Mette Henriette

Wenn das Saxofon stöhnt und röchelt

Mette Henriette
Die Saxofonistin und Komponistin Mette Henriette © Anton Corbijn
Von Johannes Kaiser · 14.12.2015
Die norwegische Komponistin und Saxofonistin Mette Henriette kommt aus der improvisierten Musik. So hat sie viele neue Ideen und Klangvorstellungen entwickelt. Jetzt hat sie ein ungewöhnliches und vielversprechendes Debüt-Album veröffentlicht.
Sanfte Saxofontöne aus dem hohen Norden, umrahmt von Klavier und Cello. Eine ungewöhnliche Trioformation, zusammengestellt von der 25-jährigen norwegischen Saxofonistin Mette Henriette Martedatter Rølvåg, zu finden auf ihrem Debüt-Doppelalbum, schlicht "Mette Henriette" betitelt.
Es ist erstaunlich, wie viele exzellente junge Jazzmusiker und –musikerinnen das kleine Norwegen schon seit Jahren präsentiert. Mette Henriette jedenfalls bringt alle Voraussetzungen mit, eine überragende Saxofonistin mit eigenem Ton zu werden. Dabei entdeckte sie ihr Instrument eher zufällig.
"Ich war ein Kind, das Abenteuer suchte. In meiner Kindheit zog meine Familie in den Ferien und an den Wochenenden in die Berge und Fjords. Wir haben Äste abgeschnitten und daraus Flöten gemacht und ich habe auf Küchentöpfen und Pfannen herumgetrommelt.
Mit acht Jahren begann ich dann in der lokalen Blaskapelle Trompete zu spielen und nach ein oder zwei Jahren, in denen ich Trompete oder Kornett gespielt hatte, entdeckte ich in der Wohnung meiner Tante ein Altsaxofon. Ich weiß nicht, was mit mir geschah, als ich dieses Instrument ergriff, aber ich begriff, dass es etwas ganz Besonderes war und ich beschloss, dieses Instrument zu erlernen und zu sehen, wohin es mich bringt."
Lehrjahre in der Jazzszene Trondheims
Es hat Mette Henriette frühzeitig mitten in die lebendige Jazzszene Trondheims gebracht. Zuerst allerdings nahm sie Saxofonunterricht bei einem Lehrer, der gerade die Jazzakademie in ihrer Heimatstadt absolviert hatte. Bei ihm entdeckte sie mit 15 den Jazz und verfiel ihm. Doch schon frühzeitig zeigte sich im Unterricht, dass sie ganz eigene Ideen davon hatte, wie man Jazz spielen sollte.
"Das war für mich eine großartige Erfahrung, denn mein Lehrer war sehr streng, hatte viel Erfahrung und eine sehr klare Position. Wir hatten bisweilen intensive Diskussionen und haben dann einen Kompromiss gefunden. Ich habe gemacht, was er mir gesagt hat, und alles, was ich machen wollte, habe ich zusätzlich gemacht. Das war gut, denn ich setzte mich schon sehr frühzeitig damit auseinander, was ich mit der Musik anfangen wollte: ob ich andere imitieren oder meine eigene Stimme finden wollte."
Da Mette Henriette wenig davon hielt, Jazzstandards in traditioneller Form nachzuspielen, suchte sie den Kontakt zur Trondheimer Improszene, wurde bald selbst zur gefragten Improvisatorin. Wer die Stücke auf ihrer Debüt-Doppel-CD hört, wird rasch feststellen, dass die junge Saxofonistin tatsächlich viele Konventionen abgestreift hat und gerne experimentiert.
Ausprobieren neuer Saxofon-Klänge
Insbesondere auf der ersten CD mit Trio-Musik probiert sie in 15 kurzen Stücken viele Wege aus, dem Saxofon Klänge zu entlocken. Mal bläst sie einfache Melodielinien, mal Obertöne, dann wieder lässt sie das Saxofon stöhnen und röcheln. Man hört leise Atemgeräusche, sie haucht nur in das Mundstück oder sie benutzt die Saxofonklappen wie ein Percussion-Instrument. Viele dieser Miniaturen beginnen mit ähnlichen Melodiephrasen, um dann einen jeweils anderen Weg einzuschlagen.
"Was auch immer für Klänge ich auf dem Saxofon erzeuge, sie entstehen im Moment, wenn ich zuhöre und reagiere. Es geht darum, mit dieser besonderen Klanglandschaft von Cello und Klavier zu verschmelzen. Wenn ich meine Augen schließe und zuhöre, spiele ich mal etwas Komplementäres, mal möchte ich eine Ebene zwischen Cello und Klavier legen, manchmal möchte ich das Gegenteil von dem machen, was sie spielen. Ich reagiere direkt und intuitiv. Das kommt nicht vom Kopf oder von meinen Fingern. Ich höre der Musik zu und folge meinem Herzen."
Eigene Kompositionen für das Streichquartett
Während ein solches Zusammenspiel im Trio ziemlich problemlos klappt, wenn man sich gut kennt, und das ist hier der Fall, so erfordert ein größeres Ensemble doch viel Vorbereitung und richtiges Notenmaterial. Mette Henriette hat denn auch über den Kompositionen für die zweite CD lange gebrütet, bis sie schließlich wusste, was ihre zwölf Ensemblemitglieder spielen sollten, insbesondere das Cikada-Streichquartett, immerhin ein klassisches Ensemble.
"Ich musste lernen, wie ein Streichquartett funktioniert und ein Bandoneon und eine Säge und all diese anderen Instrumente, mit denen ich niemals zuvor zusammen gespielt oder gearbeitet habe. Manchmal brachte ich eine Partitur zum Streichquartett mit Noten mit, die sie gar nicht spielen konnten oder Sachen, die keinen Sinn ergaben. Aber sie haben einfach darüber gelacht. Ich habe dann erklärt, was ich vorhabe und das hat ihnen eingeleuchtet. Es war einfach ‚learning by doing‘. Ich habe dieses Ensemble ausgesucht, weil das die Klänge waren, die ich in meinem Herzen gehört habe."
Auch wenn Mette Henriette ihrem Ensemble Noten vorgelegt hat, so war sie doch stets offen für Änderungsvorschläge und ließ ihren Musikern Raum für eigene Ideen. So sind insgesamt 20 teilweise sehr kurze Stücke, Miniaturen gleichsam, entstanden, oft feingliedrig strukturiert, die manchmal singbare Melodien und Balladeskes vorzeigen, manchmal mit schreiendem Blech, wilden Saxofonlinien auftrumpfen, dann wieder extrem zart und elegisch beginnen, oft Klangkontraste anbieten.
Ein ungewöhnliches, vielversprechendes Debütalbum.

"Mette Henriette"
Doppel-CD, ECM Records
München 2015, 24,99 Euro

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