Menschliche Ignoranz

Tiere haben ein Bewusstsein und Gefühle

04:20 Minuten
Scheue Ferkel in einem etwas älteren Tierstall mit grünem Plastikboden.
Das Leid der Tiere kümmert uns wenig, und das nennen wir auch noch Hochkultur, sagt Florian Goldberg. © picture alliance / Countrypixel / FRP
Überlegungen von Florian Goldberg · 03.05.2021
Audio herunterladen
Wir behandeln Tiere wie Dinge, die uns zum Verbrauch zur Verfügung stehen, meint Florian Goldberg. Mittlerweile gibt es aber so viele Erkenntnisse über das Verhalten von Tieren, dass wir im Umgang mit ihnen viel weiter sein müssten, sagt der Philosoph.
Als ich zur Schule ging, wurde uns im Biologieunterricht noch eingeschärft, dass Tiere nichts weiter als eine Reihe angeborener Instinkte besäßen. Gefühl und Bewusstsein? Fehlanzeige. Alles nur Projektion. Das war eigentlich schon damals überholt und ist es heute erst recht.
Pottwale, die sich über die Bedrohung durch den Menschen über die Weltmeere hinweg verständigen und ihre Verteidigungsstrategie ändern. Ein Pferd, das kranke Menschen identifiziert und ihnen in ihrer letzten Lebenszeit beisteht. Schweine, die mit Rüssel und Joystick Videospiele steuern, sofern es was bringt, nämlich ein Leckerli zur Belohnung.
Sperlingspapageien, die jedem ihrer Küken eigene, gezwitscherte Namen geben. Nur ein paar Beispiele nicht-menschlichen Bewusstseins, die mir in den letzten Wochen unterkamen. Allesamt aus wissenschaftlichen Studien. Es gibt unzählige weitere, sobald man anfängt, danach Ausschau zu halten. (Wobei es auch reicht, sich auf eine beliebige Katze einzulassen.)

Tiere werden als Verbrauchsgut betrachtet

Was in aller Welt hat uns glauben gemacht, wir Menschen hätten als "Krone der Schöpfung" so eine Art Alleinstellungsmerkmal und damit Sonderrechte? Zum Beispiel die Religion, schon klar. Besonders der Monotheismus hat der Anthropozentrik eine tiefe Bresche geschlagen. Aber auch die Philosophie hat tüchtig mitgemischt, zumal im Westen.
Descartes ist so ein Kandidat, der mir einfällt. Im "Discours de la Méthode" verwendet er viel Mühe darauf zu zeigen, dass Tiere nichts weiter als komplizierte, aber dumme und gefühllose Automaten sind, die wir kraft unserer vernünftigen Seele so überragen, dass sich jeder Vergleich verbietet.
Spinoza ist ein weiterer, bei aller Liebe. In seiner Ethik erklärt er es für unser gutes Recht, uns der Tiere "nach Belieben zu bedienen und sie so zu behandeln, wie es uns am besten passt, da (…) ihre Affekte von den menschlichen von Natur verschieden sind". Oder Fichte, der Tiere in seiner Naturrechtslehre ausschließlich unter Aspekten der Brauchbarkeit für den Menschen betrachtet. Natürlich gab es immer Gegenstimmen.
Voltaire, Bentham, auch Schopenhauer, ausgerechnet. Zu sehr vom Buddhismus berieselt, der alte Miesepeter, um nicht ernste Anzeichen von Mitgefühl für alle Kreatur zu entwickeln. (Sein Pudel war ihm allerdings lieber als seine Mitmenschen.) Ein jüngeres Beispiel wäre der australische Ethiker Peter Singer, der analog zum "Rassismus" den Begriff des "Speziesismus" in die Debatte eingebracht hat.

Das Leid der Tiere kümmert uns wenig

Aber im kollektiven Bewusstsein blieb im Großen und Ganzen folgende Gleichung haften: Tiere kriegen kein vernünftiges Wort heraus, also sind sie doof und wir dürfen mit ihnen tun, was wir wollen, vor allem sie verspeisen, sofern wir sie lecker finden. Sie zu jagen und gleich zu töten oder massenhaft einzusperren und irgendwann zu töten, bereitet uns kein sonderliches Kopfzerbrechen.
Bis heute nicht. Wobei wir es im Allgemeinen vorziehen, wenn andere das für uns erledigen und sie dann appetitlich in Plastik verpacken. Das halten wir für irgendwie akzeptabel. Ihr Leid kümmert uns wenig. (Wir stehen ja schon dem eigenen ziemlich ignorant gegenüber.)
Das nennen wir: Hochkultur. In unseren sentimentaleren Momenten fragen wir uns, ob es da draußen im Weltall noch anderes intelligentes Leben gibt. Wenn ja, wie würden wir es erkennen? Welche Formen von Sozialität würde es erschaffen haben? Wie würden wir mit ihm kommunizieren? Science-Fiction, wie aufregend! Dabei übersehen wir, dass dieses nicht nur intelligente, sondern auch empathische Leben in Form von Walen, Kraken, Pferden usw. schon immer um uns und mit uns existiert und kommuniziert.

Für Aliens wären wir die Schafe

Manchmal fantasiere ich: Was, wenn plötzlich außerirdische Wesen von so andersartiger Intelligenz auf der Erde landeten, dass sie unser menschliches Bewusstseins gar nicht erst als solches wahrnehmen würden? Für sie wären wir neben Schafen, Kühen und Schweinen einfach irgendwelche weiteren blöden, vor sich hin blökenden Geschöpfe.
Aber lecker. Dumm gelaufen.

Florian Goldberg, geboren 1962, hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht. Im Künstlerduo "tauchgold" entstehen zusammen mit Heike Tauch Hör- und Bühnenstücke.

© Anke Beims
Mehr zum Thema