Entgrenzung im Rausch

Michael Buthe war ein Wandler zwischen den Kulturen. In München geht eine Ausstellung der Freundschaft zwischen dem 1994 gestorbenen Künstler und seiner Galeristin Ingvield Goetz nach - während im "Haus der Kunst" eine Retrospektive sein Lebenswerk aufarbeitet.
Michael Buthe war, wie man so schön sagt, eine schillernde Figur, was aber in diesem Fall etwas Wesentliches trifft: Narzissmus und Selbstinszenierung, Charme und überbordende Produktivität, Exzentrik und das Aufbauen möglichst exotischer Kunst- und Privatwelten prägten dieses Leben, das sich auch zwischen verschiedenen Kulturen abspielte.
"Wir beide haben uns kennengelernt, und es war sofort ein Verständnis da. Das lag sicherlich daran, dass wir ähnliche Reisen gemacht haben, ich war auch in Marokko und in Indien, Michael war in Marokko hauptsächlich…"
… sagt Ingvield Goetz, die Münchner Sammlerin, die schon sehr früh, ab den 1970er-Jahren, Buthes Werke kaufte. Buthe lebte großenteils in Marrakesch und brachte seine arabischen Freunde gern mit nach Köln, wo er eine große Wohnung auch als kunstvoll ausdekoriertes Atelier bewohnte. Mit der damaligen Galeristin Ingvield Goetz wurde exzessiv gefeiert, und die Ausstellung in der Sammlung Goetz zeigt in vielen privaten Fotos die Stimmung der 1970-er Jahre, die Sehnsucht nach Abgrenzung gegen das Bürgertum und nach Ent-Grenzung im Rausch.
Udo Kier rezitiert wilde Sachen
Die Ausstellung führt vor allem in Papierarbeiten Buthes Anfänge in Minimalismus und Informel vor, um dann zügig zu den eher hippieartig kolorierten und opulent ausgestatteten Bannern und den schrägen Performances zu kommen. In einer Performance im Düsseldorfer Kunstverein 1977 sitzt der Schauspieler Udo Kier in einem vergitterten Turm und rezitiert wilde Sachen, er wiegt den Oberkörper wie zum Gebet…
"Die Sonne schaut mir zu, die Sonne schaut mir zu, die Sonne schaut mir zu. Und wanderte ich allein, und stieg ich auf Berge, wen suchte ich je wenn nicht dich auf den Bergen…"
Viele von Buthes Arbeiten haben etwas Trance-Artiges, sowohl die Aktionen als auch die Radierungen, die Malerei, die Installationen. Buthe malte Silhouetten, die Portraitierten mussten sich auf Papier oder Leinwand legen, der Künstler füllte dann die Umrisse mit orientalischen Farben, dekorierte Himmelszelte mit Sternen. Federn, übermalte Fotografien, immer wieder Sonnen in allen Farben – das ist auch ein bißchen Hippiekunst, immer mit dieser Tendenz zur Extase, aber auch zur religiösen Versenkung. Für Ingvield Goetz hat Buthe in Spanien sogar einen Meditations-Turm bemalt, als Schutzwall gegen den bösen Blick.
"Ich meditiere ja, und da sagte der Michael, also pass auf, wir machen dir einen Meditationsraum. Die Bauern haben mir diesen Turm gebaut."
Und das Ganze wurde 1983 mit einer Performance eröffnet, zu der eigens eine amerikanische Performer-Gruppe anreiste:
"Der Anführer dieser Gruppe hat sich auf diesen Brunnen gestellt, er stieß einen Urschrei aus. Er hatte wie ein Hirsch einen Zweig auf seinen Kopf gesetzt. Und dann kam der nächste Schrei, und dann kam einer aus dem Swimmingpool, der mit Gold bedeckt war…Und dann kam der nächste Ruf und dann fiel vom Baum einer herunter…"
Taufkapelle ironisch inszeniert
Die Ausstellung in der Sammlung Goetz ist quasi der private Teil der Buthe-Wiederentdeckung. Mit etwas mehr Abstand und musealer Sachlichkeit geht das Münchner Haus der Kunst zu Werke, wo man retrospektiv das Gesamtwerk zeigt und es mit zwei großen Installationen quasi rahmt: Das ist die "Taufkapelle für Mama und Papa" 1984 und die "Heilige Nacht der Jungfräulichkeit" von 1992. Die ironisch inszenierte Taufkapelle wird von farbbespritzten Stellwänden begrenzt, ein Kinderwagen schwebt wie eine Galionsfigur in der Luft. In der Mitte ein kubisches Taufbecken, in dem Goldstaub schwimmt, darüber eine Art Welt-Scheibe.
Diese Bruchstücke eines kaputten Familienlebens mit biblischem Bezug sind im Haus der Kunst umgeben von Buthes frühen Stoffbildern, kunstvoll zerrissene Vorhänge − da fliegen wirklich die Fetzen. Dann die fetischartigen Motive, die sich auf Afrika beziehen, ein Baumstamm als Krokodil, verschnürte Throne, immer wieder die Sonne – und vor allem energisch bearbeitete Türen, die den Weg aufmachen sollen in eine Welt der Freiheit.
Das Altar-artige, Religiöse, Ritualhafte, fast Schamanistische in Buthes Kunst steht hier im Vordergrund. Zum Abschluss dann die "Nacht der Jungfräulichkeit", 14 in Stahlplatten geätzte, gefräste Figuren wie auf einem Kreuzweg. Joseph Beuys ist hier einer der Paten. Welche Ausstellung besser ist, die Hippie-Schau in der Sammlung Goetz oder die kühle Museumspräsentation im Haus der Kunst, möge jeder selber entscheiden. Sie ergänzen einander jedenfalls vorzüglich.