Belebender Bilderstreit
Die Berliner Guggenheim-Dependance zeigt Arbeiten von Josef Albers, Blinky Palermo, Michael Buthe und anderen zu Wilhelm Worringers kunsthistorischer Studie "Abstraktion und Einfühlung" in einer gleichnamigen Ausstellung.
Es ist eine Premiere: Zum ersten Mal wird in der Berliner Guggenheim-Dependance eine Ausstellung fast ausschließlich aus der Kollektion der Deutschen Bank bestritten, die den Kunstraum an der Friedrichstraße beherbergt. Vor allem die umfangreiche Grafiksammlung hat es Carmen Gimenez, Kuratorin am New Yorker Guggenheim-Museum, angetan: Mit Josef Albers und Blinky Palermo, Michael Buthe und Thomas Schütte stieß die gebürtige Marokkanerin auf vier entscheidende Protagonisten eines alten und äußerst fruchtbaren Wettstreits in der Kunst: "Abstraktion und Einfühlung", so nannte der deutsche Kunsthistoriker Wilhelm Worringer 1908 seine Studie über zwei gegensätzliche Tendenzen, die von der Antike bis zur Aufklärung die Entwicklung der Kunst maßgeblich beeinflusst haben.
Daran hat sich Carmen Gimenez erinnert – aber mit ihrer Ausstellung von etwa 100 graphischen Arbeiten, ergänzt um einige ausgesuchte Gemälde von Paul Klee, Piet Mondrian und Phil Guston will sie mehr als nur einen kunsthistorischen Klassiker illustrieren. Durch das Prisma von Worringers Theorien betrachtet, sollen die Werke dazu anregen, Einfluss und Möglichkeiten von Abstraktion und Einfühlung in der zeitgenössischen Kunst neu zu überdenken.
Es ist immer wieder dasselbe: vier Quadrate werden ineinandergeschachtelt, ergeben subtile Farbverläufe vom gelben Zentrum über grau und türkis ins satte Grün oder über ocker und orange in eine blasse, cremefarbene Fläche. Und auch der Titel bringt wenig Abwechslung: "Homage to the Square", Hommage für das Quadrat, hat Josef Albers, der frühere Bauhaus-Meister und einflussreiche Lehrer am amerikanischen Blackmountain-College seine Arbeiten genannt. Bei der Vorbereitung ihrer Ausstellung in der Berliner Guggenheim-Dependance hat Carmen Gimenez, Kuratorin aus der New Yorker Zentrale, in der Sammlung der Deutschen Bank auch diese kleinen und fragilen Blätter entdeckt. Und als sie genauer hinschaute, die nicht ganz randscharf gemalten Ränder betrachtete und dem sanften Vibrieren der Farbfeldern nachspürte, war der Titel dieser Schau gefunden: "Abstraktion und Einfühlung".
Gimenez: "Auf den Gedanken brachte mich dieser phantastische kleine Albers. Der inspirierte mich, denn man erkennt die Hand des Malers, wie auch bei den Aquarellen von Thomas Schütte – eine große Sensibilität." (Aus dem Englischen übersetzt)
Schließlich waren "Abstraktion und Einfühlung" für den Kunsthistoriker Wilhelm Worringer keine sich ausschließenden Gegensätze, als er das Thema 1908 auf die Tagesordnung der Moderne setzte. Zur Überraschung seiner Zeitgenossen konstatierte er bereits in Gotik und Renaissance, selbst in der prähistorischen Kunst einen "Drang zur Abstraktion", zur Überwindung des Naturalismus mittels neuer Stilrichtungen, die sich zunehmend auf geometrische, also "lebensfremde" Formen stützten. Zustimmung fand Worringer bei Künstlern wie Kandinsky oder dem Expressionisten Franz Marc. Diesen nie endgültig entschiedenen Kampf zweier Linien scheint Carmen Gimenez weiterzuspinnen, mit Josef Albers und dem Beuys-Schüler Blinky Palermo auf der einen, dem 1994 jung verstorbenen Michael Buthe und Thomas Schütte auf der anderen Seite.
Aber schon der erste Überblick zeigt: so eindeutig ist die Sache nicht, dieser Bilderstreit kennt keine klaren Frontverläufe. Von Thomas Schütte etwa hat Carmen Gimenez geradezu poetische Aquarelle ausgewählt, farblich delikate Huldigungen an kleine Alltagsdinge: der im Wind flatternde rote Wimpel, ein Feuerlöscher oder das schlichte Grabkreuz. Aus der kleinteiligen Serie "Sieben mal Sieben" stammt auch das Porträt einer Pyramide aus Konservenbüchsen, daneben hat Schütte in größerem Format knallgelbe Bananen auf einer leuchtend blauen Tischdecke abgebildet oder drei saftig-rote Melonenschnitze, die durch den braun-grauen Äther trudeln.
Gimenez: "Das hat nichts mit realistischer Malerei zu tun, für Worringer bedeutete ’Einfühlung’ Griechenland und Renaissance, also spannende Momente der Kunstgeschichte. Da war etwa der Grieche Phidias, Bildhauer und Architekt. So sehen wir immer zweierlei. Und selbst Künstler wie Albers sind nie ausschließlich abstrakt - er arbeitet sehr mit Farben."
Und so, wie sich zwischen Josef Albers und Thomas Schütte irritierende Korrespondenzen, spannungsreiche Verbindungen über die Farbe ergeben, so eröffnet der Schritt von Blinky Palermos geometrischen Exerzitien hinüber ins Phantasie-Reich von Michael Buthe den Blick auf verblüffende Metamorphosen der Form. Bei Palermo dominierte noch der rechte Winkel, etwa bei den fein linierten, aus zwei Quadraten entwickelten Digitalzahlen. Bei den vier "Prototypen" aber – blaues Dreieck, graues Oval, schwarzes Quadrat und grünes Dreieck – werden Unregelmäßigkeiten sichtbar, mildert die zitternde Hand des Künstlers den Drang zur Abstraktion. Buthe wartet mit einer Collage auf, deren Sogwirkung aus dem bunten Chaos entsteht: Auf der Gouache mit Gold und Silber schwimmt eine rostige Konservendose, aus der eine Vogelfeder ragt, weiße Muscheln leuchten auf tiefblauem Grund, darüber züngelt eine Schlange, zart gepunktet, einen roten Blutfleck zur einen, die silbern glänzende Gischt zur anderen Seite. Aber dieses Traumland, von einem privaten Sammler sorgsam gehütet unter Glas, war keine reine Erfindung: Das beweisen zwei Dutzend Blätter aus dem Bestand der Deutschen Bank, aufregend schöne Zeichnungen, vielleicht spontane Studien für das größere Werk – und allesamt versponnene Realitätssplitter, einfühlsame Interpretationen einer Welt, in die der Künstler ohne Scheu vor fremden Kulturen eintauchte:
Gimenez: "Michael Buthe lebte auf Ibiza, also im Süden in einer Art mystischen Situation - wie zuvor Paul Klee in Tunesien. Und so war es auch bei Blinky Palermo, als er auf den Malediven starb. Das ergab für alle eine große Sinnlichkeit – die aber jeder auf andere Weise ausdrückt."
Daran hat sich Carmen Gimenez erinnert – aber mit ihrer Ausstellung von etwa 100 graphischen Arbeiten, ergänzt um einige ausgesuchte Gemälde von Paul Klee, Piet Mondrian und Phil Guston will sie mehr als nur einen kunsthistorischen Klassiker illustrieren. Durch das Prisma von Worringers Theorien betrachtet, sollen die Werke dazu anregen, Einfluss und Möglichkeiten von Abstraktion und Einfühlung in der zeitgenössischen Kunst neu zu überdenken.
Es ist immer wieder dasselbe: vier Quadrate werden ineinandergeschachtelt, ergeben subtile Farbverläufe vom gelben Zentrum über grau und türkis ins satte Grün oder über ocker und orange in eine blasse, cremefarbene Fläche. Und auch der Titel bringt wenig Abwechslung: "Homage to the Square", Hommage für das Quadrat, hat Josef Albers, der frühere Bauhaus-Meister und einflussreiche Lehrer am amerikanischen Blackmountain-College seine Arbeiten genannt. Bei der Vorbereitung ihrer Ausstellung in der Berliner Guggenheim-Dependance hat Carmen Gimenez, Kuratorin aus der New Yorker Zentrale, in der Sammlung der Deutschen Bank auch diese kleinen und fragilen Blätter entdeckt. Und als sie genauer hinschaute, die nicht ganz randscharf gemalten Ränder betrachtete und dem sanften Vibrieren der Farbfeldern nachspürte, war der Titel dieser Schau gefunden: "Abstraktion und Einfühlung".
Gimenez: "Auf den Gedanken brachte mich dieser phantastische kleine Albers. Der inspirierte mich, denn man erkennt die Hand des Malers, wie auch bei den Aquarellen von Thomas Schütte – eine große Sensibilität." (Aus dem Englischen übersetzt)
Schließlich waren "Abstraktion und Einfühlung" für den Kunsthistoriker Wilhelm Worringer keine sich ausschließenden Gegensätze, als er das Thema 1908 auf die Tagesordnung der Moderne setzte. Zur Überraschung seiner Zeitgenossen konstatierte er bereits in Gotik und Renaissance, selbst in der prähistorischen Kunst einen "Drang zur Abstraktion", zur Überwindung des Naturalismus mittels neuer Stilrichtungen, die sich zunehmend auf geometrische, also "lebensfremde" Formen stützten. Zustimmung fand Worringer bei Künstlern wie Kandinsky oder dem Expressionisten Franz Marc. Diesen nie endgültig entschiedenen Kampf zweier Linien scheint Carmen Gimenez weiterzuspinnen, mit Josef Albers und dem Beuys-Schüler Blinky Palermo auf der einen, dem 1994 jung verstorbenen Michael Buthe und Thomas Schütte auf der anderen Seite.
Aber schon der erste Überblick zeigt: so eindeutig ist die Sache nicht, dieser Bilderstreit kennt keine klaren Frontverläufe. Von Thomas Schütte etwa hat Carmen Gimenez geradezu poetische Aquarelle ausgewählt, farblich delikate Huldigungen an kleine Alltagsdinge: der im Wind flatternde rote Wimpel, ein Feuerlöscher oder das schlichte Grabkreuz. Aus der kleinteiligen Serie "Sieben mal Sieben" stammt auch das Porträt einer Pyramide aus Konservenbüchsen, daneben hat Schütte in größerem Format knallgelbe Bananen auf einer leuchtend blauen Tischdecke abgebildet oder drei saftig-rote Melonenschnitze, die durch den braun-grauen Äther trudeln.
Gimenez: "Das hat nichts mit realistischer Malerei zu tun, für Worringer bedeutete ’Einfühlung’ Griechenland und Renaissance, also spannende Momente der Kunstgeschichte. Da war etwa der Grieche Phidias, Bildhauer und Architekt. So sehen wir immer zweierlei. Und selbst Künstler wie Albers sind nie ausschließlich abstrakt - er arbeitet sehr mit Farben."
Und so, wie sich zwischen Josef Albers und Thomas Schütte irritierende Korrespondenzen, spannungsreiche Verbindungen über die Farbe ergeben, so eröffnet der Schritt von Blinky Palermos geometrischen Exerzitien hinüber ins Phantasie-Reich von Michael Buthe den Blick auf verblüffende Metamorphosen der Form. Bei Palermo dominierte noch der rechte Winkel, etwa bei den fein linierten, aus zwei Quadraten entwickelten Digitalzahlen. Bei den vier "Prototypen" aber – blaues Dreieck, graues Oval, schwarzes Quadrat und grünes Dreieck – werden Unregelmäßigkeiten sichtbar, mildert die zitternde Hand des Künstlers den Drang zur Abstraktion. Buthe wartet mit einer Collage auf, deren Sogwirkung aus dem bunten Chaos entsteht: Auf der Gouache mit Gold und Silber schwimmt eine rostige Konservendose, aus der eine Vogelfeder ragt, weiße Muscheln leuchten auf tiefblauem Grund, darüber züngelt eine Schlange, zart gepunktet, einen roten Blutfleck zur einen, die silbern glänzende Gischt zur anderen Seite. Aber dieses Traumland, von einem privaten Sammler sorgsam gehütet unter Glas, war keine reine Erfindung: Das beweisen zwei Dutzend Blätter aus dem Bestand der Deutschen Bank, aufregend schöne Zeichnungen, vielleicht spontane Studien für das größere Werk – und allesamt versponnene Realitätssplitter, einfühlsame Interpretationen einer Welt, in die der Künstler ohne Scheu vor fremden Kulturen eintauchte:
Gimenez: "Michael Buthe lebte auf Ibiza, also im Süden in einer Art mystischen Situation - wie zuvor Paul Klee in Tunesien. Und so war es auch bei Blinky Palermo, als er auf den Malediven starb. Das ergab für alle eine große Sinnlichkeit – die aber jeder auf andere Weise ausdrückt."