Mehr als Bauernmalerei

Von Anette Schneider · 24.11.2011
Wilhelm Leibl ist für seine braven Bilder von Bauern bekannt. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt einen anderen Leibl: Kohlezeichnungen, schwarz in schwarz, unidealisierte Porträts. Er wollte "malen, was wahr ist".
Thomas Ketelsen: "Das Besondere ist eben: Er setzt die Linie nicht als Kontur bestimmende, umreißende Linie ein, sondern er agiert eigentlich mit Schraffen: Immer wieder setzt er neu an und schafft damit Verschattungen und Flächen."

Kurator Thomas Ketelsen steht vor einigen Papierarbeiten Wilhelm Leibls, die so gar nicht in das Bild vom detailversessenen Bauernmaler passen. Die großformatigen Kohlezeichnungen entstanden Ende der 1890er-Jahre, kurz vor Leibls Tod. Auf den ersten Blick sieht man nur schwarze Flächen. Dann schälen sich langsam ein paar Menschen aus dem Schwarz oder das Bildnis einer Frau.

Thomas Ketelsen: "Das Interessante ist jetzt hier die plane Verschwärzung des Grundes nur als eine schwarze Fläche, die zwar schraffiert ist, aber keine Räumlichkeit anzeigt. Obwohl ein Fenster im Hintergrund zu sehen ist, das aber auch nur als eine plane Fläche zu sehen ist, negiert er eigentlich den Tiefenraum und setzt vor diesen schwarzen Grund noch einmal eine Frau, die ein schwarzes Gewand anhat und einen schwarzen Hut trägt. Also: Wir haben hier Schwarz auf Schwarz, was jeden Raum eigentlich wegpresst."

Die Ausstellung umfasst lediglich 20 Zeichnungen, doch dokumentieren sie eindrucksvoll Leibls künstlerische Entwicklung. Und sie zeigen: Wenn Leibl etwas so Ungewöhnliches und Neues wie die schwarzen Bilder schuf, kann mit der einseitigen Rezeption als penibler Bauernmaler etwas nicht stimmen.

Schon die frühe Porträtzeichnung einer alten Frau bezeugt sein handwerkliches Können ebenso, wie sie von seinen Kunstvorstellungen erzählt: Leibl zeigt die in sich versunkene, vom Leben gezeichnete Frau völlig unidealisiert. Mit realistischen, oft skizzenhaft im Stile Frans Hals' gemalten Porträts wurde der 1844 in Köln geborene Leibl schnell erfolgreich. Er, der in München studiert hatte, wollte "malen, was wahr ist". Ein Grund, weshalb er und Courbet einander schätzten, den er mit Mitte 20 und einem Gemälde für den Salon im Gepäck in Paris besuchte.

Thomas Ketelsen: "Und er findet da absolute Anerkennung von den Künstlern und von der Kritik und auch vom Publikum - das Bild wird sofort gekauft. Leibl wird von einem Jahr zum anderen durch seinen Werdegang nach Paris hochkatapultiert. Und das schafft ihm natürlich beste Voraussetzungen, um dann weiterhin seinen eigenen Stil, seine eigenen Ideen in der Kunst zu verwirklichen."

Doch schon wenig später stockte der Erfolg: Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune - der ersten Arbeiterregierung der Geschichte - wollte die Bourgeoisie von realistischer Kunst nichts mehr wissen. Auch in München bevorzugte sie nun oberflächliche Salonmalerei. So floh Leibl vor dem teuren Leben in der Stadt und einem Kunsthandel, der "ihm zuwider" war, in die Berge.

Mitte der 1870er-Jahre entstanden dort die glatten altmeisterlichen Bauernbildnisse, die heute Leibls übriges Werk überdecken. Doch bereits wenige Jahre später löste er die geschlossene Form wieder auf: So zeigen die Skizzen zu einem Gemälde von Wildschützen grob aus Schraffuren zusammengefügte Gestalten, die später ähnlich widerborstig auch das Ölbild prägten. Doch, so Thomas Ketelsen:

"Er sitzt an den Wildschützen, wovon wir hier das Skizzenbuch haben, über vier Jahre. Er merkt dann, und das zeigt jetzt diese Akzeptanzverschiebung auf dem Kunstmarkt, bei den Händlern, bei den Sammlern: Er merkt, dass er rausfällt. Seine Bilder haben Ende der 80er-Jahre nicht mehr diese Anerkennung. Und eine dieser Reaktionen ist: Er zerschneidet seine Bilder und lässt - und das macht ihn so modern - diese Fragmente als Fragmente wieder gelten. Die werden noch mal signiert."

Es folgten die Schwarz auf Schwarz gehaltenen Kohlezeichnungen. Und es ist ein großes Glück, dass gerade eine zweite Sonderausstellung im Untergeschoss des Museums auch zehn Gemälde Leibls präsentiert, darunter einige späte. Und die zeigen Erstaunliches: Wie in den Kohlezeichnungen besteht auch das Bild "Die Küche von Kutterlin" fast nur aus dunklen, einander überlagernden Farbflächen. Bis man - lediglich angedeutet durch hellere Gesichter und Hände - schemenhaft ein junges Paar erkennt, das von den dunklen Farbmassen förmlich erstickt wird.

Leibl, der als junger Künstler durch die Begegnung mit Courbet das "Licht der Aufklärung" zumindest gestreift hatte, erzählt hier von der Perspektivlosigkeit und der beklemmenden Enge dörflicher Verhältnisse. Gleichzeitig erscheint das düstere Gemälde aber auch als Sinnbild einer Zeit, in der ein Maler, der lediglich malen wollte, "was wahr ist", keine Zukunft hatte. Gründlicher kann das tradierte Bild vom "braven Bauernmaler Leibl" nicht infrage gestellt werden.

Link:

Ausstellung "Wilhelm Leibl und die Farbe Schwarz"
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