Mexikos Megaprojekt "Tren Maya"

Der umstrittene Maya-Zug

06:40 Minuten
Luftbild von einer Trasse, die durch den Regenwald führt.
Hier soll nach dem Willen der Regierung die Zugstrecke für den Tren Maya entstehen. © imago / ZUMA PRESS / El Universal
Von Anne Demmer · 09.09.2020
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Der "Maya-Zug" ist das touristische Prestigeprojekt des mexikanischen Präsidenten. Er soll die archäologischen Stätten im Süden des Landes verbinden. Doch der Bau der 1500 Kilometer langen Zugstrecke stößt bei vielen Indigenen auf Widerstand.
Maria läuft barfuß, gestützt auf einen Wanderstock die Schienen entlang. Durch ihren Ort fährt bereits ein Zug. Diese Schienen sollen gegen neue ausgetauscht werden. Für den "Tren Maya" muss die 60-jährige Maya-Indígena ihr Haus räumen. Ob sie eine Entschädigung bekommt, wann sie umgesiedelt wird, das weiß sie nicht. Die Regierung habe kein Geld, wurde ihr gesagt. Sie macht sich große Sorgen – genau wie viele Anwohner und Ladenbesitzer, die an der geplanten Strecke leben und arbeiten.
Rosa will sich deswegen wehren. Sie hat sich mit 16 weiteren Indígena-Gemeindevertretern, die rund um die archäologischen Stätten von Palenque leben, zusammengeschlossen und eine Beschwerde beim lokalen Gericht eingereicht. Ihren richtigen Namen will sie lieber nicht nennen, aus Angst vor Repressalien.
"Wir wurden nie informiert. Aber wir haben ein Recht auf Information. Es gab eine offizielle Befragung zum Tren Maya, auch da wurden wir nicht berücksichtigt. Es wurden nur einige Gemeindevertreter eingeladen. Was dabei herauskam, wissen wir nicht."

Ein Lieblingsprojekt des Präsidenten

Der Tren Maya ist das Lieblingsprojekt des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, das er auch in der Coronakrise stoisch vorangetrieben hat.
"Es ist viel Zeit vergangen, in der diese Region nicht berücksichtigt wurde. In den letzten 40 Jahren ist nur Cancún gewachsen, die Riviera Maya. Der Rest der Region lag brach. Deswegen sind die Menschen weggegangen. Mit diesem Projekt wollen wir die Entwicklung fördern und viele neue Arbeitsplätze schaffen. Mit dem Zug wird man die Möglichkeit haben, die alten archäologischen Maya-Stätten und gleichzeitig die neuen Städte in der Region kennenzulernen."
Mehr als 80.000 Arbeitsplätze sollen mit dem "Tren Maya" entstehen, der Tourismus angekurbelt werden, gleichzeitig soll er als Güterzug fungieren und als Transportmittel für die lokale Bevölkerung dienen. Die Direktorin der Nichtregierungsorganisation Pronatura in Mérida, Maria Andrade, ist nicht per se gegen den Zug, doch für sie hat das gegenwärtige Konzept weder Hand noch Fuß:
"Wir sehen keine klare Strategie, dass die lokale Bevölkerung auf den Tren Maya vorbereitet wird. Unsere Erfahrung ist, dass man erstmal in die Leute investieren muss. Sie müssen für den Tourismus ausgebildet werden. Die Sprache ist schon ein Problem, sie sprechen kein Englisch, die Nutzung der sozialen Medien, die man ja für den Tourismus braucht – dafür müssen sie geschult werden."

600 Hektar Regenwald sind betroffen

Auch der Regenwald in der Region, die zweitgrößte grüne Lunge des Kontinents, sei in Gefahr. Für die neue Bahnstrecke müssen Bäume gefällt werden, 600 Hektar Regenwald sind betroffen, neue Siedlungen sollen neben archäologischen Stätten entstehen. Die Pläne bedrohen nicht nur Tiere und Fauna, sondern damit werde auch das bereits bestehende Wasserproblem – gerade in Calakmul – verschärft.
"Davon wird der Tourismus, die Landwirtschaft, die Wirtschaft in der Region betroffen sein. Wir kennen das aus dem Norden des Landes, welche Konflikte das Thema Wasser in sich birgt."
Ein Mann steht in Arbeitskleidung mit Sonnenbrille, Bauhelm und Mundschutz auf einer Baustelle.
Dem Bauarbeiter José Pérez Hernández hat das Projekt Arbeit gebracht. Er glaubt, die Menschen werden vom Tren Maya profitieren.© Deutschlandradio / Anne Demmer
Währenddessen baut José Pérez Hernández in Palenque bereits an der Zugstrecke für den Tren Maya. Die Sonne brennt auf ihn herab. Er trägt Mundschutz, einen blauen Bauhelm, dicke Handschuhe.
"Das Projekt ist wirklich eine Superidee, die Leute werden hier in Chiapas davon profitieren. Die Arbeitslosigkeit ist groß. Durch den Tren Maya gibt es nun viel Arbeit. Vorher habe ich als Maurer gearbeitet, jetzt habe ich hier eine Chance bekommen. Ich verdiene ein bisschen mehr. 400 Pesos am Tag."
Das sind umgerechnet 15 Euro für harte Arbeit. Zwei Jahre lang wird er für den Tren Maya gebraucht, kalkuliert José, wie es danach weitergeht, weiß er nicht. Hört man sich entlang der Strecke um, gibt es viele, die große Hoffnungen in den Zug setzen.

Vorwürfe gegen die Heinrich-Böll-Stiftung

Sechs Beschwerden wurden allerdings auch in den letzten Monaten von Indígena-Gemeinden und Organisationen eingereicht. Eine Gruppe hat auf einem Streckenabschnitt damit sogar einen Baustopp erreicht – das Gericht hat ihnen Recht gegeben. Dem mexikanischen Präsidenten ist das ein Dorn im Auge. Er wirft ihnen vor, dass sie mit Hilfe von ausländischer Unterstützung den Maya-Zug boykottieren.
"Ich habe die Information über all die angeblich unabhängigen Organisationen der sogenannten Zivilgesellschaft erhalten, die Geld bekommen, einige davon aus dem Ausland, damit sie sich gegen den Tren Maya stellen. Sie verkleiden sich für Geld als Umweltschützer oder Menschenrechtler."
Der Vorwurf richtet sich auch gegen die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung, die Organisationen im Bereich Gender, Menschen- und Umweltrechte unterstützt, darunter auch zwei Organisationen, die Beschwerden gegen das Mega-Projekt eingereicht haben. Der Büroleiter Dawid Bartelt sieht die wachsende Gefahr, dass der Raum für kritische Stimmen gegen AMLO – wie der mexikanische Präsident kurz genannt wird – immer mehr eingeschränkt wird.
"In der Tat ist es nicht das erste Mal, dass er die sogenannte Zivilgesellschaft, dass er gegen die vorgeht. Das war bisher vor allen Dingen rhetorisch, das tut AMLO, weil diese ihm sehr unbequem sind, weil sie ihn kritisieren, als ob Opposition per se verboten sei, als ob vom Ausland Geld zu bekommen per se schon Vaterlandsverrat ist, das legt er nahe."
Auch unliebsame Journalisten wurden in der Vergangenheit immer wieder massiv vom mexikanischen Präsidenten kritisiert.

Die Indigenen fordern Mitsprache

Auch Rosa hat mit ihren Mitstreitern eine Beschwerde eingelegt. Ihr Ziel: Mitspracherecht für die indigene Bevölkerung. Sie hofft, dass sie am Ende damit erfolgreich ist. Statt inmitten der größten Wirtschaftskrise in den Tren Maya zu investieren, solle der mexikanische Präsident die 5,4 Milliarden Euro besser in andere Projekte stecken – gerade in Pandemie-Zeiten.
"Wenn AMLO wirklich seine Landsleute liebt, so wie er es immer wieder betont, warum fängt er dann nicht einfach an, sich um ein besseres Gesundheitssystem zu kümmern?"
Sie wird weiterkämpfen, sich Gehör verschaffen.
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