Meistererzählung über einen vergessenen Krieg

18.11.2007
Jörg Friedrich ist mutig. Er gab seinem neuen Buch einen Titel, mit dem auf den ersten Blick wohl nur wenige etwas anfangen können. Yalu? Was soll das denn sein?!
Der Grenzfluss zwischen Nordkorea und China dürfte dem deutschen Lesepublikum genau so wenig bekannt sein, wie die Einzelheiten eines der verheerendsten Kriege Asiens: des Korea-Krieges, der von Juni 1950 bis Juli 1953 die Welt in Atem hielt. Wir nehmen das 20. Jahrhundert vor allem durch eine europäische Brille wahr - Stalingrad, Auschwitz, Dresden das ist unsere Vorstellung von Krieg.

Jörg Friedrich hat den Mut und die darstellerische Kraft, Asien als Schauplatz eines vergessenen aber furchtbaren Geschehens in unser Gedächtnis zurückzuholen. Er schildert, wie aus den Launen der Sieger 1945 ein geteiltes Korea entstand und wie sich die einstigen Verbündeten des Zweiten Weltkrieges gegeneinander wendeten, sich die Blockkonfrontation zu einem veritablen Krieg ausweitete, der die Welt an den Rand der nuklearen Katastrophe führte.

In großer erzählerischer Qualität entfaltet er vor dem Leser die Machtspiele Stalins, Maos und Kim Il Sungs, der Marionette der beiden Großen, die nach langem Drängen schließlich ihren Krieg führen durfte, um die Amerikaner vom Festland zu vertreiben.

Wir lesen über grauenvolle Bodenkämpfe, über die Straßenschlachten, die Seoul in ein Ruinenmeer verwandelten, über das Hin- und Herwogen der Kämpfe, über Siege und über Niederlagen. Und darüber, dass die Amerikaner hier gegen einen ungewohnten Gegner kämpften:

"An die Eigenart und den Anblick des chinesischen Gegners konnten sich die Amerikaner schwer gewöhnen. Seine fanatische Hingabe, sture Todesverachtung und grelle Aggressivität passten nicht zu der Vorstellung, dass Chinesen unterwürfig und kleinwüchsig seien. Nun wurde man überwältigt von Zweimetermännern. Ihr Kampfstil rührte weniger aus Lektionen des Kommunismus und mehr aus den überkommenen Tugenden asiatischer Armeen."

Offiziell fochten hier zunächst die Nordkoreaner und dann die Chinesen gegen die von den USA angeführten UNO-Truppen und ihre südkoreanischen Verbündeten. Vermeintlich also ein lokaler Krieg. Doch im Hintergrund wirkte Stalins Sowjetunion mit - stellte Munition und Ausrüstung, moderne Jagdflugzeuge vor allem.

Die amerikanischen Militärs erkannten rasch, dass man den Krieg wohl nur gewinnen konnte, wenn man ihn ausweitete, wenn man den Krieg nach China trug, dem Land einen tödlichen Schlag versetzte, am besten mit Atomwaffen. Doch dann wäre wohl der dritte Weltkrieg da gewesen, was trotz aller Forderungen, vor allem von General Mac Arthur, die entscheidenden Politiker nicht wollten. Vor allem nicht die Europäer.

"Sie hatten Weltkrieg genug gehabt" - bemerkt Friedrich trefflich.

Und so war der Yalu für die einen wie für die anderen eine heilige Grenze, die es im Interesse der eigenen Fortexistenz nicht zu überschreiten galt. Die sowjetischen MiG-15-Jäger überflogen ihn nicht in Richtung Süden und die amerikanischen Bomber überflogen ihn nicht in Richtung Norden.

Die Einhegung des Krieges gelang an diesem Fluss und zugleich war dies das Todesurteil für Nordkorea. Denn nun richtete sich die ganze Zerstörungskraft der US-Luftwaffe auf das kleine Land.

""Der Vernichtungserfolg trat ein durch das Mißverhältnis von Kapazität zu Fläche. Ein kleines Volk auf schmalem Raum stand einem unerschöpflichen Potential gegenüber, das sich entlud, weil kein Hindernis bestand, damit aufzuhören. Chinesen und Amerikanern, die über die Verschrottung Koreas entschieden, schadeten sie nicht, die Geschädigten hingegen hatten nichts zu entscheiden"."

Den Nachschub an die Front konnte das Luftbombardement freilich nicht unterbinden, Ochsenkarren und Kulis waren selbst für die amerikanischen Flugzeuge nicht zu fassen. Die eigentliche Kraftquelle ihrer Feinde lag in der Mandschurei - doch die lag hinter dem Yalu.

Und so belegten die Amerikaner lieber die koreanische Zivilbevölkerung mit Napalm, zerstörten Städte, Dörfer und zum Schluss selbst die Reisfelder. Fast drei Millionen koreanische Zivilisten kamen in diesem Krieg ums Leben.

Anders als "Der Brand" wird dieses Buch von Jörg Friedrichs Buch wohl keine internationale Diskussion auslösen, obwohl auch hier manche Spitze zu finden ist, wir vom "Generalplan Fernost" und von "Nerobefehlen" lesen.

Doch der Korea-Krieg ist nicht das Unternehmen Barbarossa - historisch nicht und im kollektiven Gedächtnis sowieso nicht. Aber gerade deshalb ist sein Buch so wichtig.

Es ist eine Meistererzählung über die Irrationalität und das Chaos eines vergessenen Krieges, über die Logik der Militärs, den Opportunismus der großen Politik. Vom Mythos des guten Krieges der Demokratien lässt er nicht viel übrig.


Rezensiert von Sönke Neitzel


Jörg Friedrich: Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges
Propyläen Verlag, Berlin