Mehr als Wagner

Von Georg Gruber |
Der Literaturwissenschaftler Gilbert Ndi Shang eröffnet mit seiner Führung "Afrika in Bayreuth" eine ganz andere Sichtweise auf die Geschichte der Stadt - jenseits von Richard Wagner und dem Grünen Hügel.
Gilbert Ndi Shang: "Wir stehen jetzt neben dem Jean Paul Denkmal in Bayreuth, ich würde sagen außer Richard Wagner ist Jean Paul einer der wichtigen Namen, der mit Bayreuth verbunden ist. Und wer war genau Jean Paul ..."

An einem Samstag in Bayreuth. Der Literaturwissenschaftler Gilbert Ndi Shang aus Kamerun spricht über Jean Paul, der 20 Jahre, bis zu seinem Tod, hier er ganz in der Nähe des Denkmals gelebt hat. Dieses Denkmal ist nun eine der Stationen auf der Stadtführung "Afrika in Bayreuth". Vorher wurde Halt gemacht an der Mohrenapotheke. Der Name, früher ganz selbstverständlich, ist heute für viele nicht mehr politisch korrekt. Doch was hat Jean Paul zu tun mit alltäglichem, vielleicht auch unbewussten Rassismus? Eine Episode in seinem Leben: Die Freundschaft zu einem Juden, dem Kaufmann und Bankier Emanuel Osmund, zu einer Zeit, als es bereits Ausgrenzung und Antisemitismus gab.

"Jean Paul sagte einmal: Sie und ich gehören zusammen, unsere Bekanntschaft ist kurz aber unsere Verwandtschaft ist ewig. Der Hauptpunkt bei mir ist, er hatte nicht mit einem Schwarzen zu tun, aber auch mit jemanden, der aus einer anderen Kultur her kam. Wenn er einen Juden so betrachtet hat, wie ich es beschrieben habe, dann würde ich sagen, dass Jean Paul ein Vorbild von Integration war."

Aufgewachsen ist Gilbert Ndi Shang, der seit drei Jahren in Bayreuth am Institut für Afrika Studien an seiner Dissertation arbeitet, in Loh, einem kleinen Dorf im Nordwesten Kameruns. In einer Familie mit acht Kindern, sein Vater ist Lehrer.

"Ich habe ein bisschen über Deutschland in der Schule gelernt, und ich hatte diesen Traum, dass ich in der Zukunft in Deutschland studieren möchte, dass ich hier heute bin, ist wie ein Traum, der ganz wahr jetzt ist."

Die Führung geht weiter am Schloss der Markgräfin Wilhelmine vorbei, die eine schwarze Hofdame aus Surinam hatte, es wird gesprochen über Richard Wagner und die Geschichte des Rassismus in Deutschland. Start und Endpunkt ist das Iwalewa-Haus, das Afrika-Zentrum der Universität. Dort sitzen die drei Stadtführer noch in der Küche zusammen und unterhalten sich.

Katharina Fink: "Ich glaube, es ist auch ganz interessant zu sehen, dass wir nicht in dieser Führung oder dieser Stadterkundung mit einer Stimme sprechen, sondern dass wir auch gerade in Bezug auf Rassismus ganz unterschiedliche Ansichten haben."

So haben die beiden schwarzen Doktoranden aus Afrika Rassismus in Deutschland bisher überhaupt nicht als Problem in ihrem Alltag erlebt. Peter Narh:
"”I think that racism should’nt be something we should be so negativ about, some see it as a negativ thing, but I think , its a usual prozess how people interact.”"

Katharina Fink: "Ich unterschreibe überhaupt nicht den Punkt, dass Rassismus ein normales soziales Verhalten ist und ich finde es ganz ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass Bayreuth in der Etablierung von einem damals wissenschaftlich genannten Rassismus eine große Rolle spielte."

Gilbert Ndi Shang: "Es kommt darauf an, wie man sich selbst betrachtet, ich meine, wenn man Rassismus in jeder Sache sehen möchte, dann wird man etwas Rassistisches in jeder sehen. Bei mir habe ich keine solche Erfahrungen gemacht, weil ich auch mich von Rassismus emanzipiert habe, deshalb betrachte ich den anderen einfach als Mitmenschen. Und ich habe auch das Gefühl, dass ich als Mensch in Deutschland betrachtet werde."

Kamerun und Deutschland – das ist eine besondere Beziehung: Das afrikanische Land war von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie, bis heute findet man dort Spuren aus dieser Zeit, Gebäude – und vor allem das Eisenbahnnetz.

Gilbert Ndi Shang: "Aber das hat auch eine andere Seite. Man spricht auch von den Kamerunern, die während der Konstruktion von diesem Zugsystem gestorben sind. Es gab auch Zwangsarbeit und das ist die andere Seite von dieser ‚german‘ Arbeit in Kamerun."

Gilbert Ndi Shang studierte in Kamerun dann aber nicht Deutsch, sondern Französisch und Englisch, Sprache und Literaturwissenschaften. Und er arbeitete als Lehrer.

Gilbert Ndi Shang: "Ich hatte das immer im Kopf, wenn ich die Chance hätte, würde ich gerne in Deutschland studieren."

Mit einem DAAD-Stipendium kam er im April 2010 schließlich nach Bayreuth, um an seiner Doktorarbeit zu schreiben. Er analysiert Romane afrikanischer Autoren, den 30-Jährigen interessiert dabei, wie Staat und Gesellschaft dargestellt werden - aus postkolonialer Perspektive.

Zurück in Kamerun möchte er als Wissenschaftler an die Universität. Und seine Eindrücke, die er in Deutschland gesammelt hat, veröffentlichen. In Gedichtform. Zum Beispiel ein Erlebnis während einer Führung im Winter, als ihm eine ältere Frau am Denkmal Jean Pauls einen Handschuh reichte:

Gilbert Ndi Shang: "Das war eine ganz einfache Sache und als ich diesen Handschuh getragen habe, es war ganz warm, diese Wärme, die ich erfahre, die diese Frau in mir bewegt hat, hat mich sehr beeindruckt. Ja, jeden Tag macht man ganz interessante Erfahrungen."
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