Mexiko

Abgestürzte Mittelschicht

Der Autor Juan Pablo Villalobos auf der Lit.Cologne in Köln
Der Autor Juan Pablo Villalobos auf der Lit.Cologne in Köln © dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd
Von Katharina Döbler · 12.09.2014
Der mexikanische Schriftsteller Juan Pablo Villalobos wurde mit seinem Roman über die blutige Welt der Drogenmafia bekannt. In seinem neuen Buch "Quesadillas" erinnert er sich an seine Jugend - und rechnet mit gesellschaftlichen Lügen ab.
Die Literatur eines Landes, in dem der Regierungschef auftritt und aussieht wie der Held einer Telenovela und in dem die Untaten der größten Verbrecher in populären Heldenliedern besungen werden, hat, wie man sich denken kann, ein ganz spezielles Verhältnis zum Realismus. Und zwar, wie Juan Pablo Villalobos, geboren 1973 aus Guadalajara in Mexiko, es nennen würde: kein aristotelisches.
In seinem neuen Roman "Quesadillas" kommt sogar ein Aristoteles vor: als älterer Bruder und Widersacher des Ich-Erzählers Orest. Mit der scharfen Kante einer Thunfischdose zeichnet Aristoteles Orest fürs Leben; das geschieht, als die beiden auf der Suche nach dem Ufo sind, das die falschen Zwillinge Castor und Pollux entführt hat.
Sieben Geschwister mit antiken Namen, Kinder eines fluchenden und bei aller Armut stets um Würde ringenden Dorfschullehrers kämpfen Abend für Abend in einem schuhschachtelgroßen Rohbau am Rande eines sehr abgelegenen Kaffs zusammen um ihren Anteil an den mit Käse gebackene Tortillas. Streng rationiert und in mehreren Varianten tischt die Mutter sie allabendlich auf. Die Varianten bewegen sich zwischen Inflationsquesadillas mit extra viel Käse, Normaloquesadillas und Abwertungsquesadillas bis hin zu den Armeleutequesadillas, in denen der Käse nur noch als in den Teig geritztes Wort vorhanden ist.
Dass sie arm sind, ist offensichtlich - auch wenn die Mutter tapfer behauptet: Wir sind Mittelschicht!
Nationale Mythen werden gründlich entstaubt
Villalobos nimmt hier die Zeit seiner eigenen Jugend, die mittleren 1980er-Jahre aufs Korn und findet darin viel Gelegenheit, nationale Mythen gründlich abzustauben: So den Mythos von der Existenz einer Mittelschicht, den von wundertätigen Heiligen, von Charros (den mexikanischen Cowboys) und ihren famosen Rindern, von Demokratie und Fortschritt, garantiert durch eine Partei der institutionalisierten Revolution.
In seinem Vorgängerroman "Fiesta in der Räuberhöhle" hat der studierte Marketingexperte Villalobos mit dem institutionalisierten Verbrechen abgerechnet – da ging es mit einem nur um ein Weniges zur Satire gesteigerten Realismus um einen Drogenboss und seinen Sohn.
Hier nimmt er sich mit ähnlicher Methode den Alltag der Kleinen und Armen vor - und landet, stets zwischen exakten Beschreibungen und leichter Satire changierend, bei der Groteske. Der Mangel an Respekt für logisches Erzählen, den er dabei an den Tag legt, verbindet ihn mit einem südamerikanischen Meister dieses Fachs: mit dem Argentinier Cesar Aira, den er überaus schätzt.
Ein wenig parodiert Villalobos den Magischen Realismus seligen Angedenkens, aber er verlässt sich ganz auf seinem eigenen, melancholisch-bitteren und zugleich komisch-überdrehten Ton, dem die Leserin amüsiert und berührt folgt.

Juan Pablo Villalobos: Quesadillas
Berenberg, Berlin 2014
144 Seiten, 22 Euro

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