Die Klangwelt eines Unangepassten

Von Ulrich Fischer · 01.01.2013
Die Premiere der Oper "The Delusion of the Fury" während der Ruhrtriennale findet erst im August statt. Doch die Vorbereitungen laufen schon jetzt. Das liegt unter anderem an den Instrumenten, die Komponist Harry Partch eingeplant hat. Sie müssen erst noch gebaut werden.
Heiner Goebbels übernahm 2012 die Leitung der Ruhrtriennale und unterstrich den avantgardistischen Aspekt des Festivals im Ruhrgebiet. Goebbels inszenierte John Cages selten gespielte "europera 1 & 2" – und konnte einen Riesenerfolg verbuchen. Goebbels’ Inszenierung war prachtvoll, kompetent, klug, allerdings fehlte ihr ein Quäntchen Humor. Auch das Programm der Ruhrtriennale war nicht ganz ohne Fehl und Tadel: Goebbels vernachlässigte das Schauspiel – aber diese Kritik wiegt nicht schwer, angesichts vieler überzeugender Erfolge. Der Tanz bekam einen angemessen großen Anteil am Programm und Robert Wilson glänzte mit seiner Inszenierung von John Cages "Vorlesung über Nichts" – die ebenso erhellend wie erheiternd korrespondierte mit Cages "europears 1 & 2".

Die Ruhrtriennale konnte im Vergleich mit den anderen europäischen Fünfsterne-Sommerfestivals 2012 glänzen. Im Kontrast zum Totalausfalls in Salzburg machten Goebbels und seine Mann- und Frauschaft in Bochum nur noch deutlicher, dass die Auseinandersetzung mit der vernachlässigten Avantgarde künstlerisch fruchtbar und intellektuell herausfordernd sein kann, ohne das Publikum zu verschrecken. Die Ruhrtriennale glänzte auch heller als das International Festival in Edinburgh und konnte mühelos mit dem Festival d’Avignon mithalten – ein buchenswerter Erfolg.

An ihm will der Intendant anknüpfen. Heiner Goebbels kündigt zur Eröffnung der neuen, seiner zweiten Spielzeit, im August des neuen Jahres "The Delusion of the Fury" an, eine Oper von Harry Partch. Was heißt "The Delusion of the Fury" auf Deutsch? "Die Täuschung der Raserei" oder "Der Wahn der Furien"?

Bei der Frage nach der korrekten Übersetzung schmunzelt Heiner Goebbels:

"Vor diesem Rätsel stehen wir auch. Und es ist nicht das einzige Rätsel, das uns diese Oper aufgibt. Aber wir fangen ja gerade erst an. Nicht ganz, wir haben schon Anfang Oktober unsere ersten Proben gehabt. Zunächst einmal ist das alles aus dem Geist der Musik geschrieben. Es gibt da auch einen mythologischen Ursprung, aber mich interessiert zunächst einmal Harry Partch als Figur.

Mich verbindet mit ihm erst einmal der Versuch, über die Visualität eines Konzerts nachzudenken. Er hat schon ganz früh angefangen, in den 50er, 60er Jahren, Konzerte anders aussehen zu lassen, auch durch die Instrumente, die er gebaut hat. Er hat über das Musikmachen nachgedacht, über die Körperlichkeit des Musikmachens. Und er hat sich sozusagen außerhalb der musikalischen Gesellschaft gestellt als auch außerhalb der amerikanischen Gesellschaft.

Er war ein Hobo, er ist manchmal im Zug durch die Lande gereist. Er war Alkoholiker, das darf man nicht verschweigen. Bei seinen Instrumenten gibt es Instrumente, bei denen er Flaschen gestimmt hat im vierteltönigen Verfahren, um mit ihnen eine ganz andere Klangwelt zu bauen. Er ist sehr unangepasst in allen Fragen."

Um die neuen Instrumente des Unangepassten kümmert sich die Musikfabrik. Sie residiert in Köln im Mediapark. 50 teilweise skurrile Klangerzeuger hat das Ensemble nach dem Muster von Harry Partch gebaut, und sie, wie einen Schatz, in einem Raum tief im Keller sorgfältig verschlossen. Thomas Oesterdiekhoff von der Musikfabrik leuchtet geradezu vor Begeisterung, Stolz und guter Laune:

"Dieses Instrument ist ein Harmonic Cannon. Es ist eigentlich ein Saiteninstrument, bei dem 44 Saiten aufgespannt sind. Dieses Instrument wird mit Fingernagel und Finger gespielt und man kann es dadurch stimmen, dass man durch einen Glasstab die Spannung verändert. Dann haben wir hier andere, ähnliche Instrumente, auch Harmonic Cannons, da sind gleich ganz viele von gebaut worden, auch hier hat man diese 44 Saiten.

Wie gesagt hat Harry Partch die Oktave in 43 Teile unterteilt. Er hatte verschiedene Stadien, wo er das gemacht hat, er suchte immer nach der reinen Stimmung. Dadurch entstand diese Mikrotonalität. Wohltemperierte Stimmung war für ihn ein Graus. Das war das Schlimmste, was es geben kann.

Es gibt nur ein komplettes Set der Originalinstrumente in New York in der Mount Clair University und wir waren dort, haben alles vermessen, haben alles nachgebaut mit der freundlichen Hilfe von Dean Drammond, dem Leiter des Harry-Partch-Instituts dort, auch schon mal einen ersten Workshop gemacht, um zu verstehen, wie die Instrumente gespielt werden.

Dann kommen wir hier zu einem besonderen Saiteninstrument, das ist das sogenannte Tricord, das ist eine Saite, die mit einem Hebel besondere Spannungen erzeugen kann, das ist so ein bisschen wie das brasilianische Birambao."

Die aufwendigen Vorbereitungen und Proben liegen im Zeitplan, Begeisterung befeuert das anspruchsvolle Projekt, Humor grundiert die Partitur wie das Libretto, und wenn nichts dazwischen kommt, geht pünktlich am 23. August der Lappen in Bochums Jahrhunderthalle hoch: zur Europäischen Erstaufführung von Harry Partchs "The Delusion of the Fury".
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