Verkehrsmetaphern und Politik

Die Ampel ist unschlagbar

Eine Langzeitbelichtung einer Ampel bei Nacht, die in allen Phasen  Rot, Gelb und Grün leuchtet.
Die Ampelkoalition ist eine Steilvorlage für politische Verkehrsmetaphern, meint Paul Stänner. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Beobachtungen von Paul Stänner · 07.01.2022
Sprachbilder sind wichtig im politischen Leben. So gesehen war die Ampel eine sehr gute Wahl, findet Autor Paul Stänner: Denn sie bietet Beobachterinnen und Kommentatoren der Regierungspolitik schier endlose Möglichkeiten.
Wir haben eine neue Regierung, eine Ampel-Koalition. Das ist gut, die GroKo war auserzählt. Wobei da ohnehin nie viel zu erzählen war und nicht einmal die Rede vom "Grokodil" richtig zündete.
Schwarz-Gelb gab außer Analogien zu Borussia Dortmund auch nicht viel her. Da klangen das bunte Jamaika und die dreifarbige Deutschlandkoalition schon vielversprechender.
Eine Ampel allerdings ist unschlagbar. Sie eröffnet den endlosen Bereich der Verkehrsmetaphern, das heißt Berichterstattung ohne angezogene Handbremse, ohne Tempolimit, ohne Helm und ohne Gurt. Das könnten vier „Super“-Jahre werden – natürlich bleifrei.
Wir werden von dem unglücklichen Anton Hofreiter hören, der kein Minister wurde – nun stehen er und die Linken bei den Grünen auf der Standspur und kommen nicht recht voran.

Wer hat die Vorfahrt?

Gleich stellt sich die Frage nach der Vorfahrt: Wer hat sie, wer bekommt sie? Bei den Grünen auf jeden Fall die Realos. Und die drei von der Ampel: Vorfahrt für Rot oder Gelb oder Grün? Oder werden sie alle gleichzeitig losrasen wie junge Testosteronpiloten beim illegalen Autorennen.
Wer diese Metapher gewählt hat, wird auch diese nehmen: Spätestens nach einem halben Jahr werden wir feststellen, wer von den drei Regierungspartnern auf der - jawohl! - Überholspur unterwegs ist.
Was ist noch im Werkzeugkasten der Metaphern? "Geisterfahrer" werden die Kritiker der Regierungskoalition rufen – die von der Opposition und die von der Presse.
Der Geisterfahrer wird unvermeidbar "falsch abgebogen" – das wäre die „Metapher der Wahl“ für einkassierte Wahlversprechen. Darauf wird sofort mit dem Begriff der "Pop-up-Staatskunst" gekontert werden: Das sind Pop-up-Radwege auf politischer Ebene, bei der schnell mal improvisiert wird, was eigentlich durchkonstruierte Führung hätte sein sollen.

Metapher-Korso im Wendehammer

"Mautpflichtig" – dieses Adjektiv wird irgendwann notwendig die Politik von Finanzminister Lindner treffen, weil der Steuerzahler abdrücken muss. Seit Andreas Scheuer ist dieses Wort so gefährlich für eine Karriere wie sonst keines.
Gegen diese Bedrohung wird Finanzminister Lindner, der sich jetzt schon als der Realist gegen grüne Träume inszeniert, den Titel "Chef-Mechatroniker der Staatskarosse" für sich beanspruchen. Weil er die Steuerausgaben, sprich: den Spritverbrauch drosseln muss.
Natürlich wird, wenn die Drei-Farben-Regierung eine gewisse Strecke gefahren sein wird, in der Politik wie in der Presse diskutiert werden, wer hier eigentlich am Steuer sitzt und wer Beifahrer ist. Eine Variante von Gerhard Schröders ruppigem Koch-Kellner-Diktum, eingekleidet in ein neues Gewand beziehungsweise eine neue Karosserie.
Wer steht auf der Bremse? Eigentlich kann man jetzt schon sagen, welches schlichte Blatt mit dieser Schlagzeile aufmachen wird. Von da an steht der Metapher-Korso für alles offen: Wer über die Verkehrswende spricht, wird sicher schnell darauf kommen, dass dieses Manöver in einem Wendehammer stattfindet. Und je nach Fahrkunst wird daraus fix eine Sackgasse.
Vermutlich wird auch wieder ein Freund der politischen Floskel schreiben, die Regierung "drücke auf das Tempo" - in dem Glauben, damit habe er eine Beschleunigung beschrieben. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wer (von oben) auf das Tempo drückt, hindert das Tempo daran, anzusteigen – und also wird die Sache langsamer. Aber auch dieser traditionelle Gemeinplatz ist schon zu beliebt, als dass die Kollegenschaft auf ihn verzichten wird.

Rhetorischer Treppenwitz für die Grünen

Dass ausgerechnet die Ampel-Regierung mit den angeblich autofeindlichen Grünen unter Verkehrsmetaphern wird leiden müssen, ist ein Treppenwitz der politischen Rhetorik. Schon jetzt wissen wir, dass irgendein bildertrunkener Journalist oder seine Kollegin schreiben wird, bei der Ampel sei eine Birne ausgefallen, weil entweder die Roten oder die Grünen oder die Gelben nicht hell genug strahlen.
Kurz darauf wird dann rhetorisch die Ampel demontiert und durch einen Kreisverkehr ersetzt, wie man es häufig auf dem flachen Land erlebt. Das nennt man dann Neuwahlen, weil der Kreisverkehr wie eine Parteienwählscheibe erscheint.
Aber ups! Kreisverkehr? Wählscheibe? Das war ein Bildbruch. Was soll‘s? Ist ja nur Politik.

Paul Stänner wurde in Ahlen in Westfalen geboren, hat in Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte studiert. Er arbeitet als Rundfunkjournalist und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Agatha Christie in Greenway House“.

Paul Stänner im Porträt
© Deutschlandradio / Paul Stänner
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