Mehr Raucher in Indonesien

Neue Goldgrube für Tabakkonzerne

Zwei Männer stehen auf einer Straße in Indonesien und rauchen demonstrativ.
Überall im öffentlichen Raum Indonesiens wird geraucht. © Thomas Kruchem
Von Thomas Kruchem · 09.04.2019
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Indonesien ist nach China der zweitgrößte Tabakmarkt der Welt. Im Inselstaat mit seinen 260 Millionen Einwohnern wittern die großen Konzerne noch Wachstum. Anders als in Europa und den USA rauchen hier immer mehr Jüngere.
Mataram - die Hauptstadt der ostindonesischen Insel Lombok hat rund 400.000 Einwohner und das Flair eines Urlaubsortes. Eine Allee im Stadtzentrum grenzt an einen Park, in den grün-weiß leuchtend eine Moschee gebettet ist.
Auf einer mit Decken ausgelegten Freifläche genießen Schüler einer nahen Mittelschule den Blick auf den sonnenbeschienenen Park. Was noch fehlt, kaufen sie sich am nahen Kiosk. Oft sind es: ein Reisgericht, ein Süßgetränk und eine Zigarette, erzählt Ladenbesitzer Haji Tirmizi.
"Zigaretten sind ein gutes Geschäft für mich – vor allem die mit Nelken gewürzten Kretek-Zigaretten. Ältere Herren wie ich kaufen eine Schachtel und gehen dann spazieren im Park. Junge Männer joggen im Park oder spielen eine Runde Badminton, um anschließend im Schatten der Bäume hier zu sitzen – mit einem Softdrink und einer Zigarette. Die jungen Leute kaufen Zigaretten meist einzeln: Surya und Sampoerna für 1500 Rupiah, neun Eurocent das Stück. Marlboros sind etwas teurer."

Europäer brachten den Tabak nach Indonesien

Bei uns reitet der Marlboro Man schon lange nicht mehr über die Kinoleinwände. Hier in Deutschland rauchen noch knapp 30 Prozent der Erwachsenen. Und auch in ganz Europa und den USA verdienen die Tabakkonzerne immer weniger. Ganz anders im südostasiatischen Indonesien. Auf 7000 Inseln leben hier 260 Millionen Menschen. Die meisten sind arm und kaum gebildet. 76 Prozent der indonesischen Männer rauchen. Ein klarer Anstieg. Im Jahr 2000 waren es erst 56 Prozent. Auch die Zahl der rauchenden Frauen und Kinder wächst rasant. Indonesien ist zum zweitgrößten Tabakmarkt der Welt avanciert, hinter China.
Auf dem weißen Plakat steht "Maybe forward", das erste Wort ist mit einem roten Kreuz durchgestrichen. Im Hintergrund steht ein Zug.
Ein durchgestrichenes Plakat für Zigaretten am Freiburger Hauptbahnhof 2014. In Deutschland sinkt die Zahl der Raucher.© Wolfram Steinberg / dpa
Den Tabak brachten vor gut 400 Jahren portugiesische und niederländische Seefahrer nach Indonesien – berichtet Nina Samidi, Sprecherin der Nationalen Kommission für Tabakkontrolle, einer Nichtregierungsorganisation. Um 1650 entstanden die ersten Tabakplantagen. Viele Männer begannen zu rauchen. Kretek-, mit Nelken gewürzte Zigaretten, wurden mit der Zeit zum bevorzugten Tabakprodukt.
"Als die Kolonialherren den Tabak nach Indonesien brachten, habe er unseren Vorfahren zu bitter geschmeckt, heißt es. Und irgendwann sei jemand auf die Idee gekommen, dem Tabak Nelken hinzuzufügen. Das ergab dann einen süßen, erfrischenden Geschmack – und beim Abbrennen der Zigarette ein leises Knattern. Deshalb nennen wir mit Nelken versetzte Zigaretten lautmalerisch Kretek."

Ärmere investieren mehr in Zigaretten als in Bildung

Nelkenzigaretten jedoch sind besonders gesundheitsschädlich, weil der Rauch verbrannter Nelken zusätzliche krebserregende Stoffe enthält. Zugleich verleiteten Kretek-Zigaretten wegen ihres süßen Geschmacks schon Kinder und Jugendliche zum Rauchen, berichtet Nina Samidi. Ein Drittel aller männlichen Jugendlichen zwischen 13 und 15 Jahren raucht in Indonesien, schätzt die Weltgesundheitsorganisation.
Nach einer Studie investieren arme Familien in Zigaretten drei- bis fünfmal so viel wie in die Bildung ihrer Kinder. Kurz, Big Tobacco, die internationale und nationale Tabakindustrie, hat im Entwicklungsland Indonesien eine neue Goldgrube gefunden. Große Teile der Bevölkerung wissen wenig über die Gefahren des Rauchens und die Regierung ist kooperationsbereit. 300 Milliarden Zigaretten werden auf den indonesischen Inseln jährlich verkauft. Marktführer ist der US-Konzern "Philip Morris International". Es folgen die lokalen Unternehmen "Gudang Garam" und "Djarum" – vor "British American Tobacco".

Die Verführung Wehrloser

Ein junger, blendend aussehender Mann steigt aus dem Boxring, wirft sich in einen Maßanzug und reiht sich an der Spitze seines Teams ein. Attraktive Frauen fallen ihm zu Füßen. Die Zigarettenwerbung des Djarum-Konzerns bedient den Traum zahlloser indonesischer Männer vom Aufstieg – aus täglicher Fron als Kleinbauer, als Straßenarbeiter, als schwitzender Büroarbeiter im muffigen Kämmerchen. Zigarettenwerbung in Indonesien sei auf der Höhe der Zeit, sagt Mutiara Azka, Sprecherin der regierungsunabhängigen "Lentera-Anak-Stiftung" in Jakarta. Sie wird unterstützt von US-Milliardär Michael Bloomberg und kämpft für Tabakkontrolle in Indonesien.
"Die Zigarettenkonzerne werben höchst kreativ für ihre Produkte. Sie erreichen uns über die Musik, die wir lieben, über die Kunst, über den Sport. Zigarettenkonzerne sponsern Konzerte, sie veranstalten Wettbewerbe für Amateur-Bands. Und wenn du mit deiner Band gewinnst, organisieren sie dir eine Tour durch ganz Indonesien. Kurz, die Zigarettenindustrie packt uns bei Anliegen, die uns ganz persönlich am Herzen liegen, bei unseren sozialen Bedürfnissen und Hobbys."
Und: Wie entfesselt attackiert die Industrie potenzielle neue Kundenschichten. So wirft in einem Spot der Zigarettenmarke Esse eine junge Frau im klassischen Kostüm ihrem Chef den Stenoblock vor die Füße, rennt zum Fenster und springt aus dem zehnten Stock – direkt ins Cabrio ihres strahlenden Traummannes. Das propagiere die Zigarettenindustrie als weibliche Freiheit, meint Mutiara Azka:
"Dass Frauen rauchen, wird als Symbol für Freiheit vermarktet. Traditionell gilt die Frau ja bei uns als ein Wesen, das steter Kontrolle bedarf. Über ihr Leben entscheidet nicht sie selbst, sondern die Familie oder der Ehemann. Vor diesem Hintergrund suggeriert die Tabakindustrie: Frauen, die rauchen, zeigen, dass sie gleichberechtigt sind – und unabhängig. Ich halte das für höchst gefährlich, weil so viele Frauen eine völlig falsche Idee davon bekommen, was tatsächlich Unabhängigkeit bedeutet."

Zigarettenwerbung direkt gegenüber einer Grundschule

Spaziergang durch Mataram auf Lombok, 1300 Kilometer östlich von Jakarta. Esti Wahyuna, eine ortsansässige Journalistin, erklärt, wie stark Zigaretten im Straßenbild verankert sind.
"Dies ist ein Geschäftsviertel mit vielen Büros, mit Schulen und viel Zigarettenwerbung. Die beiden riesigen Reklametafeln dort vorne, die für 'Sampoernas' und 'Clas Mild' werben, hängen direkt gegenüber einer Grundschule. Und hinter den Tafeln liegt ein Kindergarten. Auf dieser Einbahnstraße fahren die Kinder Tag für Tag an den Werbetafeln vorbei. Außerdem kündigt dieses Plakat ein von 'Philip Morris' gesponsertes Konzert an – mit einer Band, die viele Jugendliche hier lieben. Solche Jugendliche stehen dann mittags nach Unterrichtsschluss hier herum und rauchen."
In Mataram, Hauptstadt der Insel Lombok, stehen große Reklametafeln für Zigaretten in Sichtweite von mehreren Schulen.
In Mataram, Hauptstadt der Insel Lombok, stehen große Reklametafeln für Zigaretten in Sichtweite von mehreren Schulen. © Thomas Kruchem
Tabakwerbung, die auf Jugendliche und Kinder zielt, ist auch in Indonesien verboten. Doch wer kontrolliert die tägliche Werbung, die auf Jugendliche zielt?
Die Tabakindustrie jedenfalls scheut keinen Aufwand, sich diesen Zukunftsmarkt zu sichern: 90 Millionen Kinder und Jugendliche, 35 Prozent der indonesischen Bevölkerung.
"Gudang Garam" etwa verbreitet Zigarettenschachteln mit Cartoons als Special Limited Edition. "Djarum" ist Hauptsponsor der ersten Fußballliga und viel wichtiger: Der Tabak-Konzern finanziert die "Djarum-Superliga Badminton". Und Badminton ist der indonesische Volkssport. Bei Nachwuchsturnieren spielen bisweilen Tausende Kinder in einer Halle – mit dem Logo der "Djarum"-Stiftung auf dem T-Shirt. Und natürlich platziert die Tabakindustrie auch Werbung in sozialen Medien wie Instagram, Facebook und Twitter. Influencer mit großer Fangemeinde werden dafür bezahlt, unauffällig Zigarettenwerbung in ihren Blogs, Fotos und Videos unterzubringen.

Lungenkrebspatienten werden jünger

"Vor zwei Jahren wurde ich immer heiserer. Und dauernd musste ich husten. Ich ließ mich dann in einem Krankenhaus untersuchen. Der Arzt dort sagte, ich hätte einen Tumor in der Lunge und überwies mich an dieses Zentrum. Nach einigen Monaten bekam ich einen Termin. Sie untersuchten mich ganz genau – mit einem Computer-Tomographen. Und schließlich sagt sie mir, ich hätte Lungenkrebs."
Der 50-jährige Dasuki trägt einen hellgrünen Atemschutz über seinem gestreiften T-Shirt. Er sitzt im Sprechzimmer der Lungenfachärztin Sita Andarini in Jakarta. Dasuki wirkt abgemagert; eine blaue Kappe verbirgt den kahlen Schädel. Neben ihm sitzt seine Frau, Tränen in den Augen. 20 Jahre, berichtet sie, habe ihr Mann geraucht, eine Packung pro Tag. In Indonesiens Provinzkrankenhäusern könne Lungenkrebs nicht behandelt werden, sagt Ärztin Sita Andarini – eine zartgliedrige Frau Mitte 50, deren Augen Mitgefühl ausstrahlen und ein wenig Melancholie. Es fehle an Ausrüstung und Fachkräften. Die Patienten müssten weite Wege zu einer der wenigen Fachkliniken reisen.
"Im Moment haben wir sehr lange Wartezeiten für Patienten, bevor sie ihre Diagnose bekommen – wegen des Überweisungssystems und weil wir kaum Geräte haben. Diese Verzögerung bei der Diagnose und entsprechend bei der Behandlung verringert natürlich die Überlebenschancen der Patienten. Die ersten fünf Jahre nach einer Lungenkrebsdiagnose überleben bei uns gerade ein Prozent der Patienten."
Lungenkrebs-Patienten wie der 50-jährige Dasuki müssen in Indonesien zu lange auf einen Termin beim Lungenarzt warten.
Lungenkrebs-Patienten wie der 50-jährige Dasuki müssen in Indonesien zu lange auf einen Termin beim Lungenarzt warten.© Thomas Kruchem
In Europa überleben immerhin 15 bis 20 Prozent die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Bei Dasuki wurde Krebs im Stadium 3b auf einer vierstufigen Skala diagnostiziert. Zu spät für eine Operation. Ihm bleiben ambulante Strahlen- und Chemotherapie – mit Medikamenten gegen die heftigen Nebenwirkungen. 85 Prozent ihrer Patienten kämen mit weit fortgeschrittenem Lungenkrebs der Stufe vier, sagt die Ärztin, die mit fünf Kolleginnen und Kollegen mehrere tausend Lungenkrebspatienten betreut. Hinzu komme:
"Das durchschnittliche Alter der Lungenkrebspatienten in unserem Krankenhaus ist gesunken. Früher sahen wir selten Patienten unter 40. Heute haben wir viele. Ich habe auch Lungenkrebspatienten zwischen 20 und 30, die nie geraucht haben. Sie sind Opfer des Passivrauchens: Der Vater oder anderer Familienmitglieder haben geraucht, als der Patient noch ein Kind war."
Fast alle Indonesier, die selbst nicht rauchen, sind trotzdem tagein, tagaus dem krankmachenden Qualm ausgesetzt: in öffentlichen Gebäuden, am Arbeitsplatz, zuhause, sogar schon vor der Geburt.

Tabak-Konzerne und Politik helfen sich gegenseitig

Indonesien hat als einziges Land Asiens das UN-Rahmenabkommen zur Tabakkontrolle aus dem Jahr 2003 nicht ratifiziert. Ein Skandal, sagen die Autoren eines Dokumentarfilms, der bei der Konferenz der Tabakgegner in Jakarta vorgeführt wird.
Tatsächlich ist Indonesien von effizienter Tabakkontrolle weit entfernt. Nach einem 2016 erlassenen Rahmengesetz sollen zwar Gesundheits- und Erziehungseinrichtungen rauchfrei sein, genauso wie öffentliche Transportmittel und Arbeitsplätze. Das Problem: Erst die Hälfte der 500 indonesischen Bezirke hat begonnen, die drei Jahre alte Regelung umzusetzen, und das auch nur recht zögerlich.
Dazu kommt: Die Steuern auf Zigaretten liegen in Indonesien weiterhin bei gerade mal 44 Prozent des Verkaufspreises. Die Weltgesundheitsorganisation fordert mindestens 70 Prozent, um den Konsum wirksam einzudämmen. Die verantwortlichen Politiker in Indonesien wollen die Tabakindustrie offenbar nicht verärgern. Sie hoffen auf soziale Wohltaten, erklärt Xi Yin, Indonesien-Expertin der Kampagne "Tobacco Free Kids" in Washington D.C.:
"Unsere Erfahrungen zeigen: Wenn die Tabakindustrie Gutes tut, indem sie zum Beispiel Erdbebenopfern hilft, dann gehen Indonesiens Behörden und Politiker freundlich mit der Industrie um. Das heißt, sie lehnen Forderungen nach mehr Tabakkontrolle ab. 'Die Zigarettenindustrie hat während der letzten Naturkatastrophe viel Hilfe geleistet in unserer Region', sagen dann Parlamentsabgeordnete. Deshalb werden wir dieses Vorhaben nicht unterstützen."
2010 gab es in Indonesien sogar aus der religiösen Ecke Kritik am Rauchen. Die große muslimische Nichtregierungsorganisation "Muhamadiyah" erließ eine Fatwa, einen religiösen Richtspruch. Rauchen widerspreche als selbstmörderische Aktivität dem Koran. Die Fatwa blieb allerdings wirkungslos. Zu viele Imame rauchen selbst.

Tabakanbau ist arbeitsintensiv und lukrativ

Im Dorf Beleke, gelegen im Osten der Insel Lombok, leben rund 3000 Familien. Unter ihnen der Tabakbauer Ama Darit – ein energisch wirkender Mann mit vollem grauem Haar. Darit baut auf seinen anderthalb Hektar Land zur Regenzeit Reis an – und zur Trockenzeit Tabak. Das sei hier Tradition, sagt er, und bringe mehr Geld als Gemüse oder Mais – trotz schwankender Preise. Tabak allerdings gedeihe nur, wenn man viel Arbeit hineinstecke, erklärt Ama Darit.
"Zunächst musst du auf einem kleinen Stück Land aussäen und Schösslinge heranziehen. Die pflanzt du dann um auf ein Feld, dessen Boden du mit Reisstroh gut aufgelockert hast. Anschließend musst du deine Tabakpflanzen unkrautfrei halten, ausgiebig düngen und wässern. Nach vielleicht drei Monaten schließlich, wenn die Pflanzen mindestens einen Meter lang sind, kannst du die reifen Blätter pflücken – immer zwei oder drei auf einmal, von unten nach oben."
Nach dem Pflücken wird der Tabak an Bambusstangen aufgehängt und getrocknet – in Darits Ofenhaus, einem acht Meter hohen Ziegelturm mit einer bullernden Feuerstelle darunter.
Ama Darit trocknet auch den Tabak einiger Nachbarn und verkauft ihn an einen lokalen Zwischenhändler. Beheizt wird der Trockner mit Nussschalen, Maisstroh und vor allem Holz. Zwei zehn Meter hohe Bäume brauche er für eine Sechs-Tonnen-Ladung grünen Tabak, sagt der Bauer. Zwei Jahrzehnte alte Bäume, um 500 Kilogramm getrockneten Tabaks zu erhalten! All die mit dem Pflücken und Trocknen des Tabaks verbundene Arbeit können die Tabakbauern natürlich nicht allein erledigen. Sie heuern deshalb arme Nachbarn an, die kein oder sehr wenig Land besitzen, auch Kinder. Aber, sagt Jovi Handrayani, ein Kollege Ama Darits:
"Wer für mich Tabak pflückt, muss mindestens 15 Jahre alt sein und beurteilen können, welche Blätter reif sind und welche noch nicht. Auch beim Versprühen von Pestiziden mit dem Sprührucksack kann ich keine Kinder gebrauchen. Die dosieren die Pestizide falsch und sprühen womöglich noch gegen den Wind. Und ich kann sie dann ins Krankenhaus bringen."

Kinder erleiden Nikotinschäden im Tabakanbau

Vielleicht 50 Meter entfernt von Ama Darits Haus sitzt – auf einem kleinen Schemel inmitten von Bündeln getrockneten Tabaks – ein Mädchen mit wachem Blick, aber leicht entzündeten Augen und etwas aufgequollenem Gesicht: Nurul Wahida, elf Jahre alt. Über ihrer rosa-weiß gepunkteten Hose trägt sie ein pinkes T-Shirt. Während Nurul ab und zu ein paar Worte mit ihrer verhärmt wirkenden Mutter wechselt, werkeln ihre braun verfärbten Finger wie gut geölte Maschinen.
"Ich ziehe getrocknete Tabakblätter von Bambusstangen und mache Bündel daraus. Seit acht Uhr heute früh arbeite ich schon. Bis sechs Uhr will ich noch die 20 Stangen da fertig machen. Dann bringen meine Mutter und ich die Bündel zum Zwischenhändler. Der wiegt die Bündel und dann gibt mir meine Mutter Geld: 25.000 Rupien."
Die Arbeit mit dem Tabak verrichten auf Lombok auch viele Kinder wie die elfjährige Nurul. Sie sitzt auf einem Berg von Tabakblättern.
Die Arbeit mit dem Tabak verrichten auf Lombok auch viele Kinder wie die elfjährige Nurul.© Thomas Kruchem
Etwas mehr als ein Euro – für Snacks oder ein neues T-Shirt. Morgen muss Nurul zur Schule. Da arbeite sie dann nur nachmittags, sagt sie. Laut Weltbank leben 15 Prozent der indonesischen Landbevölkerung unter der Armutsgrenze. Und ganz selbstverständlich arbeiteten die Kinder in der Landwirtschaft mit – so viel sie eben können.
"Gestern habe ich mit meiner Mutter und meiner Oma die getrockneten Blätter aus dem Ofen geholt. Da hatte ich ständig Tabak im Gesicht. Der stank und stank. Und mir war ganz übel. In der Nacht konnte ich dann vor lauter Kopfschmerzen nicht schlafen."
Die Übelkeit der elfjährigen, die Kopfschmerzen und Benommenheit sind Folge nicht nur knochenharter Arbeit in brütender Hitze und des Tabakgestanks. Sie seien Folgen vor allem täglicher Vergiftung mit Nikotin, erklärt Margaret Wurth. Sie hat für die Organisation "Human Rights Watch" eine Studie erstellt – über das Leid von Kindern, die für die Tabakindustrie arbeiten. Im getrockneten Tabak sei Nikotin noch viel stärker konzentriert als in grünem Tabak, sagt Wurth.
"Kinder nehmen das Nikotin der Tabakblätter durch die Haut auf und werden krank davon. Kinder, mit denen wir sprachen, berichteten über Schwindelgefühle und Brechanfälle, über Kopfschmerzen und Schlafprobleme. Alles Symptome akuter Nikotinvergiftung. Und der Tabak, der die Kinderarbeiter krank macht, landet schließlich bei einigen der größten Zigarettenkonzerne der Welt."

Auch die Pestizide erzeugen Krebs

"Grüne Tabakerkrankung" nennen Experten die Beschwerden, unter denen die elfjährige Nurul und zehntausende anderer Kinder in Indonesien leiden. Nikotin scheint besonders den so genannten präfrontalen Kortex zu schädigen – eine Region im Gehirn, die sich bei Kindern und Jugendlichen noch entwickelt. Betroffene Kinder leiden unter Stimmungsschwankungen, Gedächtnisstörungen, mangelnder Impulskontrolle und kognitiven Einschränkungen. Darüber hinaus hätten für die Tabakindustrie arbeitende Kinder auch Kontakt mit krebserzeugenden Pestiziden, sagt Margaret Wurth.
Im Dorf Beleke zieht die elfjährige Nurul weiter Tabakblätter von Bambusstangen und bündelt sie – noch vier Stunden heute, am Sonntag. Aber morgen geht sie zur Schule, ganz sicher.
"In der Schule bin ich oft müde. Trotzdem bin ich jeden Morgen pünktlich da. Und ich bin eine der besten in der Klasse. Meine Mutter soll stolz auf mich sein. Irgendwann bin ich Lehrerin für Englisch und Mathematik. Das habe ich ihr fest versprochen."
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