Kommentar zu MeToo
Die Wurzeln des strukturellen Machtmissbrauchs liegen bereits im herablassenden Umgang und respektlosem Abwerten, meint Nicola Schubert. © imago stock&people
Der Machtmissbrauch beginnt schon im Kleinen
04:30 Minuten
04.04.2024
Autoritäres Auftreten, Gaslighting, Druckaufbau: Der strukturelle Machtmissbrauch in der Film-, Theater-, und Medienbranche beginnt schon bei solchen Verhaltensweisen, meint Schauspielerin Nicola Schubert.
Haben Sie schon mal erlebt, dass Ihr Chef Sie herbeiklatscht, wenn Sie nicht schnell genug zu ihm kommen? Dass Ihre Chefin sagt: „Schneller, das muss schneller gehen!“, wenn Sie eine Notiz, die sie Ihnen diktiert hat, nicht schnell genug finden oder vorlesen? Dass der Vorgesetzte in der Präsentation schreit: "Wo ist Folie 3, die muss JETZT kommen!“ Oder dass ein Gegenstand nach Ihnen geworfen wird? Das alles aber nicht in einem Moment, der „zählt“, also kurz vor einer wichtigen Veranstaltung, bei einer Veranstaltung selbst, sondern im Arbeitsalltag.
Wenn dann noch Kommentare hinzukommen wie „Es ist schrecklich, wie Sie arbeiten“ oder - sollten Sie in den Augen der Leitungsperson mal etwas gut gemacht haben - sich das Lob mit einer Anweisung vermischt, im Sinne von: „Das war gut. Drunter ab jetzt nicht mehr“, wissen Sie, wo Sie stehen: Zwar nicht direkt im Bootcamp, aber auf jeden Fall unten. So ungefähr lassen sich Situationen in andere Arbeitskontexte übersetzen, wie sie zum Teil immer noch in Theater, Film und Medien vorkommen.
Abhängigkeitsverhältnisse in der Film-, Theater- und Medienwelt
Branchen, in denen Menschen oft aus Leidenschaft arbeiten und in denen Ellbogenmentalität verbreitet ist, weil alle das Gefühl haben, dass der Kuchen sehr klein, der Appetit von zu vielen Interessierten aber sehr groß ist. Branchen, in denen die Abhängigkeitsverhältnisse, Gefallen und Missfallen für die eigene Existenz entscheidend sind, weil es keinen richtigen Kündigungsschutz gibt. Sondern meist zeitlich begrenzte Verträge, die eine „Hire-and-Fire“-Mentalität produzieren.
Es sind bereits solche, vermeintlich kleine Situationen, die eine Atmosphäre grundlegend prägen. Hier ist noch kein direkter Übergriff passiert, niemand ist körperlich verletzt worden. Aber die Arbeitsumgebung scheint vergiftet, um nicht zu sagen mit einer gewissen Angst aufgeladen. Ich höre es bereits in den Kommentarspalten rauschen: Das ist Überempfindlichkeit, das Leben ist halt kein Ponyhof, sowas muss man eben aushalten.
Streng autoritäres Auftreten
Es gibt eine ganz feine Linie zwischen dem, was zumutbar ist, und dem, was sich bereits in Richtung Missbrauch bewegt. Das Balancieren auf dieser Linie testet aus, wie groß der Raum werden kann, in dem die Person, die oben steht, der Person, die unten steht, Leistung und Gehorsam abverlangen kann. Je größer dieser Raum wird, desto mehr passt rein: Wer abwertet, traut sich vielleicht irgendwann zu schreien, wer schreit, traut sich vielleicht irgendwann tätlich zu werden.
Dabei gibt es natürlich keinen Automatismus: Die wenigsten Regisseur:innen, die rumschreien, werden körperlich übergriffig. Aber diejenigen, die körperlich übergriffig werden, haben diese Form des Machtmissbrauchs mit anderen, kleineren, vermeintlich zumutbaren Grenzüberschreitungen vorbereitet. Und dazu gehören auch Druckaufbau, sich widersprechende Anweisungen und streng autoritäres Auftreten.
Wenn dann noch Gaslighting hinzukommt - eine psychologische Manipulations-Taktik, die andere dazu bringt, an ihrer eigenen Wahrnehmung der Situation zu zweifeln - dann ist das an sich oft schon so stressauslösend, dass Schlafstörungen und Panikattacken keine Seltenheit sind und in den meisten Fällen mindestens zu einem vorauseilenden Gehorsam führt.
Herablassender, infantilisierender Umgang, respektloses Abwerten, die Erwartung fast militärisch anmutenden Gehorsams – das sind in meinen Augen die Wurzeln des strukturellen Machtmissbrauchs. Und obwohl sich die Verhältnisse seit MeToo verbessert haben, ist es nicht leicht, die eigene Stimme gegen solche kleineren Fehltritte zu erheben: weil sie oft sehr in einer Grauzone stattfinden, dass sie manchmal gar nicht leicht in Worte zu fassen sind, sodass man im Zweifelsfall am Ende selbst blöd dasteht. Auch weil viele Kolleg:innen verinnerlicht haben: Das muss man eben aushalten.