Messias-Glaube bei Juden und Christen

Warten auf den Erlöser

"Christus, der Erlöser" - Monumentale Statue im Süden von Rio de Janeiro in Brasilien auf dem Berg Corcovado
"Christus, der Erlöser" - Monumentale Statue im Süden von Rio de Janeiro in Brasilien auf dem Berg Corcovado © imago/Aurora Photos
Von Kirsten Dietrich · 15.02.2019
Kommt er noch? Oder war er schon da? In der Messias-Frage unterscheiden sich Christen und Juden sehr. Christen halten Jesus von Nazareth für den Messias. Die allermeisten Juden dagegen hoffen auf den Erlöser in der Zukunft.
Eines ist sicher: König David wurde gesalbt. Und vor ihm König Saul. Als Zeichen der Königswürde. Propheten verliehen die Würde in Gottes Auftrag. Der Messias ist der Gesalbte: Die Wortbedeutung ist so ziemlich das einzige, worüber sich Christen und Juden in Sachen Messias einig sind.
Tzoref: "Das Wort 'Messias' ist eigentlich ein Adjektiv: ein Gesalbter. In biblischen Zeiten wurden Könige gesalbt oder Priester, an einer Stelle wird von einem gesalbten Propheten berichtet. Es war einfach Teil eines Einsetzungsprozesses innerhalb der monarchischen Strukturen von Königen, Priestern und Tempel."
Markschies: "Im babylonischen Exil entsteht die Hoffnung, dass es mit dem Land Israel, mit dem Volk Israel nicht aus ist, sondern dass Gott einen Retter schickt, einen verheißenen. Und der heißt der Gesalbte - Meschiach, Messias, griechisch: Christus."
Das babylonische Exil: Das war die traumatische Erfahrung im 6. Jahrhundert vor unserer Zeit, als die Eigenstaatlichkeit verloren ging und große Teile der Bevölkerung zwangsweise umgesiedelt wurden. In dieser Zeit der Machtlosigkeit träumten die Judäer von einem Retter, einem König, von einem wie König David.

Gesalbt oder göttlich - die Konzepte sind unterschiedlich

Doch wer könnte dieser sagenumwobene Messias sein? An dieser Frage scheiden sich die Geister zwischen Christen und Juden.
Christoph Markschies, evangelischer Theologe: "Wenn Sie einen christlichen Theologen fragen: War Jesus der Messias? Dann sagt der: Ja, er war es, mindestens für die Christenmenschen."
Wer ist der Messias? Im Judentum ist die Antwort nicht so klar. Das heißt, eines ist klar: Jesus Christus ist es sicher nicht, das glaubt nur die winzige Splittergruppe der messianischen Juden.
"Die Göttlichkeit Jesu – also die Göttlichkeit der Person des Messias - ist nicht der einzige, aber für mich der entscheidende Unterschied."
So die jüdische Theologin Shani Tzoref.
"In der Hebräischen Bibel gibt es gesalbte Personen, aber es gibt keine Stelle, die klar sagt: Das hier ist der Messias."
Jes 11,6 - Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten.

Hoffnungen und Ideale konzentrierten sich auf eine Person

Das Konzept des Messias, des von Gott erwählten Retters, ist erst relativ spät im biblischen Denken entstanden. Als der Tempel zerstört war und das Volk Israel verstreut und ins Exil gezwungen wurde, reagierte es damit auf die Frage nach der Rettung, sagt die jüdische Theologin Shani Tzoref.
"Die Idee des Messias entstand nicht mit Blick auf diese eine besondere Person, sondern sie war Teil einer Wiederbelebung von Gemeinschaft und Nation. In der Zukunft sollte wieder entstehen, was man als eine Zeit der Autonomie erinnerte, als man näher bei Gott war, und all diese Hoffnungen und Ideale konzentrierten sich mit der Zeit auf eine Person."
In den Schriftrollen der Gemeinschaft von Qumran am Toten Meer kann deswegen noch von zwei Gesalbten die Rede sein, zwei Messias-en, auch wenn der Plural heute seltsam anmutet – das ist nicht sensationell, damit ist nur gemeint, dass ein künftiges, wieder aufgebautes Israel königliche und priesterliche Herrschaft haben soll.
Spätestens mit der Zerstörung auch des zweiten, wieder aufgebauten Tempels im Jahr 70 unserer Zeitrechnung verschob sich der Schwerpunkt des messianischen Denkens: weg von einem konkreten System politischer und geistlicher Herrschaft, hin zu einem von Gott gesandten Retter, sagt Shani Tzoref.
"Der Messias, der Sohn Davids, wird kommen und großartige Veränderungen der Gesellschaft ankündigen. Es wird debattiert, was das genau bedeutet: entweder das Zurückgehen zu dem, was einst war, oder eine völlige Veränderung der Welt und allen Lebens."
Markschies: "Am Anfang ist der Messias ein König, das merkt man noch im Neuen Testament, weil sich das Evangelium des Matthäus erhebliche Mühe gibt, nachzuweisen, dass Jesus aus dem Geschlecht Davids stammt."
Mt 1,1 - Dies ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.

Wo bleibt die radikale Wendung zum Guten?

Markschies: "Das Besondere an der christlichen Messiaserwartung ist diese Mischung aus schon gekommen und noch nicht da. Der Advent ist so eine Zeit, wo wir warten, und es ist klar, wir warten auf erneute Ankunft dessen, der schon gekommen ist, in Bethlehem, im jüdischen Lande, wie es in unserer Bibel heißt, und man muss ein wenig schauen und sensibel beobachten, wo weihnachtlich die Welt anders geworden ist."
Denn auch wenn das Christentum seinen Messias erkannt hat: Die versprochene radikale Wende der Welt zum Besseren ist offenkundig noch nicht geschehen.
Markschies: "Den Messias erkennt daran, dass die Welt nicht mehr so ist, wie sie vorher war."
Im Warten treffen sich dann jüdischer und christlicher Glauben wieder.
Für viele Jüdinnen und Juden motiviert die Hoffnung auf das Kommen des Messias alles Handeln. Wobei auch hier die jüdische Praxis vielfältig ist, sagt Shani Tzoref.
"Im progressiven Judentum sagt man: Lasst uns nicht um den Messias beten, sondern lasst uns messianische Qualitäten in unsere Welt bringen. Und irgendwie passt das sogar mit meiner sehr orthodoxen Erziehung zusammen, dass ich etwas tun kann, um den Messias zu bringen. Das nannte man natürlich nicht so, es sollte ein Umsturz allein durch Gott sein – aber meine guten Taten sollten ihn auslösen."
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