Meister der Geschmacksexplosionen
Der Michelin, der berühmte französische Gourmet-Führer, vergibt jährlich seine Sterne. Diese Auszeichnung entscheidet noch immer über Karrieren. 21 Köche haben dieses Jahr in Deutschland gejubelt, erstmals haben sie einen Michelin-Stern bekommen. Darunter auch Tim Raue, Küchenchef im Restaurant 44 im Berliner Swissôtel. Der 32-jährige Berliner gilt als Avantgardist und gewürdigt hat ihn nicht nur der Michelin, sondern auch der Gault Millau: Der hat ihm nicht nur 18 von 20 möglichen Punkten verliehen , sondern ihn auch noch zum deutschen Koch des Jahres 2007 gewählt. Susanne Balthasar hat den Aufsteiger im Restaurant 44 besucht:
"Es geht um das pure Aroma, ich versuche mit jedem Bissen, den Gaumen aufzuscheuchen, Geschmacksexplosionen zu wecken."
(Telefonklingeln)
Tim Raue beugt sich über das Telefon: kurze, dunkle Haare, helle Augen, ein jungenhaftes Gesicht. Er trägt Jeans und ein dunkelblaues Sweatshirt, auf das Rosen und große Vieren genäht sind. Unter dem Stoff wölbt sich ein kleiner Bauch. Zwischen den Anzugträgern im Hintergrund sieht er aus wie ein Stück Kuchen im Tortenregal.
Seitdem Raue als Küchenchef einen Michelin-Stern hat und er selber den Titel "Koch des Jahres 2007" trägt, ist sein Restaurant 44 immer ausgebucht:
"Die Gäste haben eine größere Erwartung, eine größere Bereitschaft, sich einzulassen, weil ich nicht koche wie meine Kollegen, früher, na ja, beim Raue, da ist alles anders. Heute sagen sie: Wow, wir sind beim Raue, da ist alles anders."
Weit auseinander liegen frühlingsgrüne, rosen- und himbeerfarbene Vorspeisen. Klarfarbig und krass. Das Essen springt ins Auge.
"Kochen ist Ausdruck meiner Persönlichkeit (...) und ich bin jemand, der Farben schätzt, der 'ne klare Farbe hat, der klar auf die Dinge zugeht, sie anpackt und umsetzt."
Der Fisch, total überwalzt. Von einer flüssigen Aromabombe: Apfelsellerie mit Ingwer - sauer und grell, grün und intensiv - jeder Schluck eckt an.
"Es geht um das pure Aroma, ich versuche mit jedem Bissen, den Gaumen aufzuscheuchen, Geschmacksexplosionen zu wecken."
Und unter der Explosion liegt plötzlich der Meerwolf. Weich und warm wie eine Daunendecke im Mund.
Nach dem letzten Bissen die Erschöpfung. Ein Tim Raue Essen ist klar, aromatisch, puristisch, exotisch - und von all dem zu viel.
Tim Raue ein Koch? Erst mal nicht:
"Mein Vater war viel unterwegs, meine Eltern haben sich früh getrennt, von da musste ich mich immer selber versorgen, ich war der Rührei-Star, aber dass ich Kuchen gebacken oder 'ne Ente geschoben habe, das war nie mein Ding."
Raue kommt aus Berlin-Kreuzberg, SO 36, dem härteren Teil des Bezirks. Mehr sagt er nicht. Außer, dass seine Eltern keinen Einfluss auf sein Leben hatten:
"In So 36 bekommt man keine Werte vermittelt (...) dann eher die Großeltern strebsam, fleißig, Demut, Ehrlichkeit, Sauberkeit, Ordnung, Herzlichkeit, das ist ne Basis geworden.
Effizienz und Struktur ist der Grundblock, darauf dann Kreativität und Spaß.
Ich wollte ja nie Koch werden. ich hätte sehr gern Abitur gemacht, hätte gern Design, was Gestalterisches gemacht, ging aus persönlichen Gründen nicht. Irgendjemand hat mir erzählt, dass Kochen was mit Kreativität zu tun hat, das ist natürlich Augenwischerei, weil wie können sie 30 oder 40 Kilo Zwiebeln schneller schälen, dann kommen Kartoffeln dazu."
Raue verzieht den Mund, als hätte er auf Sand gebissen. Gelernt hatte er damals im Chalet Swiss, einem gehobenen Berliner Ausflugslokal. Von der Gourmetküche war das so weit weg wie ein Zuchtchampignon vom Trüffel. Raue will zu den Sternen, wechselt während der Lehrzeit in ein besseres Restaurant.
Nach zwei Jahren dann die Abschlussprüfung mit einer Vier minus. Ein erster Tiefpunkt, aber nicht der letzte:
"In jüngeren Jahren war das so, dass ich mich gefreut habe und gedacht habe: Wow, du gehst die Treppe hoch, und da oben dann feststellen musste, dass es dazwischen üble Niederschläge gibt. Das heißt, dass ich im Gault Millau mal 16 Punkte hatte, das bedeutet die 200 besten in D und ein Jahr später hatte ich 14 also die 400 richtig runter gehämmert und der Text war 'ne glatte Hinrichtung."
Tim Raue sieht heute noch ein bisschen sauer aus. Aber vielleicht liegt das daran, dass er ohnehin die meiste Zeit wie kurz vor dem Überkochen wirkt - ein Überschuss an Energie.
"Wenn man am Anfang einen auf den Deckel kriegt, ist der Antrieb noch größer."
Früher hat Tim Raue im Halbjahresrhythmus die Küchen gewechselt. Mit 23 wird er Küchenchef und etwas beständiger.
"Für mich gibt es ganz viele Schlüsselreize, heute morgen in einem Geschäft für Bettwäsche und ein Kissen in ganz tollen Farben und ich habe ein Karamellgericht im Kopf gehabt, wo mir die Sauce gefehlt hat, und heute ist mir klar geworden, dass wir eine salzige, stark gepfefferte Karamellsauce dazu brauchen."
Die Weine zu Raues Essen wählt seine Frau Ann Christine aus. Sie ist auch für den Service zuständig. Kennen gelernt haben sich die beiden vor 12 Jahren, in der Dorfdisco, sie 18 , er 20. Dann die Heirat, Kinder sind geplant. Familie ist Tim Raue wichtig:
"Am Anfang war mein Aufstieg schneller als ihrer, es hat eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, dass sie genauso eigenständig ist, seit letztes Jahr ist sie Berliner Maitre."
Tim Raue schaut auf die Uhr. Viel Zeit hat man als Küchenchef nicht, mit einem Stern schon gar nicht. Schon verrückt, sagt Tim Raue, jahrelang hat er auf den Stern hingekocht und ihn nicht bekommen. Dann, endlich kommt er und am Ende ändert sich gar nicht viel:
"Wo wir das erfahren haben, haben meine Frau und ich gejubelt und in den Armen gelegen und dann ging es weiter."
(Telefonklingeln)
Tim Raue beugt sich über das Telefon: kurze, dunkle Haare, helle Augen, ein jungenhaftes Gesicht. Er trägt Jeans und ein dunkelblaues Sweatshirt, auf das Rosen und große Vieren genäht sind. Unter dem Stoff wölbt sich ein kleiner Bauch. Zwischen den Anzugträgern im Hintergrund sieht er aus wie ein Stück Kuchen im Tortenregal.
Seitdem Raue als Küchenchef einen Michelin-Stern hat und er selber den Titel "Koch des Jahres 2007" trägt, ist sein Restaurant 44 immer ausgebucht:
"Die Gäste haben eine größere Erwartung, eine größere Bereitschaft, sich einzulassen, weil ich nicht koche wie meine Kollegen, früher, na ja, beim Raue, da ist alles anders. Heute sagen sie: Wow, wir sind beim Raue, da ist alles anders."
Weit auseinander liegen frühlingsgrüne, rosen- und himbeerfarbene Vorspeisen. Klarfarbig und krass. Das Essen springt ins Auge.
"Kochen ist Ausdruck meiner Persönlichkeit (...) und ich bin jemand, der Farben schätzt, der 'ne klare Farbe hat, der klar auf die Dinge zugeht, sie anpackt und umsetzt."
Der Fisch, total überwalzt. Von einer flüssigen Aromabombe: Apfelsellerie mit Ingwer - sauer und grell, grün und intensiv - jeder Schluck eckt an.
"Es geht um das pure Aroma, ich versuche mit jedem Bissen, den Gaumen aufzuscheuchen, Geschmacksexplosionen zu wecken."
Und unter der Explosion liegt plötzlich der Meerwolf. Weich und warm wie eine Daunendecke im Mund.
Nach dem letzten Bissen die Erschöpfung. Ein Tim Raue Essen ist klar, aromatisch, puristisch, exotisch - und von all dem zu viel.
Tim Raue ein Koch? Erst mal nicht:
"Mein Vater war viel unterwegs, meine Eltern haben sich früh getrennt, von da musste ich mich immer selber versorgen, ich war der Rührei-Star, aber dass ich Kuchen gebacken oder 'ne Ente geschoben habe, das war nie mein Ding."
Raue kommt aus Berlin-Kreuzberg, SO 36, dem härteren Teil des Bezirks. Mehr sagt er nicht. Außer, dass seine Eltern keinen Einfluss auf sein Leben hatten:
"In So 36 bekommt man keine Werte vermittelt (...) dann eher die Großeltern strebsam, fleißig, Demut, Ehrlichkeit, Sauberkeit, Ordnung, Herzlichkeit, das ist ne Basis geworden.
Effizienz und Struktur ist der Grundblock, darauf dann Kreativität und Spaß.
Ich wollte ja nie Koch werden. ich hätte sehr gern Abitur gemacht, hätte gern Design, was Gestalterisches gemacht, ging aus persönlichen Gründen nicht. Irgendjemand hat mir erzählt, dass Kochen was mit Kreativität zu tun hat, das ist natürlich Augenwischerei, weil wie können sie 30 oder 40 Kilo Zwiebeln schneller schälen, dann kommen Kartoffeln dazu."
Raue verzieht den Mund, als hätte er auf Sand gebissen. Gelernt hatte er damals im Chalet Swiss, einem gehobenen Berliner Ausflugslokal. Von der Gourmetküche war das so weit weg wie ein Zuchtchampignon vom Trüffel. Raue will zu den Sternen, wechselt während der Lehrzeit in ein besseres Restaurant.
Nach zwei Jahren dann die Abschlussprüfung mit einer Vier minus. Ein erster Tiefpunkt, aber nicht der letzte:
"In jüngeren Jahren war das so, dass ich mich gefreut habe und gedacht habe: Wow, du gehst die Treppe hoch, und da oben dann feststellen musste, dass es dazwischen üble Niederschläge gibt. Das heißt, dass ich im Gault Millau mal 16 Punkte hatte, das bedeutet die 200 besten in D und ein Jahr später hatte ich 14 also die 400 richtig runter gehämmert und der Text war 'ne glatte Hinrichtung."
Tim Raue sieht heute noch ein bisschen sauer aus. Aber vielleicht liegt das daran, dass er ohnehin die meiste Zeit wie kurz vor dem Überkochen wirkt - ein Überschuss an Energie.
"Wenn man am Anfang einen auf den Deckel kriegt, ist der Antrieb noch größer."
Früher hat Tim Raue im Halbjahresrhythmus die Küchen gewechselt. Mit 23 wird er Küchenchef und etwas beständiger.
"Für mich gibt es ganz viele Schlüsselreize, heute morgen in einem Geschäft für Bettwäsche und ein Kissen in ganz tollen Farben und ich habe ein Karamellgericht im Kopf gehabt, wo mir die Sauce gefehlt hat, und heute ist mir klar geworden, dass wir eine salzige, stark gepfefferte Karamellsauce dazu brauchen."
Die Weine zu Raues Essen wählt seine Frau Ann Christine aus. Sie ist auch für den Service zuständig. Kennen gelernt haben sich die beiden vor 12 Jahren, in der Dorfdisco, sie 18 , er 20. Dann die Heirat, Kinder sind geplant. Familie ist Tim Raue wichtig:
"Am Anfang war mein Aufstieg schneller als ihrer, es hat eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, dass sie genauso eigenständig ist, seit letztes Jahr ist sie Berliner Maitre."
Tim Raue schaut auf die Uhr. Viel Zeit hat man als Küchenchef nicht, mit einem Stern schon gar nicht. Schon verrückt, sagt Tim Raue, jahrelang hat er auf den Stern hingekocht und ihn nicht bekommen. Dann, endlich kommt er und am Ende ändert sich gar nicht viel:
"Wo wir das erfahren haben, haben meine Frau und ich gejubelt und in den Armen gelegen und dann ging es weiter."