Wie man hier zu Lande isst und trinkt

Von Anne Quirin · 01.11.2005
Eine locker-ironische Collage über die hiesigen Esssitten ist Cottas Kulinarischer Almanach Nr. 13. Der Coffee to Go wird genauso aufs Korn genommen wie die "Epidemie der Supermärkte". Rezepte für eine moderne Küche sowie ein Weinkapitel würzen das Buch.
Gehen wir heute zum Griechen oder zum Inder? Oder vielleicht doch zum Italiener? Oder – warum eigentlich nicht mal wieder deutsche Küche? Auf dem heimischen Speisezettel ist schließlich nicht mehr alles Wurst, seit internationale Einflüsse ihn kräftig aufgemischt haben. Im Gegenteil, er kann sich sehen lassen, meint jedenfalls Starkoch Tim Raue:

" Man merkt, wir kommen zu unseren Wurzeln zurück. In einem vereinten Europa haben wir uns nicht zu schämen ob unserer Herkunft, und das können wir auch in einer modernen leichten Variante ausdrücken."

Wo die deutsche Küche überhaupt steht, welche Esssitten wir pflegen, das serviert uns der Herausgeber Erwin Seitz in seinem Kulinarischen Almanach Nr. 13 zum Thema: Deutschland. Der rund 250 Seiten starke Band enthält verschiedene Essays von 25 Autoren über das Einkaufen, Kochen und Essen im Lande. Herrlich ironisch ist zum Beispiel Hannelore Schlaffers Abriss über das "Essen im Stehen und Gehen". Die Stadt, so schreibt die Publizistin, sei "eine große Kantine" geworden.

" Currywurst mit Pommes und dick Ketchup drauf, belegte Brötchen, Kuchen, Döner, Falafel, Pizza … "

Tatsächlich, die Palette von in Folie, Papier und Plastik eingewickelten und abgepackten Essen kennt keine Grenzen.

" Ananas total leckere, Heidelbeeren, sogar Kaktusfeigen. Die kommen aus Italien und wenn Sie die essen, sprechen Sie sogar Italienisch!"

Dazu noch ein Coffee to Go in die Hand und schon demonstriert der moderne Großstadtmensch seine Weltläufig- und Geschäftigkeit, lästert die Autorin. Man ist eben "gefragt".

Gegen diese Sitte wettert auch Kurt Maria d’Ucello in seinem Plädoyer für den gepflegten Mittagstisch.

"Ein gut angerichteter Teller für eine Speisestunde, nicht weniger, ist schon was, das ist schon allerhand an Entspannung in Inspiration. So etwas lässt sich immer einmal gelegentlich einbauen in eine strapazierte Leistungswelt."

Außerdem seien gerade mittags, zur Hora Sacra, Hunger und Appetit am größten. Das entspricht auch den Prinzipien von Gourmet-Guru Wolfram Siebec:

" Man soll immer nur dann essen, wenn man Hunger hat. Nicht aus Gewohnheit, Langeweile oder weil Gelegenheit da ist. Mittags ein sehr schönes Mittagessen, dazu die Flasche Wein und dann einen kleinen Mittagsschlaf und das war’s."

Um Nahrungsbeschaffung geht es in dem Essay von Hans-Ulrich Grimm: "Der Geruch des Billigen. Über die Epidemie der Supermärkte." Der Titel lässt es ahnen, Lidl und Co. kommen gar nicht gut weg.

"Wer Lidls Läden kennt und auch die anderen aus Lidls Liga, der muss sich wundern, dass Leute ihre Lebensmittel in solch einem Milieu kaufen. In unappetitlicher Umgebung, aus hässlichen Kisten. Wo sie doch in einem Auto sitzen, dessen Leder fein riecht, dessen Motor sonor surrt, das auch nur bestes Öl kriegt, das bei Esso im billigsten Fall 12,99 Euro kostet. Bei Aldi kostet das teuerste Olivenöl 5,58 Euro."

Grimms Appell an die Supermarktkunden ist eindeutig: mehr Geld für Qualität ausgeben und lieber die kleinen Fachgeschäfte unterstützen – auch zum eigenen Wohl.

Eine handvoll Rezepte als Anregung für eine moderne deutsche Küche würzen das Buch – nichts Kompliziertes, eher Handfestes. Zum Beispiel die Variationen des Grünkohls: als Suppe, gefüllte Kartoffel, mit Schweinefilet oder Rotbarsch.

Im abschließenden Weinkapitel geben die Autoren ihre Empfehlungen für den passenden Tropfen zum deutschen Menü. Es geht um Spätburgunder, Lemberger, Moselwein, die "Raffinesse deutscher Sektkultur" und "Ein neues Selbstverständnis der deutschen Rotweine". Adressen verraten, wo die besten Weingüter zu finden sind.

Insgesamt ist Cottas Kulinarischer Almanach Nr. 13 eine locker-ironische Collage über die deutsche Küche und die deutschen Esssitten, mehr Unterhaltung als Wissenschaft. Zur Einstimmung unternimmt Herausgeber Erwin Seitz einen sprunghaften Ritt durch die kulinarische Geschichte Deutschlands. Sein Abriss ist an manchen Stellen allerdings so verkürzt, dass der Leser oftmals auf der Strecke bleibt. Das macht aber nichts, denn der Almanach lässt sich gut quer lesen und braucht gar keine Einstiegshilfe. Hobbyköchen und Genießern wird das Buch allemal schmecken. Also dann:

Starkoch Tim Raue: " Guten Appetit! "