Memes zur Kapitol-Erstürmung

Wenn Denkmuster plötzlich Mainstream werden

08:14 Minuten
Trump-Unterstützer mit US- und Trump-Flaggen stehen im Kapitol.
Unzählige Memes über den Sturm auf das Kapitol werden aktuell in den Sozialen Medien geteilt. © AFP / Saul Loeb
Berit Glanz im Gespräch mit Katja Bigalke und Martin Böttcher · 16.01.2021
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Der Schamane mit Büffelkopf bleibt im Gedächtnis. Es ist eines der Bilder, die als Memes von der Kapitol-Erstürmung massiv geteilt werden. Nicht alle seien harmlos, meint Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz. Sie wünscht sich mehr Medienkompetenz.
Zehn Tage ist der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington her. Hunderte, viele von ihnen Teil der radikalen Rechten in den USA, drangen in das Parlamentsgebäude in Washington ein, um die formale Bestätigung von Joe Biden als Sieger der Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Das war aber nicht das einzige Ziel. Es ging offenbar auch darum, eindrucksvolle Bilder zu erzeugen.
Der Schamane mit dem Büffelkopf, der Mann, der sich ein Rednerpult geschnappt hat oder die Frau, die weinend erzählt, dass sie doch nur das Kapitol stürmen wollten und dann mit Tränengas vertrieben wurden. Es sind Bilder, die hängen bleiben, vor allem auch weil sie massiv geteilt werden.
"Man begegnet denen dann natürlich in seiner Timeline immer wieder, mit irgendwelchen witzigen Kommentaren oder irgendwo rein gephotoshoped. Also gerade dieser Mann mit diesem Rednerpult eignet sich natürlich ganz hervorragend, um ihn aus dem Originalbild rauszuziehen und dann irgendwo anders langlaufen zu lassen", sagt die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz.

Großes Bewusstsein für Wirkmächtigkeit der Bilder

Wie sind diese im Netz so zahlreich geteilten Memes zu bewerten? Wirken sie verharmlosend oder gehört das nun einmal zum Verarbeitungsprozess im Social-Media-Zeitalter dazu?
Berit Glanz glaubt, dieses kreative Spiel habe auch eine entlastende Funktion, sieht jedoch ein Problem. "Die Leute, die dieses Kapitol stürmen, die wissen, was sie tun. Die Wahl von Trump 2016 wurde ja schon als 'Great Meme War' bezeichnet. Die radikalisieren sich und mobilisieren sich eben in Message Boards, wo Meme Culture ein entscheidender Part ist." Sie hätten ein großes Bewusstsein für die Wirkmächtigkeit ihrer eigenen Bilder.
"Das ist kein Zufall, dass die da so aussehen. Solche Bilder, die so wirken, als seien das ganz freundliche Leute, die lachend und winkend ein Rednerpult raustragen oder als seien das eigentlich lächerliche Figuren, das wirkt natürlich dann verharmlosend."

Individuelle Medienkompetenz gefragt

Die Verantwortung sieht Berit Glanz auch bei jedem einzelnen. "Medienkompetenz in 2021 bedeutet eben tatsächlich auch, dass man sich anschaut oder sehr kritisch darüber nachdenkt, wem man gerade auf den Leim geht, welche Memes man verbreitet, welche Figuren man, indem man sie eben ständig reproduziert, dann auch zu wichtigen Figuren macht."
Es gebe allerdings auch eher unschuldige Memes und solche, die den Protest dekonstruieren würden. Eindeutig beantworten ließen sich diese Fragen jedoch noch nicht. Berit Glanz hält es für wichtig, kollektiv darüber nachzudenken, dass durch die extreme Verbreitung von Memes, "bestimmte Denkmuster plötzlich Mainstream werden." Dafür brauche es ein Bewusstsein.
(cwu)
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