"Mein Beruf gehört sehr stark zu mir"

Von Stefan Keim · 29.08.2013
Florence von Gerkan kreiert Kostüme für Bühnen in Bayreuth, New York und Wien. Und jetzt für Harry Partchs "The Delusion of the Fury" auf der Ruhrtriennale in Bochum. Eine ungewöhnliche Arbeit, denn die Stücke sehen aus wie aus der Altkleidersammlung.
Eine Bande von Landstreichern scheint die Bühne in der Bochumer Jahrhunderthalle zu besetzen. Es sind Musiker, aber sie sehen anders aus als gewohnt. Sie tragen Jeans und Trainingshose, dicke Mäntel und T-Shirts. Manche haben einen Cowboyhut auf dem Kopf, andere Wollmützen oder Bauarbeiterhelme. Florence von Gerkans Kostüme zum Stück "The Delusion of the Fury" von Harry Partch sehen aus, als wären sie aus der Altkleidersammlung zusammen gesammelt worden.

Es ist eine ungewöhnliche Arbeit für die Kostümbildnerin Florence von Gerkan. Vor einem Jahr hat sie für die Ruhrtriennale in John Cages "Europeras 1 & 2" opulente Opernkostüme entworfen, Roben mit Glitzer und Glamour, ironische Anspielungen auf die glanzvolle Geschichte des Musiktheaters. Und nun Rudis Resterampe? Klar, sagt Florence von Gerkan, es ist eben ein anderes Stück.

"Es ging darum, viele Dinge zu finden, die nicht in dem Sinne Kostüme sind. Sondern irgendwelche Kleidungsstücke, gebrauchte Dinge, auch Requisiten, Helme, Brillen, lauter Kram."

Harry Partch, der Komponist des Stückes, hat einige Jahre als Hobo gelebt, als Landstreicher und Gelegenheitsarbeiter. Den Geist von Freiheit und Außenseitertum will Florence von Gerkan auf die Bühne bringen. Aber nicht indem sie Musiker in Klamotten steckt, die mit ihnen selbst nichts zu tun haben. Denn das könnte lächerlich aussehen.

"Genau darum ging´s eigentlich, dass man niemanden verkleiden wollte, verpacken wollte, sondern eher ran kommen an deren Persönlichkeit. (…) Es ist auch vorgekommen, dass Kleidungsstücke von denen mitgebracht wurden, und es ist ne Mischung geworden. Also diese Offenheit war bei diesem Projekt sehr, sehr wichtig."

Offenheit ist ein wichtiger Begriff für Florence von Gerkan. Die meisten Kostümbildnerinnen kommen mit fertigen Entwürfen zur ersten Probe. Sie nicht, denn sie will erst die Akteure kennen lernen, ihre Ausstrahlung, ihre Persönlichkeit. Dann erfindet sie Kostüme, die genau zu ihnen passen, in denen sie sich wohl fühlen. Für das Harry-Partch-Stück wurde nichts extra angefertigt. Florence von Gerkan mag es, mit wenigen Mitteln kreativ zu sein. In der Aufführung wird ein Musiker auf offener Bühne zu einem Krieger wie aus einem asiatischen Fantasyfilm umgekleidet.

"Viele Decken übereinander, und ne Radkappe wird zum Helm! Es war ein Basteln, es war ein Erfinden im Sinne auch von Partch."

Wo gearbeitet und geschwitzt wird
Florence von Gerkan ist eine attraktive Frau, schlank und gepflegt. Zum Gespräch kommt sie in einem eleganten schwarzen Hosenanzug. Aber sie setzt sich, weil wir sonst gerade keine ruhige Ecke finden, auf eine staubige Stahltreppe. Ohne hinzuschauen, ob da gerade ein Kaugummi klebt. Sie fühlt sich hier zu Hause, wo gearbeitet und geschwitzt wird, backstage im Theater.

"Ich bin in Hamburg in einem Haus aufgewachsen, wo man ins Theater ging. Und es gab auch im Freundeskreis Kontakte zum Schauspielhaus und zum Thalia-Theater. Und da war schon während der Schulzeit bei mir auch immer wieder dieser Draht zur darstellenden Kunst."

Sprüche wie "Kind, lern doch lieber was Anständiges" musste sich Florence von Gerkan nicht anhören. Ihr Vater ist der Architekt Meinhard von Gerkan, der unter anderem den Berliner Hauptbahnhof entworfen hat. Schwester Manon war in den neunziger Jahren ein internationales Topmodel, lebt heute in New York und entwirft Schmuck. Dass Florence einen künstlerischen Beruf ergreifen wollte, war für ihre Familie keine Überraschung.

"Mein Vater war da nicht so dran beteiligt, eher meine Mutter, die das gefördert hat. Mein Vater war fast nie da, aber ich hatte einen leichten Weg sozusagen."

Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Nun fördert Florence von Gerkan selbst den Nachwuchs. Sie ist Professorin an der Hochschule der Künste in Berlin und leitet den Studiengang für Kostüm, den sie selbst als Studentin durchlaufen hat.

"Ich möchte mit jungen Menschen arbeiten, weil das ist auch immer so eine Korrektur von außen, dass man mit ner anderen Generation zusammen kommt und diese jungen Menschen dann wieder ganz andere Wahrnehmungen haben, und ich finde das einen ganz wichtigen, wertvollen Austausch."

Zur Ruhrtriennale hat sie nun eine ihrer Studentinnen mitgenommen, nicht als Assistentin sondern als Mitarbeiterin. Florence von Gerkan will eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Sie mag es auch nicht, wenn sie als Kostümbildnerin Anordnungen von eingebildeten Starregisseuren befolgen soll.

"Ich lehne hierarchische Strukturen komplett ab. Ich bin für die Teamarbeit und das enge Zusammenarbeiten, den Austausch ohne Aggressionen. Man kann über alles sprechen. Ich bin sehr flexibel, und ich finde, das ist auch das Produktivste und Kreativste."

Die Arbeit als Professorin, viele Aufträge als Kostümbildnerin – damit lässt sich ein Leben gut füllen. Florence von Gerkan hat aber auch eine Tochter, die viel von ihrer Arbeit mitbekommt.

"Es ist ein sehr verwischtes Leben. Es ist nicht so, dass ich das trenne. Es fließt sehr viel ein bei mir ins Private. (…) Ich hab das Atelier zu Hause, und das ist alles sehr lebendig. Die Studierenden kommen auch zu mir nach Hause, ich will das gar nicht so trennen. Mein Beruf gehört sehr stark zu mir."
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