Mahner und Gotteskünder

Von Kirsten Westhuis · 14.07.2012
Sie sprechen im Auftrag Gottes, verkünden seinen Willen, prangern Missstände der jeweiligen Zeit an: Propheten sind ein verbindendes Element der drei abrahamitischen Religionen. Bei den Muslimen etwa gilt auch Jesus als Prophet. Doch wie weit gehen die Gemeinsamkeiten wirklich?
Bongardt: "Abraham, Mose, David, Elia; Propheten treten immer auf mit dem Anspruch, im Namen Gottes zu sprechen."

Hamdan: "Für die Muslime sind alle Propheten von der Position her gleich. Wir verehren alle Propheten, von Adam bis zum Propheten Mohammed. Sie werden von Allah ausgewählt und mit der Offenbarung, mit der Prophetie, beauftragt."

Khorchide: "Die wichtigste Rolle der Propheten ist, dass sie Vorbilder sind. Sie leben das, was sie verkünden."

Wenn die muslimischen Theologen Mouhanad Khorchide und Omar Hamdan sowie der katholische Theologe Michael Bongardt über Prophetie sprechen, dann wird schnell deutlich: ein Prophet kommt selten allein.

Das ist bei den Muslimen nicht anders als bei den Juden oder den Christen. Propheten sind ein verbindendes Element der drei abrahamitischen Religionen. Und sie haben auch die Musik über Jahrtausende inspiriert - bis zur italienischen Oper oder dem zeitgenössischen Reggae.

Der Islam, also die jüngste der drei Religionen, kennt und ehrt alle vorangegangenen Propheten, erklärt der Religionswissenschaftler Bertram Schmitz von der Uni Jena:

"Grundsätzlich geht der Islam davon aus, dass alle biblischen Propheten anerkannt werden. Jona, Abraham, Adam, Noah, usw. - dass alle diese Propheten anerkannt werden. Wobei Jesus in die Reihe der Propheten mit eingeordnet wird. In dem Sinne sagt der Koran: Alles, was damals auch den Juden verkündet wurde, ist grundsätzlich wahr, es hat nur eine leichte Verfälschung bekommen, von daher werden die Propheten anerkannt."

Alle Propheten geben das Wort Gottes weiter – nur sei das in den damaligen Umständen der Geschichte nicht richtig gedeutet worden, so die islamische Auffassung. Erst mit dem Koran sei endgültig Klarheit gekommen, erläutert der Tübinger Koranwissenschaftler Omar Hamdan die Ansicht der Muslime:

"Der Koran als Gottes Wort bestätigt die vorherigen monotheistischen Religionen Judentum und Christentum. Die Thora ist eine Heilige Schrift, genauso wie das Evangelium. Islamisch-theologisch gesehen ist der Koran an sich im Grunde die 'last version' der vorherigen Versionen."

Propheten - egal von welcher religiösen Warte aus betrachtet - haben eine Botschaft im Gepäck. Sie sprechen im Auftrag Gottes, verkünden seinen Willen und meistens prangern sie dabei Missstände der jeweiligen Zeit an, beschreiben Mouhanad Khorchide und Michael Bongardt den prophetischen Auftrag:

"Sie verkünden auch soziale Botschaften: Gerechtigkeit, Gleichheit in den Gesellschaften."

"Sie fordern etwa ein: mehr Gerechtigkeit, den Einsatz für Arme. Sie fordern ein, dem Kult nicht zu große Bedeutung zu geben, sondern dem praktischen Leben mehr Bedeutung zu geben, um nur einige wenige Dinge zu benennen."

Diese ethisch-moralische Dimension sei aber nur ein Teil der prophetischen Botschaft, betonen Theologen beider Religionen:

"Eigentlich besteht die Botschaft aus einem zentralen Element: Die Menschheit soll dem Herrn dienen, Allah. Es gibt nur einen Gott und dem sollen sie dienen."

"Sie setzen voraus, dass es Gott gibt. In monotheistischen Religionen schärfen sie ein, dass es nur einen Gott gibt, aber mehr Gottesaussagen gibt es eigentlich kaum."

Ein Beispiel für die Verkündigung des einen Gottes ist die Geschichte des Propheten Elija. Seinen Kampf gegen die Vielgötterei und den Götzendienst der Menschen vertonte Felix Mendelssohn-Bartholdy zum Elias-Oratorium.

Von Elija wird im Alten Testament im ersten Buch der Könige berichtet. Im neunten Jahrhundert vor Christus kämpfte er gegen den Baalskult in Israel. Er wurde angefeindet, verfolgt und musste sich gegen die mächtigen Herrscher des Landes behaupten.

Auch im Koran wird von diesem Propheten erzählt. "Wollt ihr denn zu Baal beten?" – heißt es in der Sure 37, wo Elijas Einsatz für den Glauben an den einen Gott beschrieben wird. An anderer Stelle wird er im Koran als "einer der Rechtschaffenen" bezeichnet.

Elija scheint eine Art Universalprophet zu sein, für Katholiken und Orthodoxe ist er sogar ein Heiliger. Die Mormonen glauben, dass er im 19. Jahrhundert wiedergekehrt sei. Und die Bahai betrachten ihren Religionsstifter als Wiedergeburt des Elija.

"Einerseits der Ruf zum Glauben an den einen Gott und andererseits diese Vorbildfunktion für die Vervollkommnung des Menschen. Das ist die Schnittmenge zwischen allen Religionen, was Prophetie betrifft."

Die Propheten geben ein gutes Beispiel für die Lebensführung des Einzelnen, sagt Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Uni Münster. Deswegen werde im Koran viel aus ihrem vorbildlichen Leben berichtet.

"Darum geht es in der Religion. Die Religion ist da, als Hilfe für die Vervollkommnung des Menschen. Also Propheten sind nicht da, um uns Menschen zu bevormunden oder uns irgendwelche Gesetze vorzuschreiben. Sie sind da, um in ihrer Lebensführung zu zeigen, wie der Mensch als vollkommener Mensch sein kann."

Als ein vorbildlicher Mensch gilt für die Muslime Jesus. Er gehört bei ihnen zur Reihe der Propheten. Genau wie diese, habe er den Glauben an den einen Gott verkündet, sagt Mouhanad Khorchide:

"Jesus wird im Koran nicht als Sohn Gottes gesehen. Deshalb gibt es hier schon einen klaren Unterschied zum christlichen Glauben, dass Jesus nicht als etwas Göttliches, nicht als Offenbarung Gottes gesehen wird, sondern nur als Mensch und Verkünder einer Botschaft."

Für die Christen spielt das Prophetenamt Jesu kaum eine Rolle. Der Religionswissenschaftler Bertram Schmitz sieht hier Verständigungsprobleme zwischen den Religionen. Denn Muslime seien der Auffassung, dass Christen an Jesus glaubten, an Jesus als Propheten:

"Jesus war nie Prophet für das Christentum gewesen, sondern immer Sohn Gottes. Und so versteht das Christentum sich selbst. Das ist kein Nebenproblem. Da würden Muslime vielleicht sagen: `Wenn denn dieser Glaube an Jesus als Christus als Gottessohn, wenn der weg wäre, dann könnte man gut diskutieren.` Aber es ist genau umgekehrt: Das ist das Hauptthema des Christentums, dass Jesus der Christus ist."

"Umgekehrt denken die Christen vielleicht, `wenn man im Islam nicht mehr davon ausgeht, dass der Koran die wahre Offenbarung Gottes ist, dann können wir gut miteinander sprechen`. Aber das ist kein Nebenthema, das ist deren Hauptthema: Der Koran ist wahre Offenbarung Gottes und darauf basiert der ganze Islam."

Die "Hymne auf den Propheten Muhammad" ist ein Lobgesang – geschrieben im 13. Jahrhundert von Jalaluddin Rumi, einem der wichtigsten Dichter und Lehrer islamischer Mystik.

Mohammed gilt den Muslimen nicht als Gott oder göttlich, im Gegenteil, es wird im Koran immer besonders betont, dass er ein normaler Mensch gewesen sei, der auf den Markt ging und eine Familie hatte. Aber er erhielt nach islamischem Glauben die Offenbarung – den Koran. In der Reihe der Propheten wird Mohammed als der Gesandte Gottes in besonderer Weise hervorgehoben: er gilt als "das Siegel der Propheten", wie es in der Sure 33 geschrieben ist, erläutert Koranwissenschaftler Omar Hamdan:

"Wenn wir sagen, der Prophet Mohammed sei das 'Siegel der Propheten', dann heißt das: Er schließt die Reihe der Propheten ab. Dann kommt keiner nach ihm, keiner kommt und bringt mit sich eine heilige Schrift. Und daher ist der Koran an sich das Siegel der heiligen Schriften. Der Islam, nach dieser Regelung, ist das Siegel der monotheistischen Religionen."

Dass die Prophetie mit Mohammed abgeschlossen ist, sei eine Aussage über das Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung, erläutert der Theologe Mouhanad Khorchide. Zu Beginn der Menschheit habe Gott häufiger direkt in die Geschichte eingegriffen, indem er seine Propheten sandte.

"Mit dem Abschluss der Prophetie, mit Mohammed, heißt es, dass Gott sich etwas mehr zurückgezogen hat, als Zeichen der Reife der Menschheit, weshalb die Menschheit keine Propheten mehr braucht. Weil wir so weit sind, um aus unseren Erfahrungen und anderen Berichten anderer Propheten auch zu lernen."

Mit der Offenbarung des Korans durch Mohammed ist für die Muslime theologisch alles gesagt. Genau wie Jesus, der Messias, für die Christen Ziel ihres Glaubens ist. Diese beiden zentralen Figuren sind also grundlegend für den jeweiligen Glauben, sagt Michael Bongardt:

"Können Christen Mohammed als den großen Propheten anerkennen, als den Muslime ihn sehen und können umgekehrt Muslime Jesus in all seinen Bedeutungen als den Christus der Christen ansehen? Das sind zwei grundsätzliche, religiöse Optionen, der Islam und das Christentum, die man nicht vermischen kann. Man kann nicht gleichzeitig Mohammed als den letztgültigen Propheten ansehen und sagen: Das, was Christen von Christus glauben, glauben wir auch noch oder umgekehrt, das geht nicht."


"Es hat natürlich, religionswissenschaftlich von außen betrachtet, immer wieder Propheten gegeben. Die zum Beispiel die Religion der Bahai gegründet haben. Und das ist dann wieder eine neue Religion. Die dann sagt `jetzt haben wir den letzten Propheten, danach ist keiner mehr gekommen`, und dann kommen welche, die sagen: wir haben noch einen, wir haben noch einen, wir haben noch einen."

Für Muslime ist der Begriff der Prophetie eindeutig definiert und mit Mohammed abgeschlossen. Für Christen ist die biblische Prophezeiung mit Jesus Christus erfüllt, aber sie hätten Jesus nie als ihren letzten Propheten bezeichnet, sagt Michael Bongardt. Deswegen sei es für Christen auch nicht so schwer, den Begriff der Prophetie zu weiten und auch prophetisches Reden und Wirken nach Jesus zuzulassen.
So sieht er auch heute noch Beispiele für prophetisches Wirken, zum Beispiel bei den lateinamerikanischen Befreiungstheologen aus dem vergangenen Jahrhundert:

"Ernesto Cardenal, Oscar Romero, Leute, die in der politische Auseinandersetzung als Christen ihre Stimme erhoben haben und sehr konkrete ethische, politische Forderungen hatten, mit der Betonung, dass die konkreten Zustände deshalb überwunden werden müssen, weil sie dem Willen Gottes nicht entsprechen."

Auch wichtigen Kirchenkritikern würde Michael Bongardt durchaus prophetische Züge zusprechen, sagt er. Er nennt als Beispiel Franz von Assisi, den Ordensgründer, der die Kirche im 12. Jahrhundert stark kritisierte. Und einen Prophetentitel würde der katholische Theologe auch Martin Luther zugestehen. Er habe zu seiner Zeit Prophetisches gesagt, auf Missstände hingewiesen und versucht, ein Korrektiv für seine Kirche zu sein.

In der Taufliturgie in der katholischen Kirche wird bis heute jeder Täufling mit dem Chrisam-Öl zum König, Priester und Propheten gesalbt. Wenn jeder zum Propheten wird, verwässere das natürlich den Begriff der Prophetie, räumt der katholische Theologe Bongardt ein. Aber die Salbung zum Propheten sei hier ein Auftrag an jeden einzelnen Menschen – genauso wie die Propheten im Islam einen Auftrag für die Menschen überbringen:

"Jeder ist in seinem je eigenen Lebenskontext dazu aufgerufen, kritisch seine Gegenwart zu sehen, sie mit dem, was er selber als Wille Gottes erkannt hat und für wichtig hält, zu vergleichen und da, wo es sinnvoll und nötig ist, eben die Stimme zu erheben, Unrecht anzuprangern, zu versuchen, für Gerechtigkeit einzutreten."

"Das ist eigentlich heute Aufgabe nicht nur der Theologie, auch der Moscheegemeinde, der Kirchen auch, uns an den ursprünglichen Auftrag der Propheten zu erinnern: die Vervollkommnung des Menschen. Gott will, dass wir als reife Menschen zu ihm kommen und in Freiheit für das Gute entscheiden."
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