Wirtschaftseliten hat, als es dieses Gerede von der globalen, hoch mobilen, flüchtigen Wirtschaftselite immer in den Köpfen bei den Leuten erscheinen lässt.

Albath: Weil das ja auch eher in so eine Richtung Verschwörungstheorie geht und dann hat man gar keine Handhabe mehr. Was könnte man genau machen? Müssten es Gesetze sein? Ich fand es hoch interessant, bei Ihnen nachzulesen zum Beispiel auch, dass die griechischen Elitevertreter im Unterschied zu den Amerikanern die Einzigen sind, die im Ausland leben, weil es dort eben vermutlich gar keine Gesetzgebung gibt, die sie einschränkt. Erzählen Sie uns dazu was!
Der Soziologe Michael Hartmann
Michael Hartmann, Professor für Soziologie in Darmstadt, im Gespräch mit Maike Albath auf der Frankfurter Buchmesse.© Deutschlandradio / Andreas Buron
Hartmann: Griechenland ist das extreme Gegenbeispiel. Die drei Griechen, die unter den Top Tausend sind, leben alle im Ausland. Sie sind aber alle drei griechische Staatsbürger geblieben, aus einem ganz einfachen Grund: Sie haben dadurch, dass sie griechische Staatsbürger sind, einen großen Vorteil. In der griechischen Verfassung ist unter der Militärdiktatur festgeschrieben worden, dass alle Geschäfte, die mit Reederei zu tun haben, de facto steuerfrei sind. Diesen Vorteil nehmen sie gerne mit. Dazu kommt, dass Spiros Latsis, der zweitreichste Grieche, als die Bankenkrise war, als Inhaber der größten griechischen Bank 4,5 Milliarden Euro als EU-Hilfe bekommen hat, die hat er auch gerne mitgenommen. In der Schweiz zahlen Sie aber noch weniger Steuern als in Griechenland. Das heißt, Sie haben die beiden Vorteile der Verfassung in Griechenland plus des Wohnsitzes in der Schweiz kombiniert. Das kann man verhindern.
Das ist genauso wie in Deutschland: Von den 67 deutschen Milliardären, die unter den Top Tausend sind, sind gleich 14 in der Schweiz. Das zeigt an, die wollen gerne in einem Land residieren, wo sie die eigene Sprache sprechen, die gehen nicht überall hin, sondern die gehen dann eben in die Schweiz, die Franzosen gehen auch in die Schweiz, nur eben nicht an den Zürichsee, sondern an den Genfer See, und die Italiener gehen an den Lago Maggiore. Ist schön nah, dieselbe Sprache. Aber dem könnte man gesetzlich, wie das die USA machen, natürlich einen Riegel vorschieben, man müsste es nur ernsthaft wollen.
Albath: Und warum will man das nicht?
Hartmann: Ja, ich glaube, dass die Politik zum einen natürlich unter einem enormen Druck steht, aber zum anderen ist sie auch Opfer ihrer eigenen Prognose, es sei alles alternativlos geworden. Also, ich kann mich noch an Schröder erinnern, das war so ein Mantra, praktisch eine gesamte Regierungszeit: Bei den Reichen und bei den Unternehmen ist alles alternativlos. Merkel hat das Wort gesetzt. Und ich persönlich glaube, dass der Aufstieg von solchen Parteien wie der AfD auch damit zusammenhängt: Wenn die Menschen merken, es läuft was für sie schlechter, aber die Politik verkündet unisono, alles ist alternativlos, dann denkt man: Dann gucken wir doch mal, ob es irgendwo eine Alternative gibt, so bescheuert wie die auch ist. Aber dieses Mantra der Alternativlosigkeit ist sehr stark geprägt von der Vorstellung, dass es diese globale Elite gibt, Geld ist ein scheues Reh und was es dann immer so für Sprüche gegeben hat, der man nicht beikommen kann. Und dann kommen Verschwörungstheorien mit den Bilderbergern und dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Und wenn man sich das alles im Detail anguckt, stellt man fest: Da ist im Kern nicht wirklich was dran.
Albath: Sie legen in Ihrem Buch, Michael Hartmann, eine sehr nüchterne Bestandsaufnahme vor, es gibt viele Daten, es ist eine klassische soziologische Untersuchung. Nun würde ich erwarten, dass Sie als Erstes von der Politik eingeladen werden, um da mal Ihre Expertise vorzustellen. Passiert so was? Man müsste doch neugierig sein und auch Gesetze ändern wollen!
Hartmann: Ja, es hält sich in Grenzen. Also, ich sage Ihnen das einzige Beispiel, den Armuts- und Reichtumsbericht. Bei der ersten Sitzung im Arbeitsministerium war ich eingeladen. Da hat Frau Nahles gerade öffentlich verkündet, dass diese Armutsdefinition mit 60 Prozent vielleicht doch nicht so ganz gut ist, und da habe ich dann gesagt, dass ich so eine Feststellung von der zuständigen Ministerin als Eröffnung für den Armuts- und Reichtumsbericht doch verheerend finde. Und das war dann meine Mitwirkung daran.
So ist das häufig bei solchen Sachen, denn der Armuts- und Reichtumsbericht ist halt von der Regierung offiziell verantwortet als einzige Expertise und da will man dann so was meines Erachtens auch nicht drin haben. Also, man hält sich da schon an bestimmte politische Regelungen und eine der wesentlichen Regelungen heißt, man sieht es jetzt bei der Erbschaftssteuer, an die geht man besser nicht dran, die sind zu mächtig. Und was mich kolossal geärgert hat, ich habe gerade einen Vortrag gehalten in Singen am Bodensee, da war die Schwägerin von Kretschmann als Landtagsabgeordnete, mit so unsinnigen Argumenten, wie jetzt verteidigt wird, dass man an die Steuern nicht drangehen soll, also Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, da steht man fassungslos vor, weil, die Argumente sind sichtbar falsch. Aber sie werden vorgetragen wie die Bibel.

"Man kann öffentlichen Druck machen"

Albath: Sie sagten gerade, Herr Hartmann, die sind zu mächtig. Was heißt das genau und was bleibt uns übrig als ehrlichen Steuerbürgern, die wir vielleicht keine große Erbschaft machen?
Hartmann: Ich glaube, man kann öffentlichen Druck machen, das ist dann das, was mich motiviert. Ich glaube, man kann ein Thema so präsent machen, dass politischer Druck entsteht, dem sich die Parteien nicht mehr entziehen können. Also, bei den Grünen wird das jetzt eine Frage sein, kommt die Vermögenssteuer auf die Agenda oder nicht. Und das hängt auch davon ab, wie die öffentlichen Reaktionen sein werden. Die sind mächtig, das ist keine Frage, aber sie sind nicht so mächtig, dass man ihnen nichts entgegensetzen kann. Und ich sage Ihnen einfach ein aktuelles Beispiel, der Brexit. Eines der wenigen Länder, wo die Wirtschaftselite wirklich halbwegs internationalisiert ist, ist Großbritannien. Jeder dritte Topmanager kommt nicht aus Großbritannien. Das ist ein weltweit, nach der Schweiz, sehr hoher Prozentsatz, Großbritannien steht weit vor Deutschland oder anderen Ländern. Aber die Kontakte zur britischen politischen Elite haben sich dadurch gelockert. Man geht nicht mehr auf dieselben Schulen, wie Eton früher, man geht nicht mehr auf dieselben Unis. Und die Konsequenz ist, dass die Wirtschaftselite, die in der City of London in einem Maße konzentriert ist wie kaum woanders auf der Welt, nicht mehr in der Lage war, ihre traditionell extrem guten Verbindungen zur konservativen Partei so zu nutzen, dass die konservative Partei ihre Interessen vertreten hat. Die konservative Partei war erst gespalten und ist jetzt mehrheitlich auf einen Kurs gegangen, der für die Finanzelite in der City of London eine Katastrophe ist. Das ist in diesem Falle natürlich bedauerlich, was den Brexit angeht. Aber das zeigt, wie stark immer noch die Möglichkeiten nationaler Politik sind, auch wenn sie diesmal in eine falsche Richtung gehen, aber sie sind vorhanden.
Cover: Michael Hartmann "Die Globale Wirtschaftselite: eine Legende"
Cover: Michael Hartmann "Die Globale Wirtschaftselite: eine Legende"© Campus Verlag
Albath: Etwas, das mich sehr verblüfft hat, weil es gar nicht in unser Bild passt, das wir im Moment haben, ist die Strenge der Amerikaner, die ja doch sehr, sehr genau hinschauen, wo ihre Einkommensmillionäre oder -milliardäre sind. Also, da scheint es auch unterschiedliche Wertungssysteme zu geben, dort verfolgt man das sehr genau.
Hartmann: Ja, aber gegenüber den eigenen Staatsbürgern. Gleichzeitig laden die USA mit ihren Steueroasen Reiche aus aller Welt ein, siedelt euch doch bei uns an. Nur ihre eigenen, die wollen sie schon selbst besteuern. Und das ist etwas, das könnte man in Deutschland genauso machen. Also, wenn man denen, die in die Schweiz gegangen sind, sagt, okay, ihr könnt ruhig in die Schweiz gehen, aber ihr zahlt die Steuern, die ihr nicht in der Schweiz zahlt, dann in Deutschland nach, da bin ich absolut sicher, von den 14, die in der Schweiz sind, kommen mindestens zwölf zurück.
Albath: Vielen Dank, Michael Hartmann!
"Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende" heißt das Buch von Michael Hartmann, erschienen im Campus Verlag, 246 Seiten für 24,95 Euro. Und mit diesem Appell an unser politisches Bewusstsein und an eine sinnvolle Steuerpolitik und dem Hinweis auf gewisse Errungenschaften, wenn man zumindest soziologisch arbeitet, und Erkenntnisse, damit geht jetzt die "Lesart" für heute zu Ende.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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